West-oestlicher Divan | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
so wohl hernach,
Wer sträubte sich dagegen?
Und
wenn den Hals der eine brach,
Der andre bleibt verwegen.
Verzeihe, Meister, wie du weißt,
Daß ich mich oft vermesse,
Wenn
sie das Auge nach sich reißt,
Die wandelnde Cypresse.
Wie Wurzelfasern schleicht ihr Fuß
Und buhlet mit dem Boden,

Wie leicht Gewölk verschmilzt ihr Gruß,
Wie Ost-Gekos' ihr Oden.
Das alles drängt uns ahndevoll,
Wo Lock an Locke kräuselt,
In
brauner Fülle ringelnd schwoll,
Sodann im Winde säuselt.
Nun öffnet sich die Stirne klar,
Dein Herz damit zu glätten,

Vernimmst ein Lied so froh und wahr,
Den Geist darin zu betten.
Und wenn die Lippen sich dabei
Aufs niedlichste bewegen,
Sie
machen dich auf einmal frei,
In Fesseln dich zu legen.
Der Atem will nicht mehr zurück,
Die Seel zur Seele fliehend,


Gerüche winden sich durchs Glück
Unsichtbar wolkig ziehend.
Doch wenn es allgewaltig brennt,
Dann greifst du nach der Schale:

Der Schenke läuft, der Schenke kömmt
Zum erst- und zweiten Male.
Sein Auge blitzt, sein Herz erbebt,
Er hofft auf deine Lehren,
Dich,
wenn der Wein den Geist erhebt,
Im höchsten Sinn zu hören.
Ihm öffnet sich der Welten Raum,
Im Innern Heil und Orden,
Es
schwillt die Brust, es bräunt der Flaum,
Er ist ein Jüngling worden.
Und wenn dir kein Geheimnis blieb,
Was Herz und Welt enthalte,

Dem Denker winkst du treu und lieb,
Daß sich der Sinn entfalte.
Auch daß vom Throne Fürstenhort
Sich nicht für uns verliere.
Gibst
du dem Schah ein gutes Wort
Und gibst es dem Wesire.
Das alles kennst und singst du heut
Und singst es morgen eben:
So
trägt uns freundlich dein Geleit
Durchs rauhe, milde Leben.
Buch der Liebe
Ushk Nameh: Buch der Liebe
Sage mir,
Was mein Herz begehrt?
"Mein Herz ist bei dir,
Halt es wert!"
Musterbilder
Hör und bewahre
Sechs Liebespaare!
Wortbild entzündet, Liebe
schürt zu:
Rustan und Rodawu.
Unbekannte sind sich nah:

Jussuph und Suleika.
Liebe, nicht Liebesgewinn:
Ferhad und
Schirin.
Nur für einander da:
Medschnun und Leila.
Liebend im
Alter sah
Dschemil auf Boteinah.
Süße Liebeslaune:
Salomo und
die Braune!
Hast du sie wohl vermerkt?
Bist im Lieben gestärkt.

Noch ein Paar
Ja, Lieben ist ein groß Verdienst!
Wer findet schöneren Gewinst?--

Du wirst nicht mächtig, wirst nicht reich,
Jedoch den größten Helden
gleich.
Man wird so gut wie vom Propheten
Von Wamik und von
Asra reden.--
Nicht reden wird man, wird sie nennen:
Die Namen
müssen alle kennen.
Was sie getan, was sie geübt,
Das weiß kein
Mensch! Daß sie geliebt,
Das wissen wir. Genug gesagt,
Wenn man
nach Wamik und Asra fragt!
Lesebuch
Wunderlichstes Buch der Bücher
Ist das Buch der Liebe.

Aufmerksam hab ich's gelesen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze
Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung.
Wiedersehn!
ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers,
Mit
Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß.
O Nisami!--doch am
Ende
Hast den rechten Weg gefunden:
Unauflösliches, wer löst es?

Liebende, sich wiederfindend.
Ja, die Augen waren's
Ja, die Augen waren's, ja, der Mund,
Die mir blickten, die mich
küßten.
Hüfte schmal, der Leib so rund,
Wie zu Paradieses Lüsten!

War sie da? Wo ist sie hin?
Ja, sie war's, sie hat's gegeben,
Hat
gegeben sich im Fliehn
Und gefesselt all mein Leben.
Gewarnt
Auch in Locken hab ich mich
Gar zu gern verfangen.
Und so, Hafis,
wär's wie dir
Deinem Freund ergangen.
Aber Zöpfe flechten sie,
Nun aus langen Haaren;
Unterm Helme
fechten sie,
Wie wir wohl erfahren.

Wer sich aber wohl besann,
Läßt sich so nicht zwingen:
Schwere
Ketten fürchtet man,
Rennt in leichte Schlingen.
Versunken
Voll Locken kraus ein Haupt so rund!
Und darf ich dann in solchen
reichen Haaren
Mit vollen Händen hin und wider fahren,
Da fühl
ich mich von Herzensgrund gesund.
Und küß ich Stirne, Bogen, Auge,
Mund,
Dann bin ich frisch und immer wieder wund.
Der
fünfgezackte Kamm, wo sollt er stocken?
Er kehrt schon wieder zu
den Locken.
Das Ohr versagt sich nicht dem Spiel,
Hier ist nicht
Fleisch, hier ist nicht Haut,
So zart zum Scherz, so liebeviel!
Doch
wie man auf dem Köpfchen kraut,
Man wird in solchen reichen
Haaren
Für ewig auf und nieder fahren.
So hast du, Hafis, auch
getan,
Wir fangen es von vornen an.
Bedenklich
Soll ich von Smaragden reden,
Die dein Finger niedlich zeigt?

Manchmal ist ein Wort von nöten,
Oft ist's besser, daß man schweigt.
Also sag ich, daß die Farbe
Grün und augerquicklich sei!
Sage nicht,
daß Schmerz und Narbe
Zu befürchten nah dabei!
Immerhin! du magst es lesen!
Warum übst du solche Macht!
"So
gefährlich ist dein Wesen
Als erquicklich der Smaragd."
Liebchen, ach! im starren Bande
Zwängen sich die freien Lieder,

Die im reinen Himmelslande
Munter flogen hin und wider.
Allem
ist die Zeit verderblich,
Sie erhalten sich allein!
Jede Zeile soll
unsterblich,
Ewig wie die Liebe sein.
Schlechter Trost
Mitternachts weint und schluchzt ich,
Weil ich dein entbehrte.
Da

kamen Nachtgespenster
Und ich schämte mich.
"Nachtgespenster",
sagt ich,
"Schluchzend und weinend
Findet ihr mich, dem ihr sonst

Schlafende vorüberzogt.
Große Güter vermiß ich.
Denkt nicht
schlimmer von mir,
Den ihr sonst weise nanntet,
Großes übel
betrifft ihn!"--
Und die Nachtgespenster
Mit langen Gesichtern

Zogen vorbei,
Ob ich weise oder törig,
Völlig unbekümmert.
Genügsam
"Wie irrig wähntest du,
Aus Liebe gehöre das Mädchen dir zu.
Das
könnte mich nun garnicht freuen,
Sie versteht sich auf
Schmeicheleien."
Dichter
Ich bin zufrieden, daß ich's habe!
Mir diene zur Entschuldigung:

Liebe ist freiwillige Gabe,
Schmeichelei Huldigung.
Gruß
O wie selig ward mir!
Im Lande wandl ich,
Wo Hudhud über den
Weg läuft.
Des alten Meeres Muscheln
Im Stein sucht ich, die
versteinten;
Hudhud lief einher,
Die Krone entfaltend,
Stolzierte,
neckischer Art,
über das Tote scherzend
Der Lebendge.
"Hudhud",
sagt ich, "fürwahr!
Ein schöner Vogel bist du.
Eile doch,
Wiedehopf!
Eile, der Geliebten
Zu verkünden, daß ich ihr
Ewig
angehöre.
Hast du doch auch
Zwischen
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