Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling | Page 6

Joseph M. Hägele
Ehren
genannt.
Wurde ihm noch nicht die Welt zu enge, so war dies allmählig doch mit
der Schulstube der Fall. Lernen konnte er hier nichts mehr und wußte er
sich die Langeweile auch zu vertreiben, so wünschte er doch sehnlichst,
Mutter Theres möchte die Zügel ein bischen länger machen und dies
war nicht der Fall, so lange der Benedict zur Schule ging.
Die ganze Weisheit des Vaters bestand in dem Sätzlein: Bete und
arbeite! Er ging mit Beispiel voran, hielt mit eiserner Strenge darauf,
daß die Seinigen es auch thaten und wenn die Mutter nicht Alles über
ihn vermocht', wie der Benedict Alles über die Mutter, so würde es
wohl mit dem Heldenthum kläglich ausgesehen haben! ... Auf dem
Lande ist das Geld von je als die theuerste Sache betrachtet worden, wo
wenig Geld und 6 unerzogene Kinder zu finden sind, gibts zu arbeiten;
gar oft mußte der gute Benedict die Kunkelstube meiden und bis um
Mitternacht selbst spinnen; freilich spann das Mütterchen auch mit,

denn der Winter vergeht rasch und die Leinwand muß zeitig auf die
Bleiche, doch Mütterchen fing an, dem geistvollen und gelehrten
Benedict mit ihren endlosen Rosenkränzen allgemach langweilig zu
werden. Er wünschte oft, die Großmutter möge vom Kirchhofe
kommen und sich wieder statt seiner mindestens an die Kunkel setzen;
die Hanne kam jedoch nie wieder, sie hatte auf Erden genug gesponnen
und der Faden ihrer Pilgerfahrt war im letzten Spätjahr leise und sanft
abgerissen worden.
Der Communionunterricht beginnt, Benedict faßt freudige Hoffnungen,
wiewohl er erst im Sommer 14 Jahre alt wird, der Mittwoch vor dem
Palmensonntag macht dieselben zu Schanden, denn an diesem Tage
werden die Namen derer verlesen, welche zum erstenmale zum Tische
des Herrn gehen und aus der Schule entlassen werden. Zitternd vor
Erwartung sitzt er da, jeder Name zuckt wie ein Schwert durch seine
Seele, zuletzt wird noch dem Mathes die Erlösung vom Eselsbänklein
angekündiget, dann kommen die Namen der Mädchen, er kanns kaum
glauben, dennoch ist's richtig--sein eigener Name fehlt, der Lehrer mag
den Unterlehrer nicht vor der Zeit verlieren. Noch mehr, die Seraphin,
einer seiner Herzkäfer, der auch erst im Heumonat 14 Jahre alt wird,
darf als "die feinste, fleißigste und sittsamste" communiciren und die
ganze Schule hört an, wie der Lehrer erklärt, der Benedict müsse als
der "Leichtsinnigste von Allen" noch ein Jahr da bleiben.
Jetzt war Feuer unter dem Dache und brannte ein volles Jahr! ... Besaß
die Seraphin das gehörige Alter? Nein; wem hatte sie ihren Ehrenplatz
zu verdanken? Zum guten Theil dem Benedict, der ihr einsagte und alle
Schulaufgaben machte. Saß derselbe nicht an einem verdienten
Ehrenplatz? Und jetzt sollte jene "die Feinste, Fleißigste und
Sittsamste" und er dagegen "der Leichtsinnigste von Allen" sein?
Zunächst ward der Seraphin der Krieg erklärt und bald hieß das arme
Mädchen allenthalben nur "die Feinste, Fleißigste und Sittsamste" und
getraute sich nicht mehr, irgendwo hinzugehen aus Furcht vor Spott
und Hohn. Hat das Mädchen dem Lehrer nur Milch und nichts Anderes
schmeichelnd ins Haus getragen? Waren die Susanna und Margreth
nicht zweimal in der Nähe, als Seraphins Mutter den weißen Korb mit

einem noch weißern Tüchlein deckte und der Tochter empfahl, den
Herrn Pfarrer drüben doch recht inständig zu bitten, daß sie aus der
Schule komme und vorzustellen, was die alternde Mutter alles zu thun
habe? Würde der Benedict, wenn er Solches vorher gewußt hätte, nicht
dem Vater eine Kuh aus dem Stalle gezogen und dem Schulmeister
gebracht haben statt vergänglicher Milch und dies nur, um aus der
Schule zu kommen? ... Dem Pfarrer legte Benedict nichts in den Weg,
er besaß den Muth nicht dazu; desto schlimmer kochte er es dem
Schulmeister;-- statt des gehofften Unterlehrers besaß dieser jetzt einen
unbeugsam trotzigen, saumseligen und muthwilligen Schüler mehr, bei
welchem Milde und Güte, Bitten und Betteln so wenig fruchtete als
Drohungen und Schläge.
Schulaufgaben machte er für seine Herzkäfer, für sich selbst niemals
oder in der Art, wie jenen früher erwähnten Schuldschein. Fragte ihn
der Lehrer Etwas, so antwortete er trocken, er wisse es nicht oder
machte die Mitschüler zu lachen, bat ihn der Lehrer, ihn ein bischen
abzulösen, so ermahnte er denselben, sich an die "Feinste, Fleißigste
und Sittsamste" und nicht an den "Leichtsinnigsten von Allen" zu
wenden. Einmal mußte er hinaus, um die Sonnenuhr zu richten, was
Keiner besser verstand; er that's, verschwieg jedoch eine ganze Stunde
und der Lehrer machte fort, bis Weiber und Bursche kamen, um die
Kinder zum Mittagsessen aus der Schule fortzuholen; ein andermal
richtete er die Sonnenuhr so, daß der Lehrer die Schule fast um eine
Stunde zu früh schloß. Von jetzt ab mußte jedoch der Max aus dem
Rindhof die Sonnenuhr richten lernen, und weil der Lehrer sah, Hopfen
und Malz seien am Benedict verloren, kümmerte er sich auch allmälig
wenig darum, ob derselbe schwänze oder nicht und wenn er erschien,
mußte er neben
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