er war, seinen liebsten Vorstellungen zu entsagen, so war doch einige Zeit n?tig, um ihn von seinem Unglücke v?llig zu überzeugen. Endlich aber hatte er jede Hoffnung der Liebe, des poetischen Hervorbringens und der pers?nlichen Darstellung mit triftigen Gründen so ganz in sich vernichtet, da? er Mut fa?te, alle Spuren seiner Torheit, alles, was ihn irgend noch daran erinnern k?nnte, v?llig auszul?schen. Er hatte daher an einem kühlen Abende ein Kaminfeuer angezündet und holte ein Reliquienk?stchen hervor, in welchem sich hunderterlei Kleinigkeiten fanden, die er in bedeutenden Augenblicken von Marianen erhalten oder derselben geraubt hatte. Jede vertrocknete Blume erinnerte ihn an die Zeit, da sie noch frisch in ihren Haaren blühte; jedes Zettelchen an die glückliche Stunde, wozu sie ihn dadurch einlud; jede Schleife an den lieblichen Ruheplatz seines Hauptes, ihren sch?nen Busen. Mu?te nicht auf diese Weise jede Empfindung, die er schon lange get?tet glaubte, sich wieder zu bewegen anfangen? Mu?te nicht die Leidenschaft, über die er, abgeschieden von seiner Geliebten, Herr geworden war, in der Gegenwart dieser Kleinigkeiten wieder m?chtig werden? Denn wir merken erst, wie traurig und unangenehm ein trüber Tag ist, wenn ein einziger durchdringender Sonnenblick uns den aufmunternden Glanz einer heitern Stunde darstellt.
Nicht ohne Bewegung sah er daher diese so lange bewahrten Heiligtümer nacheinander in Rauch und Flamme vor sich aufgehen. Einigemal hielt er zaudernd inne und hatte noch eine Perlenschnur und ein flornes Halstuch übrig, als er sich entschlo?, mit den dichterischen Versuchen seiner Jugend das abnehmende Feuer wieder aufzufrischen.
Bis jetzt hatte er alles sorgf?ltig aufgehoben, was ihm, von der frühsten Entwicklung seines Geistes an, aus der Feder geflossen war. Noch lagen seine Schriften in Bündel gebunden auf dem Boden des Koffers, wohin er sie gepackt hatte, als er sie auf seiner Flucht mitzunehmen hoffte. Wie ganz anders er?ffnete er sie jetzt, als er sie damals zusammenband!
Wenn wir einen Brief, den wir unter gewissen Umst?nden geschrieben und gesiegelt haben, der aber den Freund, an den er gerichtet war, nicht antrifft, sondern wieder zu uns zurückgebracht wird, nach einiger Zeit er?ffnen, überf?llt uns eine sonderbare Empfindung, indem wir unser eignes Siegel erbrechen und uns mit unserm ver?nderten Selbst wie mit einer dritten Person unterhalten. Ein ?hnliches Gefühl ergriff mit Heftigkeit unsern Freund, als er das erste Paket er?ffnete und die zerteilten Hefte ins Feuer warf, die eben gewaltsam aufloderten, als Werner hereintrat, sich über die lebhafte Flamme verwunderte und fragte, was hier vorgehe.
"Ich gebe einen Beweis", sagte Wilhelm, "da? es mir Ernst sei, ein Handwerk aufzugeben, wozu ich nicht geboren ward"; und mit diesen Worten warf er das zweite Paket in das Feuer. Werner wollte ihn abhalten, allein es war geschehen.
"Ich sehe nicht ein, wie du zu diesem Extrem kommst", sagte dieser. "Warum sollen denn nun diese Arbeiten, wenn sie nicht vortrefflich sind, gar vernichtet werden?"
"Weil ein Gedicht entweder vortrefflich sein oder gar nicht existieren soll; weil jeder, der keine Anlage hat, das Beste zu leisten, sich der Kunst enthalten und sich vor jeder Verführung dazu ernstlich in acht nehmen sollte. Denn freilich regt sich in jedem Menschen ein gewisses unbestimmtes Verlangen, dasjenige, was er sieht, nachzuahmen; aber dieses Verlangen beweist gar nicht, da? auch die Kraft in uns wohne, mit dem, was wir unternehmen, zustande zu kommen. Sieh nur die Knaben an, wie sie jedesmal, sooft Seilt?nzer in der Stadt gewesen, auf allen Planken und Balken hin und wider gehen und balancieren, bis ein anderer Reiz sie wieder zu einem ?hnlichen Spiele hinzieht. Hast du es nicht in dem Zirkel unsrer Freunde bemerkt? Sooft sich ein Virtuose h?ren l??t, finden sich immer einige, die sogleich dasselbe Instrument zu lernen anfangen. Wie viele irren auf diesem Wege herum! Glücklich, wer den Fehlschlu? von seinen Wünschen auf seine Kr?fte bald gewahr wird!"
Werner widersprach; die Unterredung ward lebhaft, und Wilhelm konnte nicht ohne Bewegung die Argumente, mit denen er sich selbst so oft gequ?lt hatte, gegen seinen Freund wiederholen. Werner behauptete, es sei nicht vernünftig, ein Talent, zu dem man nur einigerma?en Neigung und Geschick habe, deswegen, weil man es niemals in der gr??ten Vollkommenheit ausüben werde, ganz aufzugeben. Es finde sich ja so manche leere Zeit, die man dadurch ausfüllen und nach und nach etwas hervorbringen k?nne, wodurch wir uns und andern ein Vergnügen bereiten.
Unser Freund, der hierin ganz anderer Meinung war, fiel ihm sogleich ein und sagte mit gro?er Lebhaftigkeit:
"Wie sehr irrst du, lieber Freund, wenn du glaubst, da? ein Werk, dessen erste Vorstellung die ganze Seele füllen mu?, in unterbrochenen, zusammengegeizten Stunden k?nne hervorgebracht werden. Nein, der Dichter mu? ganz sich, ganz in seinen geliebten Gegenst?nden leben. Er, der vom Himmel innerlich auf das k?stlichste begabt ist, der einen sich immer selbst vermehrenden Schatz im Busen bewahrt, er mu? auch von au?en ungest?rt mit seinen Sch?tzen in der stillen Glückseligkeit leben, die ein Reicher vergebens mit aufgeh?uften Gütern um sich hervorzubringen sucht. Sieh die
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