Viola Tricolor | Page 9

Theodor W. Storm
Freude
ausstoßend, leckte er ihre nackten Füße. Zugleich kamen Schritte vom
Hofe her, und einen Augenblick darauf umfingen sie die Arme ihres
Mannes; gesichert legte sie den Kopf an seine Brust.
Vom Gebell des Hundes aufgewacht, hatte er mit jähem Schreck ihr
Lager an seiner Seite leer gesehen. Ein dunkles Wasser glitzerte
plötzlich vor seinem inneren Auge; es lag nur tausend Schritte hinter
ihrem Garten an einem Feldweg unter dichten Erlenbüschen. Wie vor
einigen Tagen sah er sich mit Ines an dem grünen Uferrande stehen; er
sah sie bis in das Schilf hinabgehen und einen Stein, den sie vorhin am
Wege aufgesammelt, in die Tiefe werfen. "Komm zurück, Ines!" hatte
er gerufen, "es ist nicht sicher dort." Aber sie war noch immer
stehengeblieben, mit den schwermütigen Augen in die Kreise starrend,
welche langsam auf dem schwarzen Wasserspiegel ausliefen. "Das ist
wohl unergründlich?" hatte sie gefragt, da er sie endlich in seinen
Armen forgerissen.
Das alles war in wilder Flucht durch seinen Kopf gegangen, als er die
Treppe nach dem Hofe hinabgestürmt.--Auch damals waren sie durch
den Garten von ihrem Hause fortgegangen, und jetzt traf er sie hier, fast
unbekleidet, das schöne Haar vom Nachttau feucht, der noch immer
von den Bäumen tropfte.
Er hüllte sie in den Plaid, welchen er sich selbst vorm Hinuntergehen
übergeworfen hatte. "Ines", sagte er--das Herz schlug ihm so gewaltig,
daß er das Wort fast rauh hervorstieß--, "was ist das? Wie bist du hieher
gekommen?"
Sie schauerte in sich zusammen.

"Ich weiß nicht, Rudolf--ich wollte fort--mir träumte; oh Rudolf, es
muß etwas Furchtbares gewesen sein!"
"Dir träumte? Wirklich, dir träumte!" wiederholte er und atmete auf,
wie von einer schweren Last befreit.
Sie nickte nur und ließ sich wie ein Kind ins Haus und in das
Schlafgemach zurückführen.
Als er sie hier sanft aus seinen Armen ließ, sagte sie: "Du bist so
stumm, du zürnst gewiß?"
"Wie sollt ich zürnen, Ines! Ich hatte Angst um dich. Hast du schon
früher so geträumt?"
Sie schüttelte erst den Kopf, bald aber besann sie sich. "Doch--einmal;
nur war nichts Schreckliches dabei."
Er trat ans Fenster und zog die Vorhänge zurück, so daß das Mondlicht
voll ins Zimmer strömte.
"Ich muß dein Antlitz sehen", sagte er, indem er sie auf die Kante ihres
Bettes niederzog und sich dann selbst an ihre Seite setzte. "Willst du
mir nun erzählen, was dir damals Liebliches geträumt hat? Du brauchst
nicht laut zu sprechen; in diesem zarten Lichte trifft auch der leiseste
Ton das Ohr."
Sie hatte den Kopf an seine Brust gelegt und sah zu ihm empor.
"Wenn du es wissen willst", sagte sie nachsinnend. "Es war, glaub ich,
an meinem dreizehnten Geburtstag; ich hatte mich ganz in das Kind, in
den kleinen Christus, verliebt, ich mochte meine Puppen nicht mehr
ansehen."
"In den kleinen Christus, Ines?"
"Ja, Rudolf", und sie legte sich wie zur Ruhe noch fester in seinen Arm;
"meine Mutter hatte mir ein Bild geschenkt, eine Madonna mit dem
Kinde; es hing hübsch eingerahmt über meinem Arbeitstischchen in der

Wohnstube."
"Ich kenne es", sagte er, "es hängt ja noch dort; deine Mutter wollte es
behalten zur Erinnerung an die kleine Ines."-"O meine liebe Mutter!"
Er zog sie fester an sich; dann sagte er: "Darf ich weiter hören, Ines?"
--"Doch! Aber ich schäme mich, Rudolf." Und dann leise und zögernd
fortfahrend: "Ich hatte an jenem Tage nur Augen für das Christkind;
auch nachmittags, als meine Gespielinnen da waren; ich schlich mich
heimlich hin und küßte das Glas vor seinem kleinen Munde--es war mir
ganz, als wenn's lebendig wäre--hätte ich es nur auch wie die Mutter
auf dem Bild in meine Arme nehmen können!"--Sie schwieg; ihre
Stimme war bei den letzten Worten zu einem flüsternden Hauch
herabgesunken.
"Und dann, Ines?" fragte er. "Aber du erzählst mir so beklommen!"
--"Nein, nein, Rudolf! Aber--in der Nacht, die darauf folgte, muß ich
auch im Traume aufgestanden sein; denn am andern Morgen fanden sie
mich in meinem Bette, das Bild in beiden Armen, mit meinem Kopf auf
dem zerdrückten Glase eingeschlafen."
Eine Weile war es totenstill im Zimmer.--"Und jetzt?" fragte er
ahnungsvoll und sah ihr tief und herzlich in die Augen. "Was hat dich
heute denn von meiner Seite in die Nacht hinausgetrieben?"
"Jetzt, Rudolf?"--Er fühlte, wie ein Zittern über alle ihre Glieder lief.
Plötzlich schlang sie die Arme um seinen Hals, und mit erstickter
Stimme flüsterte sie angstvolle und verworrene Worte, deren Sinn er
nicht verstehen konnte.
"Ines, Ines!" sagte er und nahm ihr schönes kummervolles Antlitz in
seine beiden Hände.
--"O Rudolf! Laß mich sterben; aber verstoße nicht unser Kind!"
Er war vor ihr aufs Knie gesunken und küßte ihr die Hände. Nur die

Botschaft hatte er gehört und nicht die dunkeln Worte, in denen sie ihm
verkündigt wurde; von seiner Seele flogen alle Schatten fort, und
hoffnungsreich zu ihr emporschauend, sprach er leise:
"Nun muß sich alles,
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 16
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.