"So, nun sind wir alle einer Meinung", bemerkte die Mutter, "nun
können die Kinder in Frieden zu Bett gehen."
Auf diese Anzeige hin drohte dem Frieden gleich eine Störung. Aber es
half nichts, die alte Trine stand schon vor der Tür und achtete darauf,
daß die Hausordnung nicht überschritten wurde. Die Kinder mußten
sich verabschieden, und gleich nachher verschwand die Mutter auch
noch einmal, denn die Kinder schliefen nicht ein, ohne daß die Mutter
zum Nachtgebet an ihre Betten gekommen war.
Als nun alles still und ruhig war, kam die Mutter wieder zu den Herren
zurück und setzte sich gemütlich hin.
"Endlich", sagte da der Oberst aufatmend, als habe er eine harte
Schlacht hinter sich. "Siehst du, Max, erst gehört meine Frau dem
Schreiner Andres, dann ihren Kindern und dann ihrem Mann, wenn
noch etwas übrigbleibt."
"Und siehst du, Max", sagte die Mutter lachend, "wenn mein Mann
noch so spottet--er mag unseren guten Schreiner Andres gerade so gern
wie wir alle. Gestehe es nur ein, Otto! Eben hat mir Andres auch für
dich noch einen Auftrag übergeben, er hat seine jährliche Summe
gebracht und bittet um deine Hilfe."
"Das ist wahr", sagte der Oberst, "einen ordentlicheren, fleißigeren,
zuverlässigeren Mann kenne ich nicht. Dem würde ich Weib und Kind
und Hab und Gut und alles anvertrauen wie keinem anderen. Das ist der
ehrlichste Mann in unserer ganzen Gemeinde und noch weit darüber
hinaus."
"Jetzt siehst du, Max", sagte die Frau lachend, "ich konnte doch nicht
mehr sagen."
Ihr Bruder lachte mit über den Eifer, in den der Oberst unversehens
gefallen war. Dann entgegnete er: "Nun habt ihr mir alle so viel von
eurem Wundermann vorerzählt, daß ich wirklich wissen möchte, woher
er stammt und wie er aussieht. Habe ich ihn denn noch nicht hier
gesehen?"
"Ach, du hast ihn ja so gut gekannt, Max", entgegnete seine Schwester.
"Du mußt dich noch an den Andres erinnern, mit dem wir zur Schule
gingen. Weißt du denn nicht mehr, wie zwei Brüder zusammen in
derselben Klasse mit dir waren? Der ältere war damals schon ein
rechter Taugenichts. Er war nicht dumm, aber tat nichts und blieb
darum stecken und kam dann mit dem viel jüngeren Bruder in eine
Klasse zusammen, in der du auch warst. Du mußt dich gewiß erinnern,
er hieß Jörg und hatte ganz schwarzes, steifes Haar. Er bewarf uns, wo
er konnte, mit irgend etwas, mit unreifen Äpfeln und Birnen und dann
mit Schneebällen, und rief uns überall nach: 'Aristokratenbrut!'"
"Oh, der!" rief Onkel Max lachend, "ja, nun weiß ich auf einmal alles.
Richtig, 'Aristokratenbrut' rief er uns beständig nach. Ich möchte nur
wissen, wie ihm das Wort in den Sinn kam. Er war ein widerwärtiger
Kerl. Da sah ich ihn einmal einen viel kleineren Jungen ganz
unbarmherzig durchprügeln. Dem half ich aber, dafür rief er mir
mindestens zwölfmal nach: 'Aristokratenbrut!' Ach, nun weiß ich auch
auf einmal, wer der andere war. Das war der magere, kleine Andres,
sein Bruder, das ist gewiß euer Andres. Und dann ist das auch der
Andres mit den Veilchen, nicht wahr, Marie? Oh, jetzt verstehe ich
schon die dicke Freundschaft." Onkel Max lachte aufs neue auf.
"Was für Veilchen? Das muß ich wissen", fiel der Oberst ein.
"Oh, die Geschichte ist mir auf einmal vor Augen, als wäre sie gestern
geschehen", sagte der Onkel ganz angeregt von seinen Erinnerungen.
"Die muß ich dir erzählen, Otto. Du weißt vielleicht durch deine Frau,
daß wir hier im Dorf in jenen glücklichen Zeiten unserer Kindheit einen
alten Schullehrer hatten, der fand, daß alle Mängel der Schulkinder aus
ihnen heraus- und alle Fähigkeiten und guten Eigenschaften in sie
hineingeprügelt werden könnten. So war er gezwungen, sehr viel zu
prügeln, um den einen oder andern guten Zweck zu erreichen,
manchmal auch beide auf einmal. Einmal nun war ihm der magere
Andres unter die Hand gekommen. Dem schlug er nun so kräftig seine
wohlgemeinte Ermahnung auf den Rücken, daß der Andres laut
aufschrie. In diesem Augenblick stand meine kleine Schwester, die
kürzlich in die Schule eingetreten war und sich noch nicht so recht in
die dort herrschenden Gebräuche eingelebt hatte, plötzlich auf von
ihrem Sitz in der ersten Bank. Sie lief eilig zur Tür. Der Schullehrer
hielt inne mit seiner Arbeit und rief ihr nach: 'Wohin läufst du?' Marie
kehrte sich um. Die hellen Tränen liefen ihr über die Backen, und sie
sagte ganz aufrichtig: 'Ich will heimgehen und es dem Papa sagen.'
'Wart, ich will dir!' rief jetzt der Schullehrer überrascht und stürzte vom
Andres weg auf die kleine Marie los. Die prügelte er aber nicht, er
nahm sie nur beim Arm und setzte sie ziemlich fest auf ihren Platz hin.
Dann sagte er noch einmal: 'Wart, ich will dir!' Damit war aber alles
abgetan. Auch der Andres wurde in Ruhe gelassen, und so nahm alles
einen friedlichen Ausgang. Aber die Tränen, die
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