Vom This, der doch etwas wird | Page 4

Johanna Spyri
dieser Arbeit nichts,
und jung und alt waren sich einig, der This sei zu aller Arbeit zu dumm
und aus dem This könne nie etwas werden. Weil er nun gar nichts
verdienen und ja auch nie etwas werden konnte, so wurde er auch von
der Frau des Hälmli-Sepp demgemäß behandelt. Wenn schon die
eigenen vier kleinen Kinder kaum genug zu essen hatten, so geschah es
meistens, daß für den This gar nichts mehr übrigblieb und es dann hieß:
"Du wirst wohl etwas finden, du bist groß genug." Wie der This
eigentlich ernährt wurde, wußte niemand, auch die Frau des
Hälmli-Sepp nicht, aber irgendwie lebte er doch immer.
Dem schmalen, mageren Buben gab schon hier und da eine gute Frau
einen Brocken Brot oder eine Kartoffel, wenn er still an ihrer Tür
vorbeiging. Betteln ging der This aber nicht. Satt hatte er sich in seinem
Leben noch nie gegessen. Aber das war ihm nicht so schrecklich wie
die Verfolgungen und das Auslachen der Buben, vor denen er immer
scheuer wurde und sich immer mehr versteckte.

2. Kapitel

Bei der Schwemmebachsennhütte
An einem lieblichen Sommerabend, als in der blauen, sonnigen Luft
alle Mücken tanzten, trafen sich am Bergabhang alle Hüterbuben
und--mädchen. Sie mußten heute etwas Besonderes zu verhandeln
haben. Der Jopp, von allen der Größte, war der Leiter der
Versammlung. Und als alle nun auf einem Haufen beisammen waren,
zeigte er an, daß man jetzt zur Schwemmebachsennhütte hinaufgehe,
denn heute sei der Käsfischtag. Nun müsse aber vor allem ausgemacht
werden, wer dableiben und die Kühe hüten solle, während die anderen
sich zu dem Festmahl begeben würden. Das war nun eine schwierige
Frage, denn nicht ein einziger hatte Lust, sich für die anderen
aufzuopfern und dazubleiben. Da kam der schlaue Uli auf den
Gedanken, man könnte einmal den dummen This zwingen, auf die
Kühe acht zu geben. Und damit er's nicht vergesse, könnte man ihn im
voraus ein wenig durchprügeln. Der Vorschlag fand Anklang, und
schon wollten mehrere von den Anführern der Schar den This holen,
als das Lisi mit lauter Stimme dazwischenrief: "Das ist gar nichts
Gescheites, was der Uli erfunden hat. So bekommen wir nur alle den
Lohn dafür, wenn wir wieder zurückkommen und die Kühe sich
verlaufen haben. Ihr werdet doch nicht glauben, daß der This, wenn er
zu dumm ist, zwei Kühe zu hüten, auf einmal zwanzig hüten kann. Man
muß losen, und drei müssen bei den Kühen bleiben, sonst ist's nichts."
Lisis Erklärung machte Eindruck, der neue Rat wurde angenommen.
Drei aus der Schar wurden durch das Los zum Dableiben verurteilt,
ausgerechnet der Uli war unter diesen drei. Murrend und knurrend
kehrte er der siegreichen Schar den Rücken und setzte sich auf den
Boden neben seine beiden Leidensgenossen. Mit lautem Schreien und
Jauchzen stürzte nun die ganze Kinderschar den Berg hinauf, dem
unvergleichlichen Genuß entgegen.
Der Käsfischtag wurde immer von Franz Anton den Buben angezeigt,
die es nie unterließen, ihn daran zu erinnern, wenn er es etwa vergessen
sollte. Denn das war ein Hauptfest für sie. Das war der Tag, an dem der
Franz Anton seine frischen Käse rundum beschnitt, nachdem diese als
weiche Masse in die runde, hölzerne Form gepreßt worden waren. Was
nun zwischen dem pressenden Gewicht und der festen Form sich von

der Masse herausdrängte, wurde abgeschnitten und war anzusehen wie
eine lange, schneeweiße Wurst. Die wurde dann in viele Stücke
gebrochen und von dem freundlichen Sennen unter die Kinder verteilt.
Das waren dann die sogenannten Käsfische. Dieses Fest wiederholte
sich den Sommer über alle vierzehn Tage und wurde jedesmal mit
lautem Freudengeschrei begrüßt.
This hatte sich hinter dem großen Distelbusch am Boden versteckt
gehalten, während die Verhandlung vor sich ging. Er gab keinen Ton
von sich und blieb unbeweglich in derselben Stellung, bis er hörte, daß
die große Schar davonlief. Jetzt guckte er vorsichtig ein wenig hervor.
Die drei grollenden Zurückgebliebenen saßen am Boden und kehrten
ihm den Rücken zu. Die anderen waren schon ein gutes Stück die Alm
hinaufgekommen, ihr Rufen und Jubeln schallte lustig von der Höhe
hernieder. Den This erfaßte ein unwiderstehliches Verlangen, auch an
der Käsfischfahrt teilzunehmen. Ganz behende schlüpfte er hinter dem
Busch hervor, und leise und leicht wie ein Wiesel glitt er hinter den
drei Unzufriedenen vorbei und den Berg hinauf. Nach dem letzten
steilen Hang kam eine kleine, glänzend grüne Hochebene, da stand die
Sennhütte. Und wenige Schritte davon entfernt rauschte der klare
Schwemmebach nieder. Dort in der Tür seiner Hütte stand der Franz
Anton mit seinem runden, freundlichen Gesicht. Er lachte über die
vielen Sprünge, die jetzt die Buben und Mädchen in ihrem Eifer, zu
dem ersehnten Genuß zu gelangen, auf allen Seiten machten. Jetzt
waren sie alle bei der Hütte und eines drängte das andere vorwärts, um
noch näher dabei zu sein, wenn die Teilung beginnen würde.
"Nur zahm, nur zahm", lachte jetzt der Franz Anton.
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