Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling | Page 9

Joseph M. Hägele
gro?en moralischen K?rpern wie in Einzelnen mit einer gewissen immanenten Dialectik und logischen Gesetzm??igkeit vorw?rts; das an sich Gute geht in leisen, allm?ligen Ueberg?ngen zum minder Guten, Gemischten und wirklich B?sen, endlich zum Teuflischen fort und so kann ein Staat die Lebenskeime der Revolution in seinem Schoo?e hegen und gro?ziehen, ohne da? er darum wei? und es will, ebenso der Einzelne durch die Verletzung seines rechtlichen und Emp?rung seines sittlichen Gefühles allm?lig und leise, in Ueberg?ngen, welche er sp?t oder niemals gewahr wird, aus einem ruhigen Bürger zum Revolution?r werden. Diese Thatsache hat folgenschwere Consequenzen und eine derselben hei?t, da? ein Staat, welcher durch ungerechte und unzweckm??ige Gesetze und Verfahrungsweisen das rechtliche und sittliche Gefühl seiner Bürger verletzt, an seinem eigenen Untergange unbewu?t arbeitet.
Ein ungerechtes und unzweckm??iges Gesetz in Baden spricht reinpolitische Verbrecher ins Zuchthaus und wer am allerwenigsten Vortheil daraus zieht, das ist die Regierung, daher wende sie ihre Aufmerksamkeit auf dieses Gesetz!--
Soviel von meinen Erfahrungen, soviel auch von meinem ?u?eren Leben. Was meine innere Geschichte betrifft, die mit der ?u?ern im engsten Zusammenhange steht, so will und mu? ich hier nur den haupts?chlichsten Moment, n?mlich den religi?sen berühren, um über meinen Standtpunkt keinen Zweifel mehr übrig zu lassen.
Geborner Katholik geno? ich als Kind eine strengkatholische Erziehung, doch schon im Knabenalter verlor sich der naive Glaube des Kindes zun?chst in einem ?u?erlichen Gebahren, dann in Mangel an Verst?ndni? der katholischen Religion, welcher in den Jünglingsjahren zur Gleichgültigkeit gegen alle positive Religion, endlich zur Verachtung derselben und zum Hasse gegen die eigene Kirche sich steigerte. Schicksale und Staatsschulen verbanden sich mit dem in mir liegenden und unruhig werdenden Keime des B?sen, um mir zuerst den lebendigen, dann den unlebendigen Glauben an Christum den Gottessohn zu rauben und endlich an die Stelle dieser allein beseligenden Wahrheit einen wechselnden Mischmasch der beweglichen Weisheit unserer Zeit zu setzen.
Ich beklagte den ungeheuern Verlust nicht, weil ich ihn nicht kannte und die Gr??e aller Folgen desselben so wenig als viele andere Jugendgenossen zu bemessen vermochte. Ich glaube w?hrend meiner ganzen Studienzeit kaum Einmal recht vorbereitet zur Beichte und würdig zum Tische des Herrn gegangen zu sein.
Nicht als ob die Vorbereitungsschulen zur Universit?t mich durch das Lesen klassischer Schriftsteller mit Vorliebe, bewu?ter Vorliebe für das Heidenthum erfüllt h?tten. Nein, ich fand nur drei vortreffliche Lehrer, welche mich und Andere durch elende Wortklauberei und sehr geistlose Conjunctivenjagd mit ihren alten Schriftstellern nicht t?dtlich langweilten. Erst auf der Hochschule lehrte mich der ausgezeichnete Bruder des nicht minder ausgezeichneten und weit berühmteren Philosophen Feuerbach in die Weltanschauung und in das innere Leben der Alten hineinblicken. Ein mangelhafter Religionsunterricht brachte mich so weit, da? ich als 18j?hriger Mensch die Artikel des Glaubensbekenntnisses nicht mehr wu?te, die Mehrzahl anderer Lehrer trug dazu bei, mich in religi?sen Dingen zu einer %tabula rasa% zu machen, welche ich instinktm??ig durch Lectüre vieler Klassiker des modernen Europa, deren wahrhaft inneres Verst?ndni? mir auch noch nicht zuzumuthen war, von selbst auszufüllen strebte.
Kurz vor dem Bezuge der Hochschule lud mir Gott verschiedene Arten von Elend auf den Hals, gab mir den ersten und letzten eifrigen und leider zu sp?t kommenden Religionslehrer, den ich auf den Vorbereitungsschulen fand; ich war trotz meines Unglaubens ganz ernstlich gesonnen, ein Diener der Kirche zu werden. Der stets auch im Mangel an gründlichen Kenntnissen wurzelnde Geisteshochmuth gab mir und Andern damals den Gedanken ein, dereinst Reformatoren der Kirche unterstützen zu wollen, doch die Restauration in Freiburg, welche man "theologisches Convict" zu nennen beliebte, gefiel mir nicht, manche G?ste gefielen mir noch weit weniger, die tiefe Gelehrsamkeit eines Hug entmuthigte, die prinzipielle Entschiedenheit eines Staudenmaier, der meine Herzk?fer, die deutschen Klassiker und besonders das junge Deutschland in ihren tiefsten Abgründen enthüllte, emp?rte mich und die Philosophie er?ffnete mir eine kaum geahnte Welt voll Licht, Klarheit und Seligkeit--des Scheines.
Ich entschied mich für gar kein bestimmtes Fach und studirte, als ob ich Rothschilds leiblicher Sohn w?re, w?hrend ich wochenlang keinen Knopf in der Tasche trug, h?rte philosophische, juristische, philologische und theologische Vorlesungen und las die Schriften berühmter Theologen lediglich, um als tiefsinniger, strebsamer Kopf zugelten und den Mitstudirenden recht imponiren zu k?nnen.
Das rechte Verst?ndni? theologischer Schriften setzt lebendigen Glauben voraus, dieser mangelte mir t?glich mehr, de?halb legte mir meine Eitelkeit Riesenarbeiten auf, aber ich übernahm dieselben, denn Geisteshochmuth wurde t?glich mehr der Kern meines Wesens und Thuns, die Achtung meiner Lehrer und die Bewunderung meiner Mitschüler wurde Nektar und Ambrosia meines geistigen Lebens.
Armseliger, unglücklicher Mensch, der ich war!--
Hatte ich das Beichten schon auf den Vorschulen als leidiges, unnützes Gesch?ft betrachtet, so lie? ich die Glocken am Sonntage als Hochschüler gemüthlich brummen und ging h?chstens in die Kirche, wenn eine hübsche Messe anzuh?ren oder gar ein Prediger sammt Predigt zu critisiren war. Im Collegium über Kirchengeschichte und in der Kneipe nahm ich für jeden Ketzer immer eifriger Parthei, wenn die Ketzerei nur auch ein Fünklein Geist

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