Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling | Page 3

Joseph M. Hägele
und Menschheitsglück seien noch ganz anderer und schwererer Opfer würdig.
Leichtm?glich k?nnte ich durch Mittheilung meiner zahlreichen Erfahrungen und nicht unwichtigen Erlebnisse in jener vielbewegten Zeit viele Leser nicht nur unterhalten, sondern noch mehr belehren und zeigen, wie Gott die Revolution im Gro?en und Kleinen richtet; ich bin auch schon mehrfach dazu aufgefordert worden,--aber ich mag nicht in den Schatten eines Verdachtes gerathen, als ob ich bei der gegenw?rtig keineswegs unberechtigten, aber immerhin übertriebenen und alle christliche Liebe mit F?usten schlagenden Parforcejagd auf flüchtige, gefangene, verfolgte und mi?trauisch betrachtete Mitmenschen ins H?rnlein sto?en wolle und zudem mü?te ich ein nagelneues Buch schreiben, welches vielleicht manchem J?ger nicht sonderlich gefiele.
Nein, der Schuster bleibe bei seinem Leisten, de?halb will und kann ich auch nur Einiges, was meine Wenigkeit allein angeht, berühren.
Am 24. Februar 1848 noch ein ertr?glicher badischer Unterthan, weil ich den Segen kleinerer Staaten für die Menschheitsentwicklung nicht verkannte, wandelte mich die Nachricht der Geburt der franz?sischen Republik schnurstracks in einen Verfechter der Monarchie auf allerbreitester demokratischer Basis um; am 3. M?rz schw?rmte ich für ein unter 3 Herrscher getheiltes einiges Deutschland und das Einkammersystem; bis zum 15. erkannte ich den l?cherlichen Widerspruch eines unter 3 Herrscher getheilten und trotzdem einig sein sollenden Vaterlandes und wünschte einen Barbarossa, der die Gr?nzen des Reiches scharf umreite, die Souver?nit?tstr?ume aller gro?en und kleinen Fürsten vernichte und ein scharfes Staatsdieneredict gegen dieselben erlasse. Am 18. M?rz war ich bei der ersten gro?en Offenburger Volksversammlung und nicht sowohl diese als die Wiener Nachrichten bewirkten, da? ich in der Monarchie überhaupt nur noch die fliegende Brücke sah, welche zur Republik hinüberführte; ein Aufenthalt in Stra?burg lie? mich vor lauter Freude über die kleinen, tapfern Franz?slein ins R?thliche hinüberschillern, jedenfalls h?tte Eberhard in Barte nur dann noch ruhig sein Haupt in meinen Schoo? legen k?nnen, wenn er vorher seiner fürstlichen Stellung entsagt und eine Pension angenommen h?tte.
"Zuerst putzen und r?uchern wir den germanischen Augiasstall tüchtig aus, dann kommen unsere Brüder, die Franzosen, wir tragen zusammen die Tricolore bis zur Weichsel, errichten die Republik Polen, donnern den Czaren hinter den Ural tief in sein zobelreiches Asien hinein auf Nimmerwiedersehen, dann einstimmiger Beschlu? der verbündeten Franzosen, Deutschen und Slaven: die etwa noch übrigen regierenden H?user der pyren?ischen und italischen Halbinseln haben aufgeh?rt zu regieren!--allgemeine Einladung an John Bull, seinen kostspieligen und ziemlich überflüssigen monarchischen Flitter vollends wegzuwerfen, allgemeiner Gehorsam, lauter Freude und Friede, ein gro?es Bankett von mindestens 120 Millionen Gedecken zu Ehren des nordamerikanischen Menschenstaates, ewiges Bündni? mit Bruder Jonathan, friedliches Entwickeln innerhalb der europ?ischen V?lkerfamilie, gro?artige Freischaarenzüge im Interesse der Freiheit, Bildung und des Wohlstandes Aller nach andern Erdtheilen, zun?chst Zurückführung der Kinder Israels ins gelobte Land und Wiederaufbau eines neuen Jerusalem!"
Dies war, man mag es glauben oder nicht, das Programm meiner und vieler Andern politischen Gesinnungen und Bestrebungen noch vor dem 1. April 1848.
Vom 18. M?rz an predigte und lebte ich nach dem Thema: "Mi?trauen ist des Bürgers erste Pflicht! %Aux armes, citoyens%!"--erwartete von einem Parlamente voll bed?chtiger Professoren, wortklaubender Juristen und schlangenkluger Aristokraten wenig oder nichts mehr für V?lkerfreiheit und die Schlag auf Schlag folgenden Ereignisse sorgten dafür, da? mein Fieber fortdauerte.
An Warnungen und Winken wohlmeinender M?nner fehlte es nicht, die allt?gliche Erfahrung versetzte meinem Idealismus unaufh?rlich Ohrfeigen und Fu?tritte, ich glaubte zu schieben, sollte geschoben werden, entdeckte es ein bischen zu sp?t und durch diese Entdeckung an meiner Achillesferse, dem Hochmuth, tief verwundet, zog ich mich zurück, so weit es anging. Hecker reiste nach Konstanz, die Schilderhebung für die Republik war im Werke, ich griff nach Hirschf?nger und Flinte und zog zu Fu? über den Schwarzwald an den Bodensee, um mit eigenen Augen und Ohren die Stimmung und Gesinnung des Volkes zu mustern.
Die Reise aus dem bet?ubenden Volksl?rm der Rheinebene über den dünn bev?lkerten und stillen Schwarzwald, durch die von ihren politischen H?uptern abgehetzte Baar und den banger Erwartung vollen Hegau that mir wohl, obgleich ein Stockblinder den Ausgang des Heckerschen Unternehmens voraussehen mu?te.
Unter allen demokratischen Führern, welche ich auf der Reise und in Konstanz traf, fand ich auch nicht Einen, der sich sonderlich auf das nahe Wiegenfest der Republik freute, doch mit mir glaubten Viele aufrichtig an sofortigen Uebertritt der Soldaten und an gleichzeitige Ereignisse in andern L?ndern.
In Konstanz verlebte ich unverge?liche Tage und schlo? mich dann dem allm?hlig zu Leben kommenden Freischaarenzuge an, lediglich um meine "Ehre" zu retten und noch mehr, um ein Stücklein Geschichte mit eigenen Augen werden, wachsen, blühen und vergehen zu sehen.
Der Freischaarenzug lud mir die traurige Rolle eines politischen Flüchtlings auf den Hals.
Gott meinte es gut mit mir, denn ich besa? keine Anlage für einen eigentlichen Revolution?r, ein leicht erregbares, stürmisches Temperament würde mich bei l?ngerm Verweilen im Strudel der Revolution aufgerieben, weitere politische Th?tigkeit leiblich, geistig und sittlich ruinirt haben.
Was der ebenso gelehrte als geistvolle Staudenmaier kurz vor der Revolution über diese schrieb, was die gehaltreichen "historisch-politischen
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