Viola Tricolor | Page 8

Theodor W. Storm
daß im Geiste sie dir dort begegnet
und mit ihren milden Augen dich so lange ansieht, bis du schwesterlich
den Arm um ihren Nacken legst!"

Sie sah unbeweglich auf den Schlüssel, der noch immer in ihrer offenen
Hand lag.
"Nun, Ines, willst du nicht annehmen, was ich dir gegeben habe?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Noch nicht, Rudolf, ich kann noch nicht, später--später; dann wollen
wir zusammen hineingehen." Und indem ihre schönen dunkeln Augen
bittend zu ihm aufblickten, legte sie still den Schlüssel auf den Tisch.
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Ein Samenkorn war in den Boden gefallen, aber die Zeit des Keimens
lag noch fern.
Es war im November.--Ines konnte endlich nicht mehr daran zweifeln,
daß auch sie Mutter werden solle, Mutter eines eigenen Kindes. Aber
zu dem Entzücken, das sie bei dem Bewußtsein überkam, gesellte sich
bald ein anderes. Wie ein unheimliches Dunkel lag es auf ihr, aus dem
allmählich sich ein Gedanke gleich einer bösen Schlange emporwand.
Sie suchte ihn zu verscheuchen, sie flüchtete sich vor ihm zu allen
guten Geistern ihres Hauses, aber er verfolgte sie, er kam immer wieder
und immer mächtiger. War sie nicht nur von außen wie eine Fremde in
dies Haus getreten, das schon ohne sie ein fertiges Leben in sich
schloß?--Und eine zweite Ehe--gab es denn überhaupt eine solche?
Mußte die erste, die einzige, nicht bis zum Tode beider
fortdauern?--Nicht nur bis zum Tode! Auch weiter--weiter bis in alle
Ewigkeit! Und wenn das?--Die heiße Glut schlug ihr ins Gesicht; sich
selbst zerfleischend, griff sie nach den härtesten Worten.--Ihr Kind--ein
Eindringling, ein Bastard würde es im eigenen Vaterhause sein!
Wie vernichtet ging sie umher; ihr junges Glück und Leid trug sie
allein; und wenn der, welcher den nächsten Anspruch hatte, es mit ihr
zu teilen, sie besorgt und fragend anblickte, so schlossen sich ihre
Lippen wie in Todesangst.--In dem gemeinschaftlichen Schlafgemache
waren die schweren Fenstervorhänge heruntergelassen, nur durch eine
schmale Lücke zwischen denselben stahl sich ein Streifen Mondlicht

herein. Unter quälenden Gedanken war Ines eingeschlafen, nun kam
der Traum; da wußte sie es: sie konnte nicht bleiben, sie mußte fort aus
diesem Hause, nur ein kleines Bündelchen wollte sie mitnehmen, dann
fort, weit weg--zu ihrer Mutter, auf Nimmerwiederkehr! Aus dem
Garten, hinter den Fichten, welche die Rückwand desselben bildeten,
führte ein Pförtchen in das Freie; den Schlüssel hatte sie in ihrer Tasche,
sie wollte fort--gleich.-Der Mond rückte weiter, von der Bettstatt auf
das Kissen, und jetzt lag ihr schönes Antlitz voll beleuchtet in seinem
blassen Schein.--Da richtete sie sich auf. Geräuschlos entstieg sie dem
Bett und trat mit nackten Füßen in ihre davor stehenden Schuhe. Nun
stand sie mitten im Zimmer in ihrem weißen Schlafgewand; ihr dunkles
Haar hing, wie sie es nachts zu ordnen pflegte, in zwei langen Flechten
über ihre Brust. Aber ihre sonst so elastische Gestalt schien wie
zusammengesunken; es war, als liege noch die Last des Schlafes auf ihr.
Tastend, mit vorgestreckten Händen, glitt sie durch das Zimmer, aber
sie nahm nichts mit, kein Bündelchen, keinen Schlüssel. Als sie mit den
Fingern über die auf einem Stuhl liegenden Kleider ihres Mannes
streifte, zögerte sie einen Augenblick, als gewinne eine andere
Vorstellung in ihr Raum; gleich darauf aber schritt sie leise und
feierlich zur Stubentür hinaus und weiter die Treppe hinab. Dann klang
unten im Flur das Schloß der Hoftür, kalte Luft blies sie an, der
Nachtwind hob die schweren Flechten auf ihrer Brust.--Wie sie durch
den finstern Wald gekommen, der hinter ihr lag, das wußte sie nicht;
aber jetzt hörte sie es überall aus dem Dickicht hervorbrechen; die
Verfolger waren hinter ihr. Vor ihr erhob sich ein großes Tor; mit aller
Macht ihrer kleinen Hände stieß sie den einen Flügel auf; eine öde,
unabsehbare Heide dehnte sich vor ihr aus, und plötzlich wimmelte es
von großen schwarzen Hunden, die in emsigem Laufe gegen sie
daherrannten; sie sah die roten Zungen aus ihren dampfenden Rachen
hängen, sie hörte ihr Gebell immer näher--tönender-Da öffneten sich
ihre halbgeschlossenen Augen, und allmählich begann sie es zu fassen.
Sie erkannte, daß sie eben innerhalb des großen Gartens stehe; ihre eine
Hand hielt noch die Klinke der eisernen Gittertür. Der Wind spielte mit
ihrem leichten Nachtgewande; von den Linden, welche zur Seite des
Einganges standen, wirbelte ein Schauer von gelben Blättern auf sie
herab.--Doch--was war das?--Drüben aus den Tannen, ganz wie sie es
vorhin zu hören glaubte, erscholl auch jetzt das Bellen eines Hundes,

sie hörte deutlich etwas durch die dürren Zweige brechen. Eine
Todesangst überfiel sie.--Und wieder erscholl das Gebell. "Nero", sagte
sie; "es ist Nero."
Aber sie hatte sich mit dem schwarzen Hüter des Hauses nie befreundet,
und unwillkürlich lief ihr das wirkliche Tier mit den grimmigen
Hunden des Traumes in eins zusammen; und jetzt sah sie ihn von
jenseits des Rasens in großen Sprüngen auf sich zukommen. Doch er
legte sich vor ihr nieder, und jenes unverkennbare Winseln der
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