Vom This, der doch etwas wird | Page 3

Johanna Spyri
kleine Bursche, von jedermann nur 'der
dumme This' genannt, sah so mager und dürftig aus, daß man ihn kaum
für achtjährig gehalten hätte. Er schaute auch so scheu und
verschüchtert drein, daß niemand wußte, wie der This eigentlich aussah,
denn er blickte immer furchtsam auf den Boden, wenn man zu ihm
sprach. This hatte nie eine Mutter gekannt. Sie war gestorben, als er
kaum zwei Jahre alt war. Sein Vater war nicht viel später über die
Felsen in die Tiefe gestürzt, als er vom Heuholen in den Bergen
herunterkam und den Weg abkürzen wollte. Seit dem Sturz war er lahm
und konnte nichts mehr tun, als kleine Matten zusammenflechten, die
er in dem großen Gasthof oben auf dem Seelisberg verkaufte. Der
kleine This hatte seinen Vater nie anders gesehen, als auf einem
Schemel sitzend, eine Strohmatte auf den Knien. Alle Leute hatten ihn
den lahmen Matthis genannt.
Schon seit sechs Jahren war er tot, und da er im Häuschen vom
Hälmli-Sepp eine kleine Kammer als Schlafstätte mit seinem Büblein
gemietet hatte, blieb dieser nach des Vaters Tod gleich an demselben
Ort. Das wenige Geld, das für den kleinen This von der Gemeinde
bezahlt wurde, war der Frau des Hälmli-Sepp sehr erwünscht. Und in

die Kammer konnte sie nun noch zwei von ihren Buben stecken, für die
schon lange fast kein Platz zum Schlafen mehr da war. Der kleine This
war schon von Natur aus ein schüchternes und stilles Büblein gewesen.
Seinem Vater, der erst seine Frau verloren, dann das große Unglück
gehabt hatte, war aller Lebensmut vergangen. Und hatte er vor seinem
Unglück wenig geredet, so sagte er nun fast gar nichts mehr.
So saß der kleine This ganze Tage lang neben seinem Vater, ohne ein
Wort zu hören, und so lernte er auch lange keines sagen. Als er dann
seinen Vater verloren hatte und nun ganz zu der Familie des
Hälmli-Sepp gehörte, da redete er fast gar nicht mehr, denn er wurde
von jedem angefahren und hin und her gestoßen, weil er sich nie wehrte.
Zu all den Püffen, die er von den Kindern auszustehen hatte, kamen
dann noch die bösen Worte der Frau, wenn sie den Ärger über das
saubere Häuschen der Sennerin drüben hatte. Der This wehrte sich aber
nie, denn er hatte das Gefühl, die ganze Welt sei gegen ihn, und so
nutze doch alles nichts. Nach und nach wurde der Bub so scheu und
verschüchtert, daß man glaubte, als merke er kaum, was um ihn her
vorging. Und meistens gab er auch gar keine Antwort, wenn man ihn
anrief. Er sah überhaupt immer so aus, als suche er nach einem Loch,
wo er in die Erde hineinkriechen könnte, daß ihn keiner mehr fände.
So war es gekommen, daß die vier Großen vom Hälmli-Sepp, der Jopp,
der Hans, der Ulli und Lisi das schon manchmal zu ihm gesagt hatten:
"Du bist doch ein dummer This", und daß es die vier Kleinen auch
nachsagten, sobald sie nur reden konnten. Da sich der This niemals
dagegen wehrte, so hatten nach und nach alle Leute angenommen, es
werde wohl so sein, und er wurde weit und breit nur noch 'der dumme
This' genannt. Es war auch so, als ob der This nicht arbeiten könnte,
wie die andern es taten. Sollte er helfen, die Kühe zu hüten, und war er
mit all den anderen Buben zusammen, so suchte er gleich eine Hecke
oder einen Busch auf, um sich dahinter zu verstecken. Da saß er
meistens zitternd vor Furcht, denn er hörte wohl, wie die anderen
Buben ihn mit großem Geschrei suchten, daß er bei den Spielen
mitmachte, die sie spielen wollten.
Diese Spiele endeten aber immer mit vielem Prügeln, und das traf

regelmäßig den This am stärksten, da er sich nicht wehrte und auch
nicht wehren konnte gegen die viel Stärkeren. So verkroch er sich,
sobald er konnte, und inzwischen liefen seine Kühe, wohin sie wollten
und fraßen auf der Weide der Nachbarn. Das gab dann großen Ärger,
und jeder fand, der This sei zu dumm, um nur die Kühe zu hüten, und
keiner stellte ihn mehr an. Ebenso ging es bei den Arbeiten auf dem
Feld, wenn die Buben zum Jäten auf die Kartoffelfelder gehen sollten.
Da warfen sie sich mit Vorliebe die Knollen der Kartoffelblüten an den
Kopf, schon damit die Zeit etwas schneller vergehe. Und jeder gab dem
anderen reichlich zurück, was er empfangen hatte. Der This gab aber
nichts zurück, sondern scheu und furchtsam schaute er nach allen
Seiten, von woher er getroffen werde. Das war gerade, was die anderen
gern wollten. Und so flogen ihm unter vielem Lachen von allen Seiten
die Knollen an den Rücken und an den Kopf.
Während aber die anderen Zeit hatten, dazwischen zu arbeiten,
versuchte der This nur immer auszuweichen und sich hinter den
Kartoffelstauden zu verstecken. So war es auch mit
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