Wilhelm Meisters Lehrjahre | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
Regen, der unerwartet einfiel, konnte sie nicht aus diesen angenehmen Empfindungen rei?en; da er aber immer anhaltender und st?rker wurde, spürten viele von ihnen eine ziemliche Unbequemlichkeit. Die Nacht kam herbei, und erwünschter konnte ihnen nichts erscheinen als der durch alle Stockwerke erleuchtete Palast des Grafen, der ihnen von einem Hügel entgegengl?nzte, so da? sie die Fenster z?hlen konnten.
Als sie n?her kamen, fanden sie auch alle Fenster der Seitengeb?ude erhellet. Ein jeder dachte bei sich, welches wohl sein Zimmer werden m?chte, und die meisten begnügten sich bescheiden mit einer Stube in der Mansarde oder den Flügeln.
Nun fuhren sie durch das Dorf und am Wirtshause vorbei. Wilhelm lie? halten, um dort abzusteigen; allein der Wirt versicherte, da? er ihm nicht den geringsten Raum anweisen k?nne. Der Herr Graf habe, weil unvermutete G?ste angekommen, sogleich das ganze Wirtshaus besprochen, an allen Zimmern stehe schon seit gestern mit Kreide deutlich angeschrieben, wer darin wohnen solle. Wider seinen Willen mu?te also unser Freund mit der übrigen Gesellschaft zum Schlo?hofe hineinfahren.
Um die Küchenfeuer in einem Seitengeb?ude sahen sie gesch?ftige K?che sich hin und her bewegen und waren durch diesen Anblick schon erquickt; eilig kamen Bediente mit Lichtern auf die Treppe des Hauptgeb?udes gesprungen, und das Herz der guten Wanderer quoll über diesen Aussichten auf. Wie sehr verwunderten sie sich dagegen, als sich dieser Empfang in ein entsetzliches Fluchen aufl?ste. Die Bedienten schimpften auf die Fuhrleute, da? sie hier hereingefahren seien; sie sollten umwenden, rief man, und wieder hinaus nach dem alten Schlosse zu, hier sei kein Raum für diese G?ste! Einem so unfreundlichen und unerwarteten Bescheide fügten sie noch allerlei Sp?ttereien hinzu und lachten sich untereinander aus, da? sie durch diesen Irrtum in den Regen gesprengt worden. Es go? noch immer, keine Sterne standen am Himmel, und nun wurde die Gesellschaft durch einen holperichten Weg zwischen zwei Mauern in das alte, hintere Schlo? gezogen, welches unbewohnt dastand, seit der Vater des Grafen das vordere gebaut hatte. Teils im Hofe, teils unter einem langen, gew?lbten Torwege hielten die Wagen still, und die Fuhrleute, Anspanner aus dem Dorfe, spannten aus und ritten ihrer Wege.
Da niemand zum Empfange der Gesellschaft sich zeigte, stiegen sie aus, riefen, suchten, vergebens! Alles blieb finster und stille. Der Wind blies durch das hohe Tor, und grauerlich waren die alten Türme und H?fe, wovon sie kaum die Gestalten in der Finsternis unterschieden. Sie froren und schauerten, die Frauen fürchteten sich, die Kinder fingen an zu weinen, ihre Ungeduld vermehrte sich mit jedem Augenblicke, und ein so schneller Glückswechsel, auf den niemand vorbereitet war, brachte sie alle ganz und gar aus der Fassung.
Da sie jeden Augenblick erwarteten, da? jemand kommen und ihnen aufschlie?en werde, da bald Regen, bald Sturm sie t?uschte und sie mehr als einmal den Tritt des erwünschten Schlo?vogts zu h?ren glaubten, blieben sie eine lange Zeit unmutig und unt?tig, es fiel keinem ein, in das neue Schlo? zu gehen und dort mitleidige Seelen um Hülfe anzurufen. Sie konnten nicht begreifen, wo ihr Freund, der Baron, geblieben sei, und waren in einer h?chst beschwerlichen Lage.
Endlich kamen wirklich Menschen an, und man erkannte an ihren Stimmen jene Fu?g?nger, die auf dem Wege hinter den Fahrenden zurückgeblieben waren. Sie erz?hlten, da? der Baron mit dem Pferde gestürzt sei, sich am Fu?e stark besch?digt habe und da? man auch sie, da sie im Schlosse nachgefragt, mit Ungestüm hieher gewiesen habe.
Die ganze Gesellschaft war in der gr??ten Verlegenheit; man ratschlagte, was man tun sollte, und konnte keinen Entschlu? fassen. Endlich sah man von weitem eine Laterne kommen und holte frischen Atem; allein die Hoffnung einer baldigen Erl?sung verschwand auch wieder, indem die Erscheinung n?her kam und deutlich ward. Ein Reitknecht leuchtete dem bekannten Stallmeister des Grafen vor, und dieser erkundigte sich, als er n?her kam, sehr eifrig nach Mademoiselle Philinen. Sie war kaum aus dem übrigen Haufen hervorgetreten, als er ihr sehr dringend anbot, sie in das neue Schlo? zu führen, wo ein Pl?tzchen für sie bei den Kammerjungfern der Gr?fin bereitet sei. Sie besann sich nicht lange, das Anerbieten dankbar zu ergreifen, fa?te ihn bei dem Arme und wollte, da sie den andern ihren Koffer empfohlen, mit ihm forteilen; allein man trat ihnen in den Weg, fragte, bat, beschwor den Stallmeister, da? er endlich, um nur mit seiner Sch?nen loszukommen, alles versprach und versicherte, in kurzem solle das Schlo? er?ffnet und sie auf das beste einquartiert werden. Bald darauf sahen sie den Schein seiner Laterne verschwinden und hofften lange vergebens auf das neue Licht, das ihnen endlich nach vielem Warten, Schelten und Schm?hen erschien und sie mit einigem Troste und Hoffnung belebte.
Ein alter Hausknecht er?ffnete die Türe des alten Geb?udes, in das sie mit Gewalt eindrangen. Ein jeder sorgte nun für seine Sachen, sie abzupacken, sie hereinzuschaffen. Das meiste war, wie die Personen selbst, tüchtig durchweicht. Bei dem einen Lichte ging alles sehr langsam. Im
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 25
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.