Vom This, der doch etwas wird | Page 5

Johanna Spyri
"Wenn ihr alle in
die Hütte hineindrängt, so habe ich keinen Platz mehr zum
Käseschneiden und ihr habt den Schaden." Jetzt nahm er sein festes
Messer zur Hand und trat an den großen, runden Käse heran, den er
schon vorher auf dem Tischchen zurecht gelegt hatte. Das Schneiden
ging rasch vor sich. Dann kam er mit der langen, dicken, schneeweißen
Schnur heran. Nun teilte er sie und reichte hier ein Stück und da ein
Stück, oft über die Köpfe der Großen weg den Kleinen, die nicht zu
ihm vordringen konnten. Denn der Franz Anton war gerecht in seiner
Teilung.

This hatte ganz hinten gestanden, und wenn er ein wenig vordringen
wollte, so bekam er da einen Stoß und dort einen und flog so von einer
Seite zur anderen. Der Franz Anton sah ihn auch gar nicht, weil immer
wieder ein Größerer und Dickerer sich vor ihn drängte. Zuletzt bekam
er einen so ungeheuren Stoß von dem breiten, nach allen Seiten
schlagenden Jopp, daß er sich fast überschlagen hätte. Die Teilung war
auch schon fast zu Ende, und der This sah wohl, daß er zu keinem
Stückchen Käsfisch gelangen konnte, so wollte er doch auch keine
Schläge mehr. Er ging ein paar Schritte weiter hinunter, wo die jungen
Tannen standen und setzte sich auf den Boden zwischen den Bäumchen.
Auf der höchsten Krone des einen saß ein lustiger, kleiner Vogel und
pfiff so fröhlich in die helle, sonnige Luft hinauf, als gäbe es gar nichts
anderes auf der Welt als blauen Himmel und Sonnenschein. Das
machte dem This das Herz so froh, daß er fast das Leid vergaß, das ihm
eben geschehen war.
Von Zeit zu Zeit mußte er nach der Sennhütte hinüberschauen, denn
das Lärmen und Jauchzen, wenn immer einer dem anderen sein Stück
Käsfisch wieder abgejagt hatte, nahm kein Ende. Dann sah er immer
noch, wie jedes Kind mit einem größeren oder kleineren Brocken der
schönen, weißen Masse dastand und mit Wonne hineinbiß. Er seufzte
dann ein wenig und sagte leise: "Wenn ich nur auch einmal ein einziges
Stücklein bekäme!" Der This hatte niemals von den herrlichen, weißen
Käsfischen gekostet, denn noch nie hatte er es gewagt, so weit wie
heute in die Schar der Glücklichen einzudringen. Jetzt hatte er gesehen,
daß es ihm doch nichts half, wenn er auch allen Mut zusammenraffte.
Und so kam er zu dem traurigen Schlußgedanken, daß er sein Leben
lang nie einen Käsfisch bekommen werde. Darüber wurde er so traurig,
daß er nicht einmal den Vogel mehr hörte und ganz zusammengeduckt
unter den Tannenbäumen saß.
Jetzt war das Gastmahl bei der Hütte zu Ende und mit schrecklichem
Lärm stürzten die Kinder daher, womöglich immer einer über den
anderen hinausspringend, was an dem steilen Hang mehr als einen zu
Fall brachte. Den halb versteckten This entdeckte im Vorbeirennen der
lärmende Hans, und laut schrie er in das Gebüsch hinein: "Du
Maulwurf, komm heraus, du mußt mitmachen!" This verstand, was er

mitzumachen hatte. Er mußte sich als Bock hinstellen, damit die
anderen über ihn springen konnten, wobei er dann meistens
umgeworfen wurde. Er wäre viel lieber in seinem stillen Versteck
geblieben, aber er wußte wohl, was er zu erwarten hatte, wenn er dem
Befehl nicht folgte. So kam er gehorsam heran. "Wie viele Käsfische
hast du bekommen?" schrie ihn jetzt der Hans an.
"Keinen", gab This zurück. "Oho, seht einmal den an", schrie der Hans
noch lauter in die Schar hinein, "der läuft schnell zu den Käsfischen,
und dann läuft er wieder fort und hat keinen gesehen." "Du dummer
This", rief es von allen Seiten, und zugleich sprangen ihm die großen
Buben über den Kopf weg, so daß er genug zu tun hatte, nur immer
wieder auf die Füße zu kommen, wenn er umgeworfen worden war.
Manchmal rollte er auch mit einer ganzen Schar Gestürzter die
Abhänge hinunter, bis ein glücklicher Zufall sie wieder alle auf die
Füße brachte. Nach dieser stürmischen Niederfahrt unten angekommen,
liefen gleich alle auseinander, jeder seinen Kühen nach.
Der This rannte auf eine andere Seite, weit von allen weg. Denn jetzt
erwartete er erst noch eine rechte Verfolgung von den
Zurückgebliebenen, weit er mitgelaufen war. Er lief jetzt zu dem
Sumpfloch hinunter und duckte sich da hinein, so konnte ihn von oben
und unten niemand sehen. Das Sumpfloch war eine Vertiefung im
Berghang, wo im Frühling und Herbst sich das Wasser oft sammelte
und den Boden sumpfig machte. Jetzt aber war das Loch ganz trocken
und ein angenehmer Aufenthalt. Denn es reiften da schöne, dunkelrote
Erdbeeren in der Sonne, die so schön warm in die Vertiefung schien.
Aber dem This war es überall angst und bang, wenn er noch in der
Nähe der Häuser und der Hüterbuben war. Denn diese konnten ihn ja
jeden Augenblick wieder entdecken und ihm wieder einen Streich
spielen. Der This zuckte scheu und ängstlich bei jedem Ton
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