Wilhelm Meisters Lehrjahre | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
einmal nicht ganz Geist sind. W?ren wir in der Stadt, wo alles zu finden ist, so h?tte man diese kleine Summe in eine Uhr, einen Ring oder sonst etwas verwandelt; nun gebe ich aber den Zauberstab unmittelbar in Ihre H?nde; schaffen Sie sich ein Kleinod daf��r, das Ihnen am liebsten und am dienlichsten ist, und verwahren Sie es zu unserm Andenken. Dabei halten Sie ja den Beutel in Ehren. Die Damen haben ihn selbst gestrickt, und ihre Absicht war, durch das Gef?? dem Inhalt die annehmlichste Form zu geben."
"Vergeben Sie", versetzte Wilhelm, "meiner Verlegenheit und meinen Zweifeln, dieses Geschenk anzunehmen. Es vernichtet gleichsam das wenige, was ich getan habe, und hindert das freie Spiel einer gl��cklichen Erinnerung. Geld ist eine sch?ne Sache, wo etwas abgetan werden soll, und ich w��nschte nicht, in dem Andenken Ihres Hauses so ganz abgetan zu sein."
"Das ist nicht der Fall", versetzte der Baron; "aber indem Sie selbst zart empfinden, werden Sie nicht verlangen, da? der Graf sich v?llig als Ihren Schuldner denken soll: ein Mann, der seinen gr??ten Ehrgeiz darein setzt, aufmerksam und gerecht zu sein. Ihm ist nicht entgangen, welche M��he Sie sich gegeben und wie Sie seinen Absichten ganz Ihre Zeit gewidmet haben, ja er wei?, da? Sie, um gewisse Anstalten zu beschleunigen, Ihr eignes Geld nicht schonten. Wie will ich wieder vor ihm erscheinen, wenn ich ihn nicht versichern kann, da? seine Erkenntlichkeit Ihnen Vergn��gen gemacht hat."
"Wenn ich nur an mich selbst denken, wenn ich nur meinen eigenen Empfindungen folgen d��rfte", versetzte Wilhelm, "w��rde ich mich, ungeachtet aller Gr��nde, hartn?ckig weigern, diese Gabe, so sch?n und ehrenvoll sie ist, anzunehmen; aber ich leugne nicht, da? sie mich in dem Augenblicke, in dem sie mich in Verlegenheit setzt, aus einer Verlegenheit rei?t, in der ich mich bisher gegen die Meinigen befand und die mir manchen stillen Kummer verursachte. Ich habe sowohl mit dem Gelde als mit der Zeit, von denen ich Rechenschaft zu geben habe, nicht zum besten hausgehalten; nun wird es mir durch den Edelmut des Herrn Grafen m?glich, den Meinigen getrost von dem Gl��cke Nachricht zu geben, zu dem mich dieser sonderbare Seitenweg gef��hrt hat. Ich opfre die Delikatesse, die uns wie ein zartes Gewissen bei solchen Gelegenheiten warnt, einer h?hern Pflicht auf, und um meinem Vater mutig unter die Augen treten zu k?nnen, steh ich besch?mt vor den Ihrigen."
"Es ist sonderbar", versetzte der Baron, "welch ein wunderlich Bedenken man sich macht, Geld von Freunden und G?nnern anzunehmen, von denen man jede andere Gabe mit Dank und Freude empfangen w��rde. Die menschliche Natur hat mehr ?hnliche Eigenheiten, solche Skrupel gern zu erzeugen und sorgf?ltig zu n?hren."
"Ist es nicht das n?mliche mit allen Ehrenpunkten?" fragte Wilhelm.
"Ach ja", versetzte der Baron, "und andern Vorurteilen. Wir wollen sie nicht ausj?ten, um nicht vielleicht edle Pflanzen zugleich mit auszuraufen. Aber mich freut immer, wenn einzelne Personen f��hlen, ��ber was man sich hinaussetzen kann und soll, und ich denke mit Vergn��gen an die Geschichte des geistreichen Dichters, der f��r ein Hoftheater einige St��cke verfertigte, welche den ganzen Beifall des Monarchen erhielten. "Ich mu? ihn ansehnlich belohnen", sagte der gro?m��tige F��rst; "man forsche an ihm, ob ihm irgendein Kleinod Vergn��gen macht oder ob er nicht verschm?ht, Geld anzunehmen." Nach seiner scherzhaften Art antwortete der Dichter dem abgeordneten Hofmann: "Ich danke lebhaft f��r die gn?digen Gesinnungen, und da der Kaiser alle Tage Geld von uns nimmt, so sehe ich nicht ein, warum ich mich sch?men sollte, Geld von ihm anzunehmen.""
Der Baron hatte kaum das Zimmer verlassen, als Wilhelm eifrig die Barschaft z?hlte, die ihm so unvermutet und, wie er glaubte, so unverdient zugekommen war. Es schien, als ob ihm der Wert und die W��rde des Goldes, die uns in sp?tern Jahren erst f��hlbar werden, ahnungsweise zum erstenmal entgegenblickten, als die sch?nen, blinkenden St��cke aus dem zierlichen Beutel hervorrollten. Er machte seine Rechnung und fand, da? er, besonders da Melina den Vorschu? sogleich wieder zu bezahlen versprochen hatte, ebensoviel, ja noch mehr in Kassa habe als an jenem Tage, da Philine ihm den ersten Strau? abfordern lie?. Mit heimlicher Zufriedenheit blickte er auf sein Talent, mit einem kleinen Stolze auf das Gl��ck, das ihn geleitet und begleitet hatte. Er ergriff nunmehr mit Zuversicht die Feder, um einen Brief zu schreiben, der auf einmal die Familie aus aller Verlegenheit und sein bisheriges Betragen in das beste Licht setzen sollte. Er vermied eine eigentliche Erz?hlung und lie? nur in bedeutenden und mystischen Ausdr��cken dasjenige, was ihm begegnet sein k?nnte, erraten. Der gute Zustand seiner Kasse, der Erwerb, den er seinem Talent schuldig war, die Gunst der Gro?en, die Neigung der Frauen, die Bekanntschaft in einem weiten Kreise, die Ausbildung seiner k?rperlichen und geistigen Anlagen, die Hoffnung f��r die Zukunft bildeten ein solches wunderliches Luftgem?lde, da? Fata Morgagna selbst es nicht seltsamer h?tte durcheinanderwirken k?nnen.
In dieser gl��cklichen Exaltation fuhr er fort, nachdem
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