Waldwinkel | Page 2

Theodor W. Storm
der B��rgermeister in pl?tzlicher Unruhe seine goldene Uhr aus dem Abgrund seiner Tasche zog. "Sag mir, Liebster", begann er wieder, du schenkst mir doch den heutigen Tag?"
"Ich mu? am Nachmittag noch weiter."
"Immer noch der alte Meister Unruh?"
"Verzeih, die Extrapost ist schon bestellt! Ihr habt hier einige Meilen n?rdlich zwischen Heidesumpf und Wald noch eine wenig abgesuchte Flora!"
"Aha!" rief der B��rgermeister, "bei F?hrenschwarzeck, wo die verr��ckten Junker wohnen, die weder einen Baum f?llen noch ein St��ck Heide aufbrechen wollen!"
Der Gast nickte. "So sagte man mir. Es soll dort in heimlichen Gr��nden noch allerlei sonst Verschwundenes zu finden sein."
"Nun, Richard, da k?nntest du dich ja im Narrenkasten einquartieren!"
"Im Narrenkasten?"
"Freilich! Der Vater der jetzigen Herren hatte noch seine Spezialtollheit! Da ihm sein Schlo? zu gro? wurde, so baute er sich hinaus zwischen Heide und Wald; ein H?uslein, alle Fenster nach einer Seite und drum herum eine Ringmauer, zwanzig Fu? hoch! Und das Kastellchen nannte er den "Waldwinkel" die Leute aber nennen's noch heut den "Narrenkasten". Dort hat er mitten zwischen all dem Unkraut seine letzten Jahre abgelebt."
Der andere hatte aufmerksam zugeh?rt. "Wer wohnt denn jetzt darin?" fragte er.
"Jetzt? ich denke, niemand; oder doch nur Eulen und Iltisse."--Im Nebenzimmer schlug eine Uhr. Der B��rgermeister war aufgesprungen. "Schon elf!" sagte er. "Wei?t du, Alter! Ich habe noch einen gerichtlichen Aktus vor mir; du warst ja in der Verbindung unser Schriftwart", und schmunzelnd fuhr er fort: "da du so eilig bist, wir w��rden noch ein Plauderst��ndchen mehr gewinnen, wenn du heute dieses Amt noch einmal im Dienste unserer hochnotpeinlichen Gerichtsbarkeit verrichten wolltest!"
Richard lachte. "Hast du denn keinen Protokollf��hrer?"
"Nein, Liebster; da ich die W��rde und das Salarium eines Stadtsekretarius ebenfalls in meiner Person vereinige, so mu? ich auch die Lasten dieses Amtes tragen, wenn nicht der Zufall einen so f?higen und gef?lligen Freund mir in das Haus bringt."--Einige Minuten sp?ter sa?en beide am gr��nen Tisch in dem nebenan liegenden Gerichtszimmer. "Du wirst dich vielleicht noch des gelbhaarigen Theologen erinnern", sagte der B��rgermeister, w?hrend er sich mit behaglicher W��rde in dem etwas erh?hten Pr?sidentensessel niederlie?, "den wir seinerzeit wohl nicht mit Unrecht den Denunzianten nannten! Wir haben ihn seit Jahren hier am Ort; der Herr Magister betreibt ein eintr?gliches Pensionat und steht bei Adel und Honoratioren in hohem Ansehen; man wollte ihn eben auch noch mit dem Gottesdienst an unserem Landeszuchthaus hier betrauen."
"Was ist mit ihm?" fragte der improvisierte Aktuarius, der schon seine Feder geschnitzt und den gebrochenen Bogen vor sich hingelegt hatte. "Ich entsinne mich eigentlich nur seines abgetragenen Frackes und seiner gro?en roten H?nde."
"Du wirst ihn gleich erscheinen sehen", sagte der B��rgermeister, mit der einen Hand den ��ber dem gr��nen Tisch h?ngenden Glockenstrang erfassend; "er hatte die Vormundschaft ��ber ein elternloses M?dchen; sie ist jahrelang in seinem Hause gewesen, und er hat sie teilweise mit durch seine Schule laufen lassen. Jetzt ist er eines versuchten Verbrechens gegen dieses M?dchen auf das kl?glichste verd?chtig; es handelt sich heut nur noch um eine Gegen��berstellung beider."
Der B��rgermeister zog die Klingel, und der eintretende Gefangenw?rter erhielt Befehl, den Magister vorzuf��hren.
Es war eine widerw?rtige Erscheinung, die sich jetzt, an dem an der T��r zur��ckbleibenden Gef?ngnisw?rter vorbei, mit einem geschmeidigen B��ckling in das Zimmer hineinwand.
"Sie brauchen nicht zu weit vorzutreten!" sagte der B��rgermeister, und der Magister zuckte sogleich um einige Fu?breit wieder r��ckw?rts; gleich darauf erhob er seinen platten Kopf mit dem wie angeklebten Gelbhaar gegen die Zimmerdecke und begann sich zu den schwersten Eiden f��r seine Unschuld zu erbieten.
Ohne darauf zu achten, zog der B��rgermeister aufs neue die Glocke, und "Franziska Fedders" trat herein.
Es war die schm?chtige Gestalt eines eben aufgebl��hten M?dchens; sie war nicht grade h��bsch zu nennen; den Kopf mit den aufgesteckten dunkelblonden Flechten trug sie etwas vorgebeugt, der Mund war vielleicht zu voll, die Nase ein wenig zu scharf gerissen; und als sie jetzt ihre tiefliegenden grauen Augen aufschlug, murmelte der Aktuarius unwillk��rlich vor sich hin: "Scientes bonum et malum."
Mit abgewandtem Kopf und mit Glut ��bergossen, aber mit unverr��ckter Sicherheit wiederholte sie jetzt die Hauptangaben ihrer fr��heren Aussagen gegen ihren einstigen Vormund, w?hrend dieser seine knochigen H?nde rang und seufzende Beteuerungen ausstie?.
Als sie geendet hatte, begann der Magister erst andeutungsweise, dann immer deutlicher, sie eines Verh?ltnisses mit seinem Geh��lfen zu beschuldigen; sie seien verschworen, ihn zu st��rzen, um dann selbst das eintr?gliche Pensionat zu ��bernehmen.
Mit offenem Munde und vorgestrecktem Halse horchte das M?dchen diesen Beschuldigungen. Richard, der die Feder hingelegt hatte, glaubte zu sehen, wie von der Glut des Hasses ihre Augen dunkler wurden. Pl?tzlich warf sie den Kopf empor. "Sie l��gen, Sie!" rief sie, und wie eine scharfe Schneide fuhr es aus dieser jungen Stimme. Aber wie ��ber sich selbst erschrocken, flogen ihre Blicke unstet und h��lfesuchend umher, bis sie in den ernsten M?nneraugen haftenblieben, die so ruhig zu ihr hin��berblickten.
Der Magister hatte beide Arme zum Himmel aufgereckt. "Sie! Du nennst mich Sie, Franziska! Du, die ich
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