Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling | Page 6

Joseph M. Hägele
der provisorischen Regierung irgend ein Aemtlein zu erschnappen, mindestens als Commiss?r mit dreifarbiger Leibbinde und klirrendem Schlepps?bel Bürgern und Bauern einen nagelneuen, hochgebietenden Herrn zu zeigen. Ich that es nie.
Das Herz glaubt so gerne, was es wünscht!
Lügenhafte und prahlerische Zeitungsberichte gaben mir wieder eine bessere Meinung von den Menschen, die Dinge im Lande sahen von meinem Winkel aus betrachtet pr?chtig und vielversprechend herein, ich glaubte an eine baldige Vers?hnung aller politischen Partheien, an Verzichtleistungen, eine süddeutsche Foederativ-Republik, wei? Gott, was ich nicht Alles ferne vom Schauplatze so ernsthaft glaubte, wie mancher schweizerische Landj?ger, der mich um Neuigkeiten bat, welche über Nacht zum Heil der V?lker vom Himmel gefallen.
Ich glaubte ernsthaft nicht das Gelingen, sondern das Gelungensein des Maiaufstandes; die Stellung, welche der Landesfürst mit seinen R?then der Bewegung gegenüber annehmen würde, war mir jedoch noch nicht klar und als diese Gewissenszweifel verschwanden, dachte ich, der Staat habe Diener genug, bedürfe keines Schulmeisters, im Nothfalle h?chstens eines Freiwilligen mehr.
Als ich die Proclamationen der neuen Regierung las, die Karlsruher Zeitung als deren Organ sammt den regelm??ig fortlaufenden Nummern des Regierungsblattes in altem Format und neuem Style mit Entzücken verschlang, die bisherigen Beamten und Beh?rden unseres Bezirkes friedlich huldigen sah, ohne da? eine ernstliche Weigerung eines gro?herzoglichen Dieners oder irgend eine Drohung von Seiten des Civilcommiss?rs stattfand und als ich zuletzt Aktenstücke aus der Residenz in die H?nde bekam, unter welchen hochachtbare Namen im Staatsdienste beinahe ergrauter Herren standen und von friedlichen Unterhandlungen der "provisorischen" Regierung mit dem Gro?herzog viel Tr?stliches vernahm--da hielt ich mich ehrlich und aufrichtig meines Versprechens vom 18. Oktober 1848 ganz und gar entbunden, denn gegen eine nicht mehr bestehende Regierung kann es keine Verpflichtungen mehr geben, der Unterthan aber hat niemals nach dem Ursprunge seiner Regierung zu fragen, sondern nur zu gehorchen. Dieses lehrt ja der Staatslehrer Zachariae, der gewi? ein gro?er Jurist und meines Erachtens ein sehr winziger Demokrat war. Mein Herz hatte der alten Regierung niemals geh?rt, solcher Mangel mag ihr wenig geschadet haben, jedenfalls war ich an ihrem Sturze im Jahr 1849 so unschuldig wie ein neugebornes Kind, doch der neuen, aus der Ferne anfangs so pr?chtig und gro?artig aussehenden Regierung war ich mit Leib und Seele ergeben und glaubte, es sei Pflicht und Schuldigkeit, derselben Dienste zu leisten, wenn kein Anderer und Besserer als ich zu finden und ich ausdrücklich dazu aufgefordert würde.
Meine Ansichten und Gesinnungen sprach ich am 27. Mai 1849 in einer Rede über die jüngsten Ereignisse vor einer gro?en Volksversammlung aus, rücksichtslos, derb und hinsichtlich der Thatsachen, welche ich ja nur vom Lesen und H?rensagen kannte, vielfach unwahr. An Hochverrath dachte ich bei dieser Rede so wenig, da? ich einen Entwurf derselben hübsch in eine Mappe legte und sp?ter selbst in die H?nde des Amtsverwesers durch genaue Angabe des Verwahrungsortes liefern half.
Mir ist es blo? darum zu thun, den Beweis zu liefern, da? ich als Amnestirter mein der Regierung geleistetes Versprechen eines gesetzm??igen Verhaltens keineswegs mit Wissen und Willen gebrochen, folglich in dieser Hinsicht die Pflicht der Ehre nicht verletzt habe.
Meine Betheiligung am Aufstande sammt Untersuchung und Urtheil sollen und k?nnen hier nicht besprochen werden. Eine Ver?ffentlichung s?mmtlicher Akten würde mir eher angenehm denn zuwider sein, weil einerseits daraus hervorginge, da? mich die zahreiche [zahlreiche] Armee in Baden sammt dem Standgerichte nicht im mindesten abhielt, mich zu meinen damaligen Gesinnungen und mit Recht angeklagten Handlungen mit einem Trotze zu bekennen, der sich lediglich durch meine Verblendung und Glauben an mein gutes Recht entschuldigen lie?e. Anderseits m?chte eine derartige Ver?ffentlichung aber ebenfalls zeigen, da? meine Vergehen rein politischer Natur und mit keiner an sich ehrlosen Handlung oder gar mit einem gemeinen Verbrechen im geringsten Zusammenhange seien.
Ich sah die letzten Tage des deutschen Parlamentes und der provisorischen Regierung, den ordnungslosen Rückzug des Insurgentenheeres, das Lager bei Baltersweil, den Uebergang ins Schweizerland, aber ich dachte nicht daran ein Flüchtling zu werden.
Sp?ter nannte ich im Kerker mein Dableiben den allerdümmsten Streich meines bisherigen Lebens, zumal ich schon im Frühling 1849 zur Auswanderung nach Amerika entschlossen und im Juli eine angenehme Gelegenheit für mich da war, um mit einer befreundeten Familie wohlfeil fortzukommen; der Stolz mich vor keiner menschlichen Macht oder Uebermacht zu beugen, wo ich in meinem Rechte zu sein glaube, die Einsicht, da? bei der ungeheuern Zahl der Theilnehmer des Maiaufstandes ein politischer Proze? vom Standpunkte des Rechts und der Gerichte, die ja mit Ausnahme Eines [eines] Gerichtshofes der provisorischen Regierung ebenfalls gehuldigt und ungeschoren fortfunktionirt hatten, unm?glich sei, die Hoffnung, da? man bei einer politisch allerdings sehr zu rechtfertigenden Verfolgung Einzelner anerkenne, da? ich als Amnestirter meine Pflicht nicht verletzte und das Bewu?tsein, mich w?hrend des Maiaufstandes keineswegs zu einer Rolle hingedr?ngt und noch weniger eine auffallende Rolle gespielt zu haben--dies Alles bewog mich, die Ankunft der preu?ischen Truppen ruhig zu erwarten.
Am 13. Juli 1849 lie? mich der Amtsverweser verhaften, am 20. kam
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