Wilhelm Meisters Lehrjahre | Page 9

Johann Wolfgang von Goethe
Geb?ude stie? man sich, stolperte, fiel. Man bat um mehr Lichter, man bat um Feuerung. Der einsilbige Hausknecht lie? mit genauer Not seine Laterne da, ging und kam nicht wieder.
Nun fing man an, das Haus zu durchsuchen; die Türen aller Zimmer waren offen, gro?e ?fen, gewirkte Tapeten, eingelegte Fu?b?den waren von seiner vorigen Pracht noch übrig, von anderm Hausger?te aber nichts zu finden, kein Tisch, kein Stuhl, kein Spiegel, kaum einige ungeheuere leere Bettstellen, alles Schmuckes und alles Notwendigen beraubt. Die nassen Koffer und Mantels?cke wurden zu Sitzen gew?hlt, ein Teil der müden Wandrer bequemte sich auf dem Fu?boden, Wilhelm hatte sich auf einige Stufen gesetzt, Mignon lag auf seinen Knien; das Kind war unruhig, und auf seine Frage, was ihm fehlte, antwortete es: "Mich hungert!" Er fand nichts bei sich, um das Verlangen des Kindes zu stillen, die übrige Gesellschaft hatte jeden Vorrat auch aufgezehrt, und er mu?te die arme Kreatur ohne Erquickung lassen. Er blieb bei dem ganzen Vorfalle unt?tig, still in sich gekehrt: denn er war sehr verdrie?lich und grimmig, da? er nicht auf seinem Sinne bestanden und bei dem Wirtshause abgestiegen sei, wenn er auch auf dem obersten Boden h?tte sein Lager nehmen sollen.
Die übrigen geb?rdeten sich jeder nach seiner Art. Einige hatten einen Haufen altes Geh?lz in einen ungeheuren Kamin des Saals geschafft und zündeten mit gro?em Jauchzen den Scheiterhaufen an. Unglücklicherweise ward auch diese Hoffnung, sich zu trocknen und zu w?rmen, auf das schrecklichste get?uscht, denn dieser Kamin stand nur zur Zierde da und war von oben herein vermauert; der Dampf trat schnell zurück und erfüllte auf einmal die Zimmer; das dürre Holz schlug prasselnd in Flammen auf, und auch die Flamme ward herausgetrieben; der Zug, der durch die zerbrochenen Fensterscheiben drang, gab ihr eine unstete Richtung, man fürchtete das Schlo? anzuzünden, mu?te das Feuer auseinanderziehen, austreten, d?mpfen, der Rauch vermehrte sich, der Zustand wurde unertr?glicher, man kam der Verzweiflung nahe.
Wilhelm war vor dem Rauch in ein entferntes Zimmer gewichen, wohin ihm bald Mignon folgte und einen wohlgekleideten Bedienten, der eine hohe, hellbrennende, doppelt erleuchtete Laterne trug, hereinführte; dieser wendete sich an Wilhelmen, und indem er ihm auf einem sch?nen porzellanenen Teller Konfekt und Früchte überreichte, sagte er: "Dies schickt Ihnen das junge Frauenzimmer von drüben mit der Bitte, zur Gesellschaft zu kommen; sie l??t sagen", setzte der Bediente mit einer leichtfertigen Miene hinzu, "es geht ihr sehr wohl, und sie wünsche ihre Zufriedenheit mit ihren Freunden zu teilen."
Wilhelm erwartete nichts weniger als diesen Antrag, denn er hatte Philinen seit dem Abenteuer der steinernen Bank mit entschiedener Verachtung begegnet und war so fest entschlossen, keine Gemeinschaft mehr mit ihr zu machen, da? er im Begriff stand, die sü?e Gabe wieder zurückzuschicken, als ein bittender Blick Mignons ihn vermochte, sie anzunehmen und im Namen des Kindes dafür zu danken; die Einladung schlug er ganz aus. Er bat den Bedienten, einige Sorge für die angekommene Gesellschaft zu haben, und erkundigte sich nach dem Baron. Dieser lag zu Bette, hatte aber schon, soviel der Bediente zu sagen wu?te, einem andern Auftrag gegeben, für die elend Beherbergten zu sorgen.
Der Bediente ging und hinterlie? Wilhelmen eins von seinen Lichtern, das dieser in Ermanglung eines Leuchters auf das Fenstergesims kleben mu?te und nun wenigstens bei seinen Betrachtungen die vier W?nde des Zimmers erhellt sah. Denn es w?hrte noch lange, ehe die Anstalten rege wurden, die unsere G?ste zur Ruhe bringen sollten. Nach und nach kamen Lichter, jedoch ohne Lichtputzen, dann einige Stühle, eine Stunde darauf Deckbetten, dann Kissen, alles wohl durchnetzt, und es war schon weit über Mitternacht, als endlich Strohs?cke und Matratzen herbeigeschafft wurden, die, wenn man sie zuerst gehabt h?tte, h?chst willkommen gewesen w?ren.
In der Zwischenzeit war auch etwas von Essen und Trinken angelangt, das ohne viele Kritik genossen wurde, ob es gleich einem sehr unordentlichen Abhub ?hnlich sah und von der Achtung, die man für die G?ste hatte, kein sonderliches Zeugnis ablegte.

III. Buch, 4. Kapitel

Viertes Kapitel
Durch die Unart und den übermut einiger leichtfertigen Gesellen vermehrte sich die Unruhe und das übel der Nacht, indem sie sich einander neckten, aufweckten und sich wechselsweise allerlei Streiche spielten. Der andere Morgen brach an, unter lauten Klagen über ihren Freund, den Baron, da? er sie so get?uscht und ihnen ein ganz anderes Bild von der Ordnung und Bequemlichkeit, in die sie kommen würden, gemacht habe. Doch zur Verwunderung und Trost erschien in aller Frühe der Graf selbst mit einigen Bedienten und erkundigte sich nach ihren Umst?nden. Er war sehr entrüstet, als er h?rte, wie übel es ihnen ergangen, und der Baron, der geführt herbeihinkte, verklagte den Haushofmeister, wie befehlswidrig er sich bei dieser Gelegenheit gezeigt, und glaubte ihm ein rechtes Bad angerichtet zu haben.
Der Graf befahl sogleich, da? alles in seiner Gegenwart zur m?glichsten Bequemlichkeit der G?ste geordnet werden solle. Darauf kamen einige Offiziere, die von den Aktricen sogleich Kundschaft nahmen,
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