Wilhelm Meisters Lehrjahre | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
durch den ��bel verschlossenen Schieber heraushingen. Ahnungsvoll fiel ich dar��ber her; und mit welcher ��berirdischen Empfindung entdeckte ich, da? darin meine Helden- und Freudenwelt aufeinandergepackt sei! Ich wollte die obersten aufheben, betrachten, die untersten hervorziehen; allein gar bald verwirrte ich die leichten Dr?hte, kam dar��ber in Unruhe und Bangigkeit, besonders da die K?chin in der benachbarten K��che einige Bewegungen machte, da? ich alles, so gut ich konnte, zusammendr��ckte, den Kasten zuschob, nur ein geschriebenes B��chelchen, worin die Kom?die von David und Goliath aufgezeichnet war, das obenauf gelegen hatte, zu mir steckte und mich mit dieser Beute leise die Treppe hinauf in eine Dachkammer rettete.
Von der Zeit an wandte ich alle verstohlenen einsamen Stunden darauf, mein Schauspiel wiederholt zu lesen, es auswendig zu lernen und mir in Gedanken vorzustellen, wie herrlich es sein m��?te, wenn ich auch die Gestalten dazu mit meinen Fingern beleben k?nnte. Ich ward dar��ber in meinen Gedanken selbst zum David und Goliath. In allen Winkeln des Bodens, der St?lle, des Gartens, unter allerlei Umst?nden studierte ich das St��ck ganz in mich hinein, ergriff alle Rollen und lernte sie auswendig, nur da? ich mich meist an den Platz der Haupthelden zu setzen pflegte und die ��brigen wie Trabanten nur im Ged?chtnisse mitlaufen lie?. So lagen mir die gro?m��tigen Reden Davids, mit denen er den ��berm��tigen Riesen Goliath herausforderte, Tag und Nacht im Sinne; ich murmelte sie oft vor mich hin, niemand gab acht darauf als der Vater, der manchmal einen solchen Ausruf bemerkte und bei sich selbst das gute Ged?chtnis seines Knaben pries, der von so wenigem Zuh?ren so mancherlei habe behalten k?nnen.
Hierdurch ward ich immer verwegener und rezitierte eines Abends das St��ck zum gr??ten Teile vor meiner Mutter, indem ich mir einige Wachskl��mpchen zu Schauspielern bereitete. Sie merkte auf, drang in mich, und ich gestand.
Gl��cklicherweise fiel diese Entdeckung in die Zeit, da der Lieutenant selbst den Wunsch ge?u?ert hatte, mich in diese Geheimnisse einweihen zu d��rfen. Meine Mutter gab ihm sogleich Nachricht von dem unerwarteten Talente ihres Sohnes, und er wu?te nun einzuleiten, da? man ihm ein Paar Zimmer im obersten Stocke, die gew?hnlich leer standen, ��berlie?, in deren einem wieder die Zuschauer sitzen, in dem andern die Schauspieler sein, und das Proszenium abermals die ?ffnung der T��re ausf��llen sollte. Der Vater hatte seinem Freunde das alles zu veranstalten erlaubt, er selbst schien nur durch die Finger zu sehen, nach dem Grundsatze, man m��sse die Kinder nicht merken lassen, wie lieb man sie habe, sie griffen immer zu weit um sich; er meinte, man m��sse bei ihren Freuden ernst scheinen und sie ihnen manchmal verderben, damit ihre Zufriedenheit sie nicht ��berm??ig und ��berm��tig mache."

I. Buch, 6. Kapitel

Sechstes Kapitel
"Der Lieutenant schlug nunmehr das Theater auf und besorgte das ��brige. Ich merkte wohl, da? er die Woche mehrmals zu ungew?hnlicher Zeit ins Haus kam, und vermutete die Absicht. Meine Begierde wuchs unglaublich, da ich wohl f��hlte, da? ich vor Sonnabends keinen Teil an dem, was zubereitet wurde, nehmen durfte. Endlich erschien der gew��nschte Tag. Abends um f��nf Uhr kam mein F��hrer und nahm mich mit hinauf. Zitternd vor Freude trat ich hinein und erblickte auf beiden Seiten des Gestelles die herabh?ngenden Puppen in der Ordnung, wie sie auftreten sollten; ich betrachtete sie sorgf?ltig, stieg auf den Tritt, der mich ��ber das Theater erhub, so da? ich nun ��ber der kleinen Welt schwebte. Ich sah nicht ohne Ehrfurcht zwischen die Brettchen hinunter, weil die Erinnerung, welche herrliche Wirkung das Ganze von au?en tue, und das Gef��hl, in welche Geheimnisse ich eingeweiht sei, mich umfa?ten. Wir machten einen Versuch, und es ging gut.
Den andern Tag, da eine Gesellschaft Kinder geladen war, hielten wir uns trefflich, au?er da? ich in dem Feuer der Aktion meinen Jonathan fallen lie? und gen?tigt war, mit der Hand hinunterzugreifen und ihn zu holen: ein Zufall, der die Illusion sehr unterbrach, ein gro?es Gel?chter verursachte und mich uns?glich kr?nkte. Auch schien dieses Versehn dem Vater sehr willkommen zu sein, der das gro?e Vergn��gen, sein S?hnchen so f?hig zu sehen, wohlbed?chtig nicht an den Tag gab, nach geendigtem St��cke sich gleich an die Fehler hing und sagte, es w?re recht artig gewesen, wenn nur dies oder das nicht versagt h?tte.
Mich kr?nkte das innig, ich ward traurig f��r den Abend, hatte aber am kommenden Morgen allen Verdru? schon wieder verschlafen und war in dem Gedanken selig, da? ich, au?er jenem Ungl��ck, trefflich gespielt habe. Dazu kam der Beifall der Zuschauer, welche durchaus behaupteten: obgleich der Lieutenant in Absicht der groben und feinen Stimme sehr viel getan habe, so peroriere er doch meist zu affektiert und steif; dagegen spreche der neue Anf?nger seinen David und Jonathan vortrefflich; besonders lobte die Mutter den freim��tigen Ausdruck, wie ich den Goliath herausgefordert und dem K?nige den bescheidenen Sieger vorgestellt habe.
Nun blieb zu meiner gr??ten Freude das Theater aufgeschlagen, und da der Fr��hling herbeikam
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