Wilhelm Meisters Lehrjahre | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
für mich! Aber ganz entzückt war ich, als beide den andern Morgen, jeder in einem galanten Billett, das mit einem Blumenstrau? begleitet war, sich nach meinem Befinden erkundigten. So fühlte ich nie mehr, wie ich da fühlte! Artigkeiten wurden mit Artigkeiten, Briefchen mit Briefchen erwidert. Kirche und Promenaden wurden von nun an zu Rendezvous; unsre jungen Bekannten luden uns schon jederzeit zusammen ein, wir aber waren schlau genug, die Sache dergestalt zu verdecken, da? die Eltern nicht mehr davon einsahen, als wir für gut hielten.
Nun hatte ich auf einmal zwei Liebhaber bekommen. Ich war für keinen entschieden; sie gefielen mir beide, und wir standen aufs beste zusammen. Auf einmal ward der ?ltere sehr krank; ich war selbst schon oft sehr krank gewesen und wu?te den Leidenden durch übersendung mancher Artigkeiten und für einen Kranken schicklicher Leckerbissen zu erfreuen, da? seine Eltern die Aufmerksamkeit dankbar erkannten, der Bitte des lieben Sohns Geh?r gaben und mich samt meinen Schwestern, sobald er nur das Bette verlassen hatte, zu ihm einluden. Die Z?rtlichkeit, womit er mich empfing, war nicht kindisch, und von dem Tage an war ich für ihn entschieden. Er warnte mich gleich, vor seinem Bruder geheim zu sein; allein das Feuer war nicht mehr zu verbergen, und die Eifersucht des Jüngern machte den Roman vollkommen. Er spielte uns tausend Streiche; mit Lust vernichtete er unsre Freunde und vermehrte dadurch die Leidenschaft, die er zu zerst?ren suchte.
Nun hatte ich denn wirklich das gewünschte Sch?fchen gefunden, und diese Leidenschaft hatte, wie sonst eine Krankheit, die Wirkung auf mich, da? sie mich still machte und mich von der schw?rmenden Freude zurückzog. Ich war einsam und gerührt, und Gott fiel mir wieder ein. Er blieb mein Vertrauter, und ich wei? wohl, mit welchen Tr?nen ich für den Knaben, der fortkr?nkelte, zu beten anhielt.
Soviel Kindisches in dem Vorgang war, soviel trug er zur Bildung meines Herzens bei. Unserm franz?sischen Sprachmeister mu?ten wir t?glich statt der sonst gew?hnlichen übersetzung Briefe von unsrer eignen Erfindung schreiben. Ich brachte meine Liebesgeschichte unter dem Namen Phyllis und Damon zu Markte. Der Alte sah bald durch, und um mich treuherzig zu machen, lobte er meine Arbeit gar sehr. Ich wurde immer kühner, ging offenherzig heraus und war bis ins Detail der Wahrheit getreu. Ich wei? nicht mehr, bei welcher Stelle er einst Gelegenheit nahm zu sagen: "Wie das artig, wie das natürlich ist! Aber die gute Phyllis mag sich in acht nehmen, es kann bald ernsthaft werden."
Mich verdro?, da? er die Sache nicht schon für ernsthaft hielt, und fragte ihn pikiert, was er unter ernsthaft verstehe? Er lie? sich nicht zweimal fragen und erkl?rte sich so deutlich, da? ich meinen Schrecken kaum verbergen konnte. Doch da sich gleich darauf bei mir der Verdru? einstellte und ich ihm übelnahm, da? er solche Gedanken hegen k?nne, fa?te ich mich, wollte meine Sch?ne rechtfertigen und sagte mit feuerroten Wangen: "Aber, mein Herr, Phyllis ist ein ehrbares M?dchen!"
Nun war er boshaft genug, mich mit meiner ehrbaren Heldin aufzuziehen und, indem wir Franz?sisch sprachen, mit dem "honnete" zu spielen, um die Ehrbarkeit der Phyllis durch alle Bedeutungen durchzuführen. Ich fühlte das L?cherliche und war ?u?erst verwirrt. Er, der mich nicht furchtsam machen wollte, brach ab, brachte aber das Gespr?ch bei andern Gelegenheiten wieder auf die Bahn. Schauspiele und kleine Geschichten, die ich bei ihm las und übersetzte, gaben ihm oft Anla? zu zeigen, was für ein schwacher Schutz die sogenannte Tugend gegen die Aufforderungen eines Affekts sei. Ich widersprach nicht mehr, ?rgerte mich aber immer heimlich, und seine Anmerkungen wurden mir zur Last.
Mit meinem guten Damon kam ich auch nach und nach aus aller Verbindung. Die Schikanen des Jüngern hatten unsern Umgang zerrissen. Nicht lange Zeit darauf starben beide blühende Jünglinge. Es tat mir weh, aber bald waren sie vergessen.
Phyllis wuchs nun schnell heran, war ganz gesund und fing an, die Welt zu sehen. Der Erbprinz verm?hlte sich und trat bald darauf nach dem Tode seines Vaters die Regierung an. Hof und Stadt waren in lebhafter Bewegung. Nun hatte meine Neugierde mancherlei Nahrung. Nun gab es Kom?dien, B?lle und was sich daran anschlie?t, und ob uns gleich die Eltern soviel als m?glich zurückhielten, so mu?te man doch bei Hof, wo ich eingeführt war, erscheinen. Die Fremden str?mten herbei, in allen H?usern war gro?e Welt, an uns selbst waren einige Kavaliere empfohlen und andre introduziert, und bei meinem Oheim waren alle Nationen anzutreffen.
Mein ehrlicher Mentor fuhr fort, mich auf eine bescheidene und doch treffende Weise zu warnen, und ich nahm es ihm immer heimlich übel. Ich war keinesweges von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugt, und vielleicht hatte ich auch damals recht, vielleicht hatte er unrecht, die Frauen unter allen Umst?nden für so schwach zu halten; aber er redete zugleich so zudringlich, da? mir einst bange wurde, er m?chte recht haben, da ich denn sehr lebhaft zu ihm sagte:
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