Von Haparanda bis San Francisco | Page 6

Ernst Wasserzieher
Holzpflock verschlie?bar war.
Als Bett diente mir Maisstroh mit einigen Steppdecken. Die K?lte war manchmal so gro?, da? das Wasser in dem stets vor meinem Bett stehenden Glase fror, und zwar durch und durch. Zum Heizen hatten wir Holz, das wir uns zu Wagen oder Schlitten aus dem etwa 6-7 km entfernten Walde holten. Hat man ein St��ck geh?rig abgeholzt, so h?rt man auf, Steuern darauf zu bezahlen, und das Land f?llt dem Staate anheim.
Seiner g��nstigen Lage wegen wurde Nauvoo noch einmal zum Experimentierfeld einer Sekte ausersehen, n?mlich von franz?sischen Kommunisten unter F��hrung Cabets. Icaristen nannten sie sich nach dessen Buche "Voyage en Icarie", in dem in Romanform die Grunds?tze des Icarismus in leicht verst?ndlicher und fesselnder Weise entwickelt werden. Etwa hundert an der Zahl, kamen sie 1849 in Nauvoo an, kauften die Tempelruine und waren dabei, sie f��r ihre Zwecke umzubauen, als ein Sturm das angefangene Werk zerst?rte. Sie gaben die "Revue Icarienne" halb in englischer, halb in franz?sischer Sprache heraus und lebten in v?lliger G��tergemeinschaft etwa zehn Jahre lang. Dann ging die Kolonie auseinander, weil Cabet gleich C?sar "voll Herrschsucht war"; ein Teil f��hrte in Adams County im Staate Iowa das kommunistische Leben weiter; andere blieben in Nauvoo, wo sie jetzt noch leben und mit den Deutschen, Engl?ndern und Irl?ndern zusammen Acker- und Weinbau treiben.
Ihre Mu?ezeit vertreiben sich die Nauvooer gern durch Theaterspielen. Einer der ehemaligen Icaristen, Herr Balley aus Paris, spielt gew?hnlich die Hauptrollen, sowohl in den englischen, wie in den deutschen St��cken. Franz?sische k?nnen nicht gut aufgef��hrt werden, weil dann die Deutschen und die Engl?nder sich weder aktiv noch passiv beteiligen k?nnten. Von den englischen St��cken ist mir erinnerlich "Schinderhannes, the Robber of the Rhine", von den deutschen "Papa hat's erlaubt" von Putlitz. Es ist f��r einen Franzosen in hohem Grade anerkennenswert, drei Sprachen so zu beherrschen, um darin ertr?glich zu agieren; umsomehr f��r einen Schuster, wie Herr Valley ist. Herr Cambrai, ein Weinbauer, spielt gut Violine und liebt die deutsche Musik.
Die Deutschen und die Franzosen, die den Hauptteil der Bev?lkerung ausmachen, leben im allgemeinen friedlich zusammen, ausgenommen im Kriegsjahre 1870/71.
Ihre Nationalit?t bewahren die Franzosen in Nauvoo, wie ��berall, besser als die Deutschen. Man merkt das auch an Aeu?erlichkeiten. Der Deutsche sagt Country (Land), auch wenn er deutsch spricht, und Cider, letzteres mit englischer Aussprache; der Franzose aber beh?lt sein contr��e und spricht cidre franz?sisch aus. Doch zu untersuchen, wie weit die Deutschen sich in der Sprache amerikanisieren, w��rde eine eigene Abhandlung erfordern.
Noch einmal k?nnte Nauvoo vielleicht eine Rolle spielen und aus der Vergessenheit auftauchen, in der es seit einem Menschenalter ruht. Halb im Scherz, halb im Ernst hat man, nicht nur im Nauvooer Independant, sondern auch in ausw?rtigen Zeitungen davon gesprochen, die Bundeshauptstadt von Washington nach Nauvoo zu verlegen. Das klingt befremdlich, ist aber nicht so toll, wie es aussieht. Die Hauptst?dte der amerikanischen Einzelstaaten werden fast ausnahmslos in das geographische Zentrum gelegt; darum ist nicht das gro?e Chicago Hauptstadt von Illinois, sondern das kleine Springfield; nicht das riesige New-York des gleichnamigen Staates, sondern das kleinere, aber zentral gelegene Albany, nicht San Francisco von Californien, sondern das verh?ltnism??ig unbedeutende Sacramento u.s.f. Diesem Grundsatze zufolge wurde Washington Hauptstadt der dreizehn ersten Staaten; damals hatte es in der That eine zentrale Lage. Jetzt hingegen, nachdem sich das L?ndergebiet der Vereinigten Staaten weit nach Westen ausgedehnt hat, m��?te auch der Unionsmittelpunkt nach Westen verschoben werden. Ueber den Mississippi, die Hauptverkehrsader hinaus, d��rfte die Unionshauptstadt kaum ger��ckt werden. Eine am Vater der Str?me gelegene Gro?stadt, wie Sant Louis, w��rde sich aus Mangel an Platz f��r die zu erbauenden Ministerien und sonstigen Regierungsgeb?ude, sowie wegen der vielen Fabriken und der dadurch bedingten Unzutr?glichkeiten nicht eignen. Nauvoo hat eine ?u?erst gesunde Lage und, was die Hauptsache ist, Raum, unbeschr?nkten Raum. Nauvoo ist von allen Teilen der Union leicht zu erreichen, w?hrend Washington f��r die Senatoren und Repr?sentanten des Kongresses aus dem Westen und S��dwesten eine sechst?gige ununterbrochene Schnellzugsfahrt erfordert. Also auch die Reiseverg��tungen f��r die Volksvertreter w��rden sich erheblich vermindern.
Aus all den angegebenen Gr��nden ist es also keineswegs unm?glich, da? die Hauptstadt-Hoffnungen der Nauvooer dereinst in Erf��llung gehen werden.
FUSSNOTEN:
[2] 1882-83 bereiste der Verfasser die Vereinigten Staaten. Die beiden folgenden St��cke sind Bruchst��cke aus dem damals gef��hrten Tagebuch.
[3] Sein Degen befindet sich im Besitz eines gewissen Myers in Fort Madison, wo ich ihn sah.
[4] Siehe das Titelbild

IV.
Ausflug in die nordamerikanischen Urw?lder und zu den Geysers.
Das erste, was der San Franciscaner seinem Gaste zu zeigen pflegt, ist das Cliff-Haus, jenes ber��hmte Wirtshaus am Stillen Ocean. Auch mich lie? mein Onkel, den ich w?hrend eines Fr��hlings und Sommers mit meinem Besuche strafte, gleich am zweiten Tage meiner Ankunft hinauskutschieren. Man f?hrt eine gute deutsche Meile nach Westen durch den Goldnen-Thor-Park; das Haus liegt auf einen Felsen dicht am Meer; vom Balkon hat man eine herrliche Sicht auf die Brandung und die kleinen felsigen Inseln, auf
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 61
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.