Zur Freundlichen Erinnerung | Page 6

Oscar Maria Graf
Tag.
Vorgestern, als er stumpfsinnig in der W?rmestube der Arbeitsvermittlung sa? und an dem nassen, verfilzten Zigarrenstummel saugte, den er auf dem Hergang in der Fr��he gefunden hatte, kam sein Weib herein und sagte zu ihm: "Dein Alter ist gestorben ... Vom Elektrizit?tswerk haben sie hergeschickt, da? er auf der Stra?e umgefallen ist.--Schau nach!"
Es stimmte.
Jetzt lag der Tote unter der Erde.
"Ich komm schon!--Nachher!" sagte Michel zu seinem Weib nach dem Begr?bnis und schickte es heim, w?hrend er zur Logisfrau des Verstorbenen ging.--
Wie oft hatte Michel es nicht geh?rt, wenn Fu?tritte auf ihn traten, wenn er in eine Ecke flog, wenn die F?uste seines Vaters auf seinen Kopf niedersausten oder eine Eisenstange, ein Teller, eine B��rste: "Knochen, verstockter!--Der Teufel soll mich kreuzweis' holen, wenn ich dir einen Pfennig hinterla?'! Ertr?nkt sollte man dich im ersten Bad haben, du Nichtsnutz!"
Mit sechszehn Jahren noch, als Michel schon im letzten Lehrjahr stand und eigentlich keine Last mehr war, wollte der Alte den Jungen wegr?umen und ��bergo? ihn beim Heimkommen mit siedendem Kartoffelwasser, weil er das Vogelfutter f��r den Kanarienvogel mitzubringen vergessen hatte.
Michel mu?te damals ins Krankenhaus gebracht werden und sah zum erstenmal, wie ein Bett aussah.
Es war sch?n in diesen hellen R?umen. Man sah viele fremde Menschen, die allerhand erz?hlten. Michel fa?te Mut da und ging nach seiner Entlassung mit dem was er auf dem Leibe trug, auf die Wanderschaft, schlug sich auf alle m?gliche Art und Weise durchs Leben.
Mutter--?! Ein komischer Begriff!
Michel hatte noch so etwas wie eine abgemagerte Frau in einem Haufen Lumpen im Ged?chtnis. Ein Paar spindeld��rre Arme wie St?cke. Und H��steln.
Und das, was er nun seit ungef?hr zwei Jahren unausgesetzt ablebte: Eben ein Zimmer voll Gerumpel, mit erstickender Luft und einem Vogelbauer im staubigen Fenster.
Nur--da? Michels Weib zwei Kinder hatte und hin und wieder zum Putzen ging, da? das jetzige Zimmer keinen Vogelbauer hatte, ein klein wenig heller war, aber enger als das fr��here.
Vor zwei Jahren war es etwas anders. Damals arbeitete Michel noch in der Motorenfabrik. Es war guter Verdienst. Aber wie der Teufel sein wollte, die Firma machte Bankrott, kam noch hinzu, da? das damalige Haus, in dem Michel mit Weib und Kindern in einer Zweizimmerwohnung hauste, in ein Warenhaus umgewandelt wurde, und die Leute nach langem Hin und Her auf die Stra?e gesetzt wurden.
Weshalb soviel Aufhebens machen! Die Entwicklung der Dinge l??t sich leicht denken. Die Hauptsache war immer: Man hatte zur Not ein Dach ��her dem Kopf bekommen. Man wu?te, wo man hingeh?rte.--
Nun, es ist etwas Wahres dran an dem Sprichwort: "Wo die Not am gr??ten, ist Hilfe am n?chsten."
Trotzdem der Verstorbene sich vielleicht geschworen haben mochte, nie und nimmermehr f��r Michel etwas zu hinterlassen, fiel dem Sohn jetzt die ganze erraffte Habschaft des Alten zu.--
Es war erst f��nf Uhr nachmittags. Michel konnte in aller Ruhe das Zimmer des Verstorbenen durchst?bern und alles mitnehmen. Er fand au?er baren f��nftausend Mark einige Anz��ge, von denen er den besten sogleich anzog, einen ��berzieher, den er ebenfalls umlegte, und allerhand Gerumpel, das er dem T?ndler Finsterhofer verkaufte.
Er war gut aufgelegt, der Michel, lachte und gab schlie?lich dem dr?ngenden T?ndler auch das ganze andere Geschleppe, die ��brigen Anz��ge und was da noch war.
Die Tasche voll Geld schritt er in die d?mmernde Stadt.
"Ist doch gut, wenn man wei?, wer einen auf die Welt gebracht hat," brummte er aufgeheitert und ging in eine der bekannten Wirtschaften inder Bahnhofsn?he, um noch ein paar Gl?ser zur Feier des Tages zu trinken.
Es kam ihm merkw��rdig vor, als er so unter den anderen Arbeitern, Zuh?ltern, Herumlungerern und alten Huren sa?.
Einige kannten ihn und ma?en ihn von der Seite.
"Hast das gro?e Los gezogen, Michel! He ... gibst was aus?" rief ihm ein Tisch zu und in jedem Blick war ein konstatierendes Zwinkern.
Michel setzte sich. Es tat ihm wohl, da? soviel Freundlichkeit ihn umgab. Auf seinem Gesicht war sogar eine Art G?nnerhaftigkeit.
"Meinetweg'n ...," rief er und lachte, "trinkt. Mein Alter hat ins Gras gebissen! Es kommt mir nicht drauf an....!"
Und die Gesichter um ihn z?unten sich enger, fingen zu gl?nzen an. Man trank sich kameradschaftlich zu.
"Erste Runde ... wer bezahlt!" schrie der martialische Kellner und Ordnungsmann in den Tisch.
"Daher!" schrie Michel und griff in seine Hosentasche, zog die Scheine heraus.
"Da gehn schon noch ein paar Runden, Michel?!" riefen mehrere.
"Kameradschaft bleibt Kameradschaft!" bekr?ftigte ein anderer.
Und Michel legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch: "Soviel soll genug sein!"
Der Tisch war zufrieden, wurde laut, man brachte Bier und lie? Michel leben!
Dann stand Michel endlich auf. Einige wollten ihn noch halten, bettelten. Aber ein paar andere mischten sich ein und riefen: "Nein ... richtig gesagt, sind wir zufrieden ... der Michel kommt wieder!"
Und jeder dr��ckte Micheln die Hand.
"Ein kreuzguter Mensch!" h?rte dieser noch, als er die T��r hinter sich zuzog und seine Schritte eiliger straffte.
Die gro?en Bogenlampen leuchteten schon durch den nachtdurchwobenen Nebel. Aus den Kaffeeh?usern griffen die Lichter, die Stra?enbahnen flimmerten, surrten und
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