Viola Tricolor | Page 7

Theodor W. Storm
sein Korn
hineingeworfen. Es war in den ersten Tagen eines Junimondes, da trug
man das Bett der schwer Erkrankten aus dem daranliegenden
Schlafgemach in das Arbeitszimmer ihres Mannes; sie wollte die Luft
noch um sich haben, die aus dem Garten ihres Glückes durch das
offene Fenster wehte. Der große Schreibtisch war beiseite gestellt;
seine Gedanken waren nun alle nur bei ihr.--Draußen war ein
unvergleichlicher Frühling aufgegangen; ein Kirschbaum stand mit
Blüten überschneit. In unwillkürlichem Drange hob er die leichte
Gestalt aus den Kissen und trug sie an das Fenster. "Oh, sieh es noch
einmal! Wie schön ist doch die Welt!"
Aber sie wiegte leise ihren Kopf und sagte: "Ich sehe es nicht
mehr."-Und bald kam es, da wußte er das Flüstern, welches aus ihrem
Munde brach, nicht mehr zu deuten. Immer schwächer glimmte der
Funken; nur ein schmerzliches Zucken bewegte noch die Lippen, hart
und stöhnend im Kampfe um das Leben ging der Atem. Aber es wurde
leiser, immer leiser, zuletzt süß wie Bienengetön. Dann noch einmal
war's, als wandle ein blauer Lichtstrahl durch die offenen Augen; und
dann war Frieden.
"Gute Nacht, Marie!"--Aber sie hörte es nicht mehr.--Noch ein Tag,
und die stille, edle Gestalt lag unten in dem großen, dämmerigen
Gemach in ihrem Sarge. Die Diener des Hauses traten leise auf;
drinnen stand er neben seinem Kinde, das die alte Anne an der Hand
hielt.
"Nesi", sagte diese, "du fürchtest dich doch nicht?"

Und das Kind, von der Erhabenheit des Todes angeweht, antwortete:
"Nein, Anne, ich bete."
Dann kam der allerletzte Gang, welcher noch mit ihr zu gehen ihm
vergönnt war; nach ihrer beider Sinn ohne Priester und Glockenklang,
aber in der heiligen Morgenfrühe, die ersten Lerchen stiegen eben in
die Luft.
Das war vorüber; aber er besaß sie noch in seinem Schmerze; wenn
auch ungesehen, sie lebte noch mit ihm. Doch unbemerkt entschwand
auch dies; er suchte sie oft mit Angst, aber immer seltener wußte er sie
zu finden. Nun erst schien ihm sein Haus unheimlich leer und öde; in
den Winkeln saß eine Dämmerung, die früher nicht dort gesessen hatte;
es war so seltsam anders um ihn her; und sie war nirgends.--Der Mond
war aus dem Wolkendunst hervorgetreten und beleuchtete hell die
unten liegende Gartenwildnis. Er stand noch immer an derselben Stelle,
den Kopf gegen das Fensterkreuz gelehnt; aber seine Augen sahen
nicht mehr, was draußen war.
Da öffnete sich hinter ihm die Tür, und eine Frau von dunkler
Schönheit trat herein.
Das leise Rauschen ihres Kleides hatte den Weg zu seinem Ohr
gefunden; er wandte den Kopf und sah sie forschend an.
"Ines!" rief er; er stieß das Wort hervor, aber er ging ihr nicht entgegen.
Sie war stehengeblieben. "Was ist dir, Rudolf? Erschrickst du vor mir?"
Er schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln. "Komm", sagte er,
"laß uns hinuntergehen."
Aber während er ihre Hand faßte, waren ihre Augen auf das von der
Lampe beleuchtete Bild und die daneben stehenden Blumen
gefallen.--Wie ein plötzliches Verständnis flog es durch ihre Züge.--"Es
ist ja bei dir wie in einer Kapelle", sagte sie, und ihre Worte klangen
kalt, fast feindlich.

Er hatte alles begriffen. "Oh, Ines", rief er, "sind nicht auch dir die
Toten heilig!"
"Die Toten! Wem sollten die nicht heilig sein! Aber, Rudolf" und sie
zog ihn wieder an das Fenster; ihre Hände zitterten, und ihre schwarzen
Augen flimmerten vor Erregung--, "sag mir, die ich jetzt dein Weib bin,
warum hältst du diesen Garten verschlossen und lässest keines
Menschen Fuß hinein?"
Sie zeigte mit der Hand in die Tiefe; der weiße Kies zwischen den
schwarzen Pyramidensträuchern schimmerte gespenstisch; ein großer
Nachtschmetterling flog eben darüber hin.
Er hatte schweigend hinabgeblickt. "Das ist ein Grab, Ines", sagte er
jetzt, "oder, wenn du lieber willst, ein Garten der Vergangenheit."
Aber sie sah ihn heftig an. "Ich weiß das besser, Rudolf! Das ist der Ort,
wo du bei ihr bist; dort auf dem weißen Steige wandelt ihr zusammen;
denn sie ist nicht tot; noch eben, jetzt in dieser Stunde warst du bei ihr
und hast mich, dein Weib, bei ihr verklagt. Das ist Untreue, Rudolf, mit
einem Schatten brichst du mir die Ehe!"
Er legte schweigend den Arm um ihren Leib und führte sie, halb mit
Gewalt, vom Fenster fort. Dann nahm er die Lampe von dem
Schreibtisch und hielt sie hoch gegen das Bild empor. "Ines, wirf nur
einen Blick auf sie!"
Und als die unschuldigen Augen der Toten auf sie herabblickten, brach
sie in einen Strom von Tränen aus. "Oh, Rudolf, ich fühle es, ich werde
schlecht!"
"Weine nicht so", sagte er. "Auch ich habe unrecht getan; aber habe
auch du Geduld mit mir!"--Er zog ein Schubfach seines Schreibtisches
auf und legte einen Schlüssel in ihre Hand. Öffne du den Garten wieder,
Ines! --Gewiß, es macht mich glücklich, wenn dein Fuß der erste ist,
der wieder ihn betritt. Vielleicht,
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