West-oestlicher Divan | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
Buch Hafis
Sei das Wort die Braut genannt,
Bräutigam der Geist;
Diese
Hochzeit hat gekannt,
Wer Hafisen preist.
Beiname
Dichter
Mohammed Schemseddin, sage,
Warum hat dein Volk, das hehre,

Hafis dich genannt?
Hafis
Ich ehre,
Ich erwidre deine Frage.
Weil in glücklichem Gedächtnis

Des Korans geweiht Vermächtnis
Unverändert ich verwahre,

Und damit so fromm gebare,
Des gemeinen Tages Schlechtnis

Weder mich noch die berühret,
Die Propheten-Wort und Samen

Schätzen, wie es sich gebühret--
Darum gab man mir den Namen.
Dichter
Hafis, drum, so will mir scheinen,
Möcht ich dir nicht gerne weichen:


Denn, wenn wir wie andre meinen,
Werden wir den andern
gleichen.
Und so gleich ich dir vollkommen,
Der ich unsrer heil'gen
Bücher
Herrlich Bild an mich genommen,
Wie auf jenes Tuch der
Tücher
Sich des Herren Bildnis drückte,
Mich in stiller Brust
erquickte
Trotz Verneinung, Hindrung, Raubens
Mit dem heitern
Bild des Glaubens.
Anklage
Wißt ihr denn, auf wen die Teufel lauern
In der Wüste, zwischen Fels
und Mauern?
Und wie sie den Augenblick erpassen,
Nach der Hölle
sie entführend fassen?
Lügner sind es und der Bösewicht,
Der Poete,
warum scheut er nicht,
Sich mit solchen Leuten einzulassen!
Weiß denn der, mit wem er geht und wandelt,
Er, der immer nur im
Wahnsinn handelt?
Grenzenlos, von eigensinnigem Lieben,
Wird er
in die öde fortgetrieben,
Seiner Klagen Reim', in Sand geschrieben,

Sind vom Winde gleich verjagt;
Er versteht nicht, was er sagt,
Was
er sagt, wird er nicht halten.
Doch sein Lied, man läßt es immer walten,
Da es doch dem Koran
widerspricht.
Lehret nun, ihr des Gesetzes Kenner,

Weisheit-fromme, hochgelahrte Männer,
Treuer Mosleminen feste
Pflicht.
Hafis insbesondre schaffet ärgernisse,
Mirza sprengt den Geist ins
Ungewisse:
Saget, was man tun und lassen müsse!
Fetwa
Hafis' Dichterzüge, sie bezeichnen
Ausgemachte Wahrheit
unauslöschlich;
Aber hie und da auch Kleinigkeiten
Außerhalb der
Grenze des Gesetzes.
Willst du sicher gehn, so mußt du wissen

Schlangengift und Theriah zu sondern--
Doch der reinen Wollust
edler Handlung
Sich mit frohem Mut zu überlassen
Und vor solcher,

der nur ew'ge Pein folgt,
Mit besonnenem Sinn sich zu verwahren,

Ist gewiß das Beste, um nicht zu fehlen.
Dieses schrieb der arme
Ebusuud,
Gott verzeih' ihm seine Sünden alle!
Der Deutsche dankt
Heilger Ebusuud, hast's getroffen!
Solche Heil'ge wünschet sich der
Dichter:
Denn gerade jene Kleinigkeiten
Außerhalb der Grenze des
Gesetzes
Sind das Erbteil, wo er übermütig,
Selbst im Kummer
lustig, sich beweget.
Schlangengift und Theriak muß
Ihm das eine
wie das andre scheinen.
Töten wird nicht jenes, dies nicht heilen:

Denn das wahre Leben ist des Handelns
Ewge Unschuld, die sich so
erweiset,
Daß sie niemand schadet als sich selber.
Und so kann der
alte Dichter hoffen,
Daß die Huris ihn im Paradiese
Als verklärten
Jüngling wohl empfangen.
Heiliger Ebusuud, hast's getroffen!
Fetwa
Der Mufti las des Misri Gedichte,
Eins nach dem andern, alle
zusammen,
Und wohlbedächtig warf sie in die Flammen.
Das
schöngeschriebne Buch, es ging zunichte.
"Verbrannt sei jeder",
sprach der hohe Richter,
"Wer spricht und glaubt wie Misri--er allein

Sei ausgenommen von des Feuers Pein:
Denn Allah gab die Gabe
jedem Dichter.
Mißbraucht er sie im Wandel seiner Sünden,
So seh
er zu, mit Gott sich abzufinden."
Unbegrenzt
Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß,
Und daß du nie
beginnst, das ist dein Los.
Dein Lied ist drehend wie das
Sterngewölbe,
Anfang und Ende immerfort dasselbe,
Und, was die
Mitte bringt, ist offenbar
Das, was zu Ende bleibt und Anfangs war.
Du bist der Freuden echte Dichterquelle
Und ungezählt entfließt dir
Well' auf Welle.
Zum Küssen stets bereiter Mund,
Ein Brustgesang,

der lieblich fließet,
Zum Trinken stets gereizter Schlund,
Ein gutes
Herz, das sich ergießet.
Und mag die ganze Welt versinken,
Hafis mit dir, mit dir allein

Will ich wetteifern! Lust und Pein
Sei uns, den Zwillingen, gemein!

Wie du zu lieben und zu trinken,
Das soll mein Stolz, mein Leben
sein.
Nun töne Lied mit eignem Feuer!
Denn du bist älter, du bist neuer.
Nachbildung
In deine Reimart hoff ich mich zu finden,
Das Wiederholen soll mir
auch gefallen,
Erst werd ich Sinn, sodann auch Worte finden;
Zum
zweitenmal soll mir kein Klang erschallen,
Er müßte denn besondern
Sinn begründen,
Wie du's vermagst, Begünstigter vor allen!
Denn
wie ein Funke fähig, zu entzünden
Die Kaiserstadt, wenn Flammen
grimmig wallen,
Sich winderzeugend glühn von eignen Winden,
Er,
schon erloschen, schwand zu Sternenhallen:
So schlang's von dir sich
fort mit ew'gen Gluten,
Ein deutsches Herz von frischem zu ermuten.
Zugemeßne Rhythmen reizen freilich,
Das Talent erfreut sich wohl
darin,
Doch wie schnelle widern sie abscheulich,
Hohle Masken
ohne Blut und Sinn.
Selbst der Geist erscheint sich nicht erfreulich,

Wenn er nicht, auf neue Form bedacht,
Jener toten Form ein Ende
macht.
Offenbar Geheimnis
Sie haben dich, heiliger Hafis,
Die mystische Zunge genannt
Und
haben, die Wortgelehrten,
Den Wert des Worts nicht erkannt.
Mystisch heißest du ihnen,
Weil sie Närrisches bei dir denken
Und
ihren unlautern Wein
In deinem Namen verschenken.

Du aber bist mystisch rein,
Weil sie dich nicht verstehn,
Der du,
ohne fromm zu sein, selig bist!
Das wollen sie dir nicht zugestehn.
Wink
Und doch haben sie recht, die ich schelte:
Denn, daß ein Wort nicht
einfach gelte,
Das müßte sich wohl von selbst verstehn.
Das Wort
ist ein Fächer! Zwischen den Stäben
Blicken ein paar schöne Augen
hervor,
Der Fächer ist nur ein lieblicher Flor,
Er verdeckt mir zwar
das Gesicht,
Aber das Mädchen verbirgt er nicht,
Weil das Schönste,
was sie besitzt,
Das Auge, mir ins Auge blitzt.
An Hafis
Was alle wollen, weißt du schon
Und hast es wohl verstanden:

Denn Sehnsucht hält, von Staub zu Thron
Uns all in strengen Banden.
Es tut so weh,
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