Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling | Page 8

Joseph M. Hägele
Alles in Einen Ausdruck zu fassen, m?chte ich sagen, das Zuchthaus an sich sei durch die Vermischung gemeiner und politischer Verbrecher demoralisirt worden.
Die Schlimmen unter den gemeinen Verbrechern fragen nicht das Mindeste nach ihrer Entehrung, weil mit ihrem ganzen Wesen sich auch ihre Begriffe von Ehre in das Gegentheil dessen verkehrt haben, was sein sollte. Dagegen fühlten gerade die Gottlob zahlreichen Bessern und Besserungsf?higen die Wucht der Entehrung mehr oder minder stark, was auf Abschreckung und Besserung wohlth?tigen Einflu? hatte und haben mu?te, insofern ihr Gewissen ihnen eine an sich ehrlose Handlung vorwarf und sie an einen gerechten Gott mahnte.
Mit der Ankunft reinpolitischer Verbrecher wurde dies ganz anders. Weil selbst die gemeinsten Spitzbuben solche Ank?mmlinge, von denen die Meisten früher niemals vor Gericht als Angeklagte gestanden und Manche als wohlhabende und angesehene Leute bekannt waren, nicht als Ihresgleichen zu betrachten vermochten, so sahen die gemeinen Verbrecher ihre Entehrung wenn nicht gesetzlich doch moralisch aufgehoben. Durch die Wahrnehmung, da? auch die rohesten Aufseher durch ihr Benehmen unwillkürlich verriethen, es best?nden unsichtbare Unterschiede zwischen politischen und andern Gefangenen, steigerte sich das Bewu?tsein der Ehrbarmachung bei den gemeinen Verbrechern, die unsichtbaren Unterschiede erzeugten recht sichtbare, dadurch litt die Hausordnung, und die Erreichung der verschiedenen Strafzwecke ward vielfach beeintr?chtiget.
Manche politische Gefangene knirschten gegen ein ungerechtes Gesetz, dessen Opfer sie geworden, die Meisten jedoch gew?hnten sich an die neue Sippschaft und lachten ob der Absicht des Gesetzes, denn sie wu?ten ganz gut, ihre Freunde au?erhalb des Zuchthauses d?chten gar nicht, ihre Feinde nur scheinbar an Entehrung ohne ehrlose Handlungen und fuhren fort, die Regierung keineswegs als eine über politischen Gegens?tzen stehende Macht, sondern lediglich als feindselige politische Parthei zu betrachten. Die Besserung eines politischen Verbrechers besteht wesentlich in Vers?hnlichkeit und Aenderung politischer Gesinnung, aber die Thatsache der Zuchthausstrafe schien m?chtig dagegen zu reden, da? die Regierung irgend ein Gewicht auf Vers?hnlichkeit und Gesinnungs?nderung legte, nachdem sie ihre geschlagenen Feinde den Dieben und R?ubern gleichgestellt hatte.
Ich bin aus guten Gründen nicht sonderlich für die Abschreckungstheorie eingenommen; will man dieselbe auf politische Verbrecher jedoch anwenden, so mu? man lieber mit Kugeln und Stricken als mit Zuchth?usern dreinfahren, wenn man für die n?chste Zeit sich heilsame Wirkungen von jener geschichtlich und rechtlich l?ngst abgeurtheilten Theorie verspricht.
Manch unsichtbarer Held der Jahre 1848 und 1849 und meinethalben ehrlicher aber jedenfalls ungeschickter und unchristlicher Wütherich der Ordnung und Ruhe schreibt heutzutage heldenmüthige und h?chst beunruhigende Artikel über die Unverbesserlichkeit und Vernichtungswürdigkeit der "ehrlosen, gottvergessenen" Demokraten und k?nnte ein Blinder meinen, Demokrat und Revolution?r seien ganz gleichbedeutende Worte und ein Demokrat von vornherein der Teufel in h?chsteigener Person, mindestens ein Unchrist und Taugenichts.
Ich für meine Person lache über dergleichen federfuchsende Narren oder verachte solche umgekehrten Jakobiner, denn mit den deutschen Demokraten ist's noch nicht halb so arg, als man gerne redet oder auch gerne h?tte und anstrebt. Ich habe sogar unter Freisch?rlern bei uns nicht Einen heimtückischen, meuchelm?rderischen Italiener, wenig herzlose Franzosen und nicht viele wilde Ungarn getroffen, denn der Deutsche ist und bleibt ein Deutscher, leidet als Revolution?r oft bei weitem mehr am Kopfe als am Herzen, besitzt h?ufig ein tiefes, aber verwildertes Gemüth, lie?e sich jedoch durch bessere Belehrung, menschliche Behandlung und christliche Liebe gar nicht schwer gewinnen, zumal der Deutsche überhaupt ein "politisches Thier" des Aristoteles niemals wird, sondern glücklicherweise im engen Kreise seines Berufes und im stillen der Familie gerne recht ruhig und harmlos lebt.
Im Zuchthause bew?hrte mancher politische Gefangene übrigens nicht etwa Religion und l?blichen Abscheu vor Verbrechen, sondern weit eher Geisteshochmuth und Lieblosigkeit gegen gemeine Verbrecher. Dadurch kam viel Unfriede, Zwietracht und Ha? unter die Bev?lkerung und w?re Einflu? und Mühe der Angestellten und Beamten minder gro?, die Hoffnung auf Begnadigung nicht so gar lebhaft, die Zahl der Politischen und die Macht der Bildung kleiner gewesen, so würden arge und schreckliche Auftritte vorgekommen und das Zuchthausleben zu einem Leben in einer M?rdergrube oder in der H?lle geworden sein. Jedenfalls haben die Meisten meiner Leidensgef?hrten wenig für religi?se Erhebung und sittliche Ermannung [Ermahnung] der gemeinen Verbrecher gethan und war mehr als Einer der gemeinen Verbrecher besonders unter den unvors?tzlichen Todtschl?gern ein weit besserer und wohl auch achtungswertherer Mensch, denn mancher sogenannte M?rtyrer einer zweideutigen Freiheit.
Die sch?dlichste Wirkung des von mir angefochtenen Gesetzes beobachtete ich seit der Zeit meiner Befreiung. Einerseits bewiesen entlassene gemeine Verbrecher, da? sie die keineswegs v?llig grundlose Ansicht von der politischen Natur aller Verbrechen aus dem Straforte in die Freiheit getragen, anderseits bemerkte ich eine gro?e Abstumpfung gegen die Schande im Zuchthause gewesen zu sein nicht nur bei Entlassenen, sondern bei den niedern und mittlern Volksklassen überhaupt.
Die Tagesbl?tter reden genug davon, die Revolution sei keineswegs todt, sondern nur momentan gefesselt und gel?hmt; Ereignisse der schauderhaftesten Art sprechen dafür und ein Christ darf und mu? sagen, die Revolution sei erst dann besiegt, wenn die H?lle eine v?llige Niederlage erlitten haben werde. Das B?se schreitet in
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