Wilhelm Meisters Lehrjahre | Page 9

Johann Wolfgang von Goethe
und man ohne Feuer bestehen konnte, lag ich in meinen Frei- und Spielstunden in der Kammer und lie? die Puppen wacker durcheinanderspielen. Oft lud ich meine Geschwister und Kameraden hinauf; wenn sie aber auch nicht kommen wollten, war ich allein oben. Meine Einbildungskraft br��tete ��ber der kleinen Welt, die gar bald eine andere Gestalt gewann.
Ich hatte kaum das erste St��ck, wozu Theater und Schauspieler geschaffen und gestempelt waren, etlichemal aufgef��hrt, als es mir schon keine Freude mehr machte. Dagegen waren mir unter den B��chern des Gro?vaters die "Deutsche Schaub��hne" und verschiedene italienisch-deutsche Opern in die H?nde gekommen, in die ich mich sehr vertiefte und jedesmal nur erst vorne die Personen ��berrechnete und dann sogleich ohne weiteres zur Auff��hrung des St��ckes schritt. Da mu?te nun K?nig Saul in seinem schwarzen Samtkleide den Chaumigrem, Cato und Darius spielen; wobei zu bemerken ist, da? die St��cke niemals ganz, sondern meistenteils nur die f��nften Akte, wo es an ein Totstechen ging, aufgef��hrt wurden.
Auch war es nat��rlich, da? mich die Oper mit ihren mannigfaltigen Ver?nderungen und Abenteuern mehr als alles anziehen mu?te. Ich fand darin st��rmische Meere, G?tter, die in Wolken herabkommen, und, was mich vorz��glich gl��cklich machte, Blitze und Donner. Ich half mir mit Pappe, Farbe und Papier, wu?te gar trefflich Nacht zu machen, der Blitz war f��rchterlich anzusehen, nur der Donner gelang nicht immer, doch das hatte so viel nicht zu sagen. Auch fand sich in den Opern mehr Gelegenheit, meinen David und Goliath anzubringen, welches im regelm??igen Drama gar nicht angehen wollte. Ich f��hlte t?glich mehr Anh?nglichkeit f��r das enge Pl?tzchen, wo ich so manche Freude geno?; und ich gestehe, da? der Geruch, den die Puppen aus der Speisekammer an sich gezogen hatten, nicht wenig dazu beitrug.
Die Dekorationen meines Theaters waren nunmehr in ziemlicher Vollkommenheit; denn da? ich von Jugend auf ein Geschick gehabt hatte, mit dem Zirkel umzugehen, Pappe auszuschneiden und Bilder zu illuminieren, kam mir jetzt wohl zustatten. Um desto weher tat es mir, wenn mich gar oft das Personal an Ausf��hrung gro?er Sachen hinderte.
Meine Schwestern, indem sie ihre Puppen aus- und ankleideten, erregten in mir den Gedanken, meinen Helden auch nach und nach bewegliche Kleider zu verschaffen. Man trennte ihnen die L?ppchen vom Leibe, setzte sie, so gut man konnte, zusammen, sparte sich etwas Geld, kaufte neues Band und Flittern, bettelte sich manches St��ckchen Taft zusammen und schaffte nach und nach eine Theatergarderobe an, in welcher besonders die Reifr?cke f��r die Damen nicht vergessen waren.
Die Truppe war nun wirklich mit Kleidern f��r das gr??te St��ck versehen, und man h?tte denken sollen, es w��rde nun erst recht eine Auff��hrung der andern folgen; aber es ging mir, wie es den Kindern ?fter zu gehen pflegt: sie fassen weite Plane, machen gro?e Anstalten, auch wohl einige Versuche, und es bleibt alles zusammen liegen. Dieses Fehlers mu? ich mich auch anklagen. Die gr??te Freude lag bei mir in der Erfindung und in der Besch?ftigung der Einbildungskraft. Dies oder jenes St��ck interessierte mich um irgendeiner Szene willen, und ich lie? gleich wieder neue Kleider dazu machen. ��ber solchen Anstalten waren die urspr��nglichen Kleidungsst��cke meiner Helden in Unordnung geraten und verschleppt worden, da? also nicht einmal das erste gro?e St��ck mehr aufgef��hrt werden konnte. Ich ��berlie? mich meiner Phantasie, probierte und bereitete ewig, baute tausend Luftschl?sser und sp��rte nicht, da? ich den Grund des kleinen Geb?udes zerst?rt hatte."
W?hrend dieser Erz?hlung hatte Mariane alle ihre Freundlichkeit gegen Wilhelm aufgeboten, um ihre Schl?frigkeit zu verbergen. So scherzhaft die Begebenheit von einer Seite schien, so war sie ihr doch zu einfach und die Betrachtungen dabei zu ernsthaft. Sie setzte z?rtlich ihren Fu? auf den Fu? des Geliebten und gab ihm scheinbare Zeichen ihrer Aufmerksamkeit und ihres Beifalls. Sie trank aus seinem Glase, und Wilhelm war ��berzeugt, es sei kein Wort seiner Geschichte auf die Erde gefallen. Nach einer kleinen Pause rief er aus, "Es ist nun an dir, Mariane, mir auch deine ersten jugendlichen Freuden mitzuteilen. Noch waren wir immer zu sehr mit dem Gegenw?rtigen besch?ftigt, als da? wir uns wechselseitig um unsere vorige Lebensweise h?tten bek��mmern k?nnen. Sage mir: unter welchen Umst?nden bist du erzogen? Welche sind die ersten lebhaften Eindr��cke, deren du dich erinnerst?"
Diese Fragen w��rden Marianen in gro?e Verlegenheit gesetzt haben, wenn ihr die Alte nicht sogleich zu H��lfe gekommen w?re. "Glauben Sie denn", sagte das kluge Weib, "da? wir auf das, was uns fr��h begegnet, so aufmerksam sind, da? wir so artige Begebenheiten zu erz?hlen haben und, wenn wir sie zu erz?hlen h?tten, da? wir der Sache auch ein solches Geschick zu geben w��?ten?"
"Als wenn es dessen bed��rfte!" rief Wilhelm aus. "Ich liebe dieses z?rtliche, gute, liebliche Gesch?pf so sehr, da? mich jeder Augenblick meines Lebens verdrie?t, den ich ohne sie zugebracht habe. La? mich wenigstens durch die Einbildungskraft teil an deinem vergangenen Leben nehmen! Erz?hle mir alles, ich will dir alles erz?hlen. Wir
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