Wilhelm Meisters Wanderjahre, vol 2 | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
"Gr��?e, die mir sogleich andeuten, auf welcher Stufe der Bildung ein jeder dieser Knaben steht."
"D��rfen Sie mir aber", versetzte Wilhelm, "die Bedeutung des Stufengangs wohl erkl?ren? denn da? es einer sei, l??t sich wohl einsehen."-- "Die geb��hrt H?heren, als ich bin", antwortete jener; "so viel aber kann ich versichern, da? es nicht leere Grimassen sind, da? vielmehr den Kindern zwar nicht die h?chste, aber doch eine leitende, fa?liche Bedeutung ��berliefert wird; zugleich aber ist jedem geboten, f��r sich zu behalten und zu hegen, was man ihm als Bescheid zu erteilen f��r gut findet; sie d��rfen weder mit Fremden noch unter einander selbst dar��ber schwatzen, und so modifiziert sich die Lehre hundertf?ltig. Au?erdem hat das Geheimnis sehr gro?e Vorteile: denn wenn man dem Menschen gleich und immer sagt, worauf alles ankommt, so denkt er, es sei nichts dahinter. Gewissen Geheimnissen, und wenn sie offenbar w?ren, mu? man durch Verh��llen und Schweigen Achtung erweisen, denn dieses wirkt auf Scham und gute Sitten."--"Ich verstehe Sie", versetzte Wilhelm, "warum sollten wir das, was in k?rperlichen Dingen so n?tig ist, nicht auch geistig anwenden? Vielleicht aber k?nnen Sie in einem andern Bezug meine Neugierde befriedigen. Die gro?e Mannigfaltigkeit in Schnitt und Farbe der Kleider f?llt mir auf, und doch seh' ich nicht alle Farben, aber einige in allen ihren Abstufungen, vom Hellsten bis zum Dunkelsten. Doch bemerke ich, da? hier keine Bezeichnung der Stufen irgendeines Alters oder Verdienstes gemeint sein kann, indem die kleinsten und gr??ten Knaben untermischt so an Schnitt als Farbe gleich sein k?nnen, aber die von gleichen Geb?rden im Gewand nicht miteinander ��bereinstimmen."--"Auch was dies betrifft", versetzte der Begleitende, "darf ich mich nicht weiter auslassen; doch m��?te ich mich sehr irren, oder Sie werden ��ber alles, wie Sie nur w��nschen m?gen, aufgekl?rt von uns scheiden."
Man verfolgte nunmehr die Spur des Obern, welche man gefunden zu haben glaubte; nun aber mu?te dem Fremdling notwendig auffallen, da?, je weiter sie ins Land kamen, ein wohllautender Gesang ihnen immer mehr entgegent?nte. Was die Knaben auch begannen, bei welcher Arbeit man sie auch fand, immer sangen sie, und zwar schienen es Lieder jedem Gesch?ft besonders angemessen und in gleichen F?llen ��berall dieselben. Traten mehrere Kinder zusammen, so begleiteten sie sich wechselweise; gegen Abend fanden sich auch Tanzende, deren Schritte durch Ch?re belebt und geregelt wurden. Felix stimmte vom Pferde herab mit ein, und zwar nicht ganz ungl��cklich, Wilhelm vergn��gte sich an dieser die Gegend belebenden Unterhaltung.
"Wahrscheinlich", so sprach er zu seinem Gef?hrten, "wendet man viele Sorgfalt auf solchen Unterricht, denn sonst k?nnte diese Geschicklichkeit nicht so weit ausgebreitet und so vollkommen ausgebildet sein."--"Allerdings", versetzte jener, "bei uns ist der Gesang die erste Stufe der Bildung, alles andere schlie?t sich daran und wird dadurch vermittelt. Der einfachste Genu? sowie die einfachste Lehre werden bei uns durch Gesang belebt und eingepr?gt, ja selbst was wir ��berliefern von Glaubens--und Sittenbekenntnis, wird auf dem Wege des Gesanges mitgeteilt; andere Vorteile zu selbstt?tigen Zwecken verschwistern sich sogleich: denn indem wir die Kinder ��ben, T?ne, welche sie hervorbringen, mit Zeichen auf die Tafel schreiben zu lernen und nach Anla? dieser Zeichen sodann in ihrer Kehle wiederzufinden, ferner den Text darunterzuf��gen, so ��ben sie zugleich Hand, Ohr und Auge und gelangen schneller zum Recht--und Sch?nschreiben, als man denkt, und da dieses alles zuletzt nach reinen Ma?en, nach genau bestimmten Zahlen ausge��bt und nachgebildet werden mu?, so fassen sie den hohen Wert der Me?--und Rechenkunst viel geschwinder als auf jede andere Weise. Deshalb haben wir denn unter allem Denkbaren die Musik zum Element unserer Erziehung gew?hlt, denn von ihr laufen gleichgebahnte Wege nach allen Seiten."
Wilhelm suchte sich noch weiter zu unterrichten und verbarg seine Verwunderung nicht, da? er gar keine Instrumentalmusik vernehme. "Diese wird bei uns nicht vernachl?ssigt", versetzte jener, "aber in einen besondern Bezirk, in das anmutigste Bergtal, eingeschlossen ge��bt; und da ist denn wieder daf��r gesorgt, da? die verschiedenen Instrumente in auseinanderliegenden Ortschaften gelehrt werden. Besonders die Mi?t?ne der Anf?nger sind in gewisse Einsiedeleien verwiesen, wo sie niemand zur Verzweiflung bringen: denn Ihr werdet selbst gestehen, da? in der wohleingerichteten b��rgerlichen Gesellschaft kaum ein trauriger Leiden zu dulden sei, als das uns die Nachbarschaft eines angehenden Fl?ten--oder Violinenspielers aufdringt.
Unsere Anf?nger gehen, aus eigener l?blicher Gesinnung, niemand l?stig sein zu wollen, freiwillig l?nger oder k��rzer in die W��ste und beeifern sich, abgesondert, um das Verdienst, der bewohnten Welt n?hertreten zu d��rfen, weshalb jedem von Zeit zu Zeit ein Versuch, heranzutreten, erlaubt wird, der selten mi?lingt, weil wir Scham und Scheu bei dieser wie bei unsern ��brigen Einrichtungen gar wohl hegen und pflegen d��rfen. Da? Eurem Sohn eine gl��ckliche Stimme geworden, freut mich innigst, f��r das ��brige sorgt sich um desto leichter."
Nun waren sie zu einem Ort gelangt, wo Felix verweilen und sich an der Umgebung pr��fen sollte, bis man zur f?rmlichen Aufnahme geneigt w?re; schon von weitem h?rten sie einen freudigen Gesang; es
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