Viola Tricolor | Page 6

Theodor W. Storm
warten", sagte sie, indem sie halb l?chelnd mit der Hand ��ber ihre blinzelnden Augen fuhr.
"Das ist unrecht von Anne; du h?ttest l?ngst zu Bette sein sollen."
Ines wandte sich ab und trat an das Fenster; sie f��hlte, wie ihr die Tr?nen aus den Augen quollen. Ein unentwirrbares Gemisch von bitteren Gef��hlen w��hlte in ihrer Brust; Heimweh, Mitleid mit sich selber, Reue ��ber ihre Lieblosigkeit gegen das Kind des geliebten Mannes; sie wu?te selber nicht, was alles jetzt sie ��berkam; aber--und mit der Wollust und der Ungerechtigkeit des Schmerzes sprach sie es sich selber vor--das war es: ihrer Ehe fehlte die Jugend, und sie selber war doch noch so jung!
Als sie sich umwandte, war das Zimmer leer.--Wo war die sch?ne Stunde, auf die sie sich gefreut?--Sie dachte nicht daran, da? sie sie selbst verscheucht hatte.--Das Kind, welches mit fast erschreckten Augen dem ihm unverst?ndlichen Vorgange zugesehen hatte, war von dem Vater still hinausgef��hrt worden.
"Geduld!" sprach er zu sich selber, als er, den Arm um Nesi geschlungen, mit ihr die Treppe hinaufstieg; und auch er, in einem andern Sinne, setzte hinzu: "Sie ist ja noch so jung."
Eine Kette von Gedanken und Pl?nen tauchte in ihm auf; mechanisch ?ffnete er das Zimmer, wo Nesi mit der alten Anne schlief und in dem sie von dieser schon erwartet wurde. Er k��?te sie und sprach: "Ich werde Mama von dir gute Nacht sagen." Dann wollte er zu seiner Frau hinabgehen; aber er kehrte wieder um und trat am Ende des Korridors in sein Studierzimmer.
Auf dem Aufsatze des Schreibtisches stand eine kleine Bronzelampe aus Pompeji, die er k��rzlich erst erworben und versucheshalber mit ?l gef��llt hatte; er nahm sie herab, z��ndete sie an und stellte sie wieder an ihren Ort unter das Bildnis der Verstorbenen; ein Glas mit Blumen, das auf der Platte des Tisches gestanden, setzte er daneben. Er tat dies fast gedankenlos; nur, als m��sse er auch seinen H?nden zu tun geben, w?hrend es ihm in Kopf und Herzen arbeitete. Dann trat er dicht daneben an das Fenster und ?ffnete beide Fl��gel desselben.
Der Himmel war voll Wolken; das Licht des Mondes konnte nicht herabgelangen. Drunten in dem kleinen Garten lag das wuchernde Gestr?uch wie eine dunkle Masse; nur dort, wo zwischen schwarzen pyramidenf?rmigen Koniferen der Steig zur Rohrh��tte f��hrte, schimmerte zwischen ihnen der wei?e Kies hindurch.
Und aus der Phantasie des Mannes, der in diese Einsamkeit hinabsah, trat eine liebliche Gestalt, die nicht mehr den Lebenden angeh?rte; er sah sie unten auf dem Steige wandeln, und ihm war, als gehe er an ihrer Seite.
"La? dein Ged?chtnis mich zur Liebe st?rken", sprach er; aber die Tote antwortete nicht; sie hielt den sch?nen, bleichen Kopf zur Erde geneigt; er f��hlte mit s��?em Schauder ihre N?he, aber Worte kamen nicht von ihr.
Da bedachte er sich, da? er hier oben ganz allein stehe. Er glaubte an den vollen Ernst des Todes; die Zeit, wo sie gewesen, war vor��ber.--Aber unter ihm lag noch wie einst der Garten ihrer Eltern; von seinen B��chern durch das Fenster sehend, hatte er dort zuerst das kaum f��nfzehnj?hrige M?dchen erblickt; und das Kind mit den blonden Flechten hatte dem ernsten Manne die Gedanken fortgenommen, immer mehr, bis sie zuletzt als Frau die Schwelle seines Hauses ��berschritten und ihm alles und noch mehr zur��ckgebracht hatte.--Jahre des Gl��ckes und freudigen Schaffens waren mit ihr eingezogen; den kleinen Garten aber, als die Eltern fr��h verstorben waren und das Haus verkauft wurde, hatten sie behalten und durch eine Pforte in der Grenzmauer mit dem gro?en Garten ihres Hauses verbunden. Fast verborgen war schon damals diese Pforte unter h?ngendem Gestr?uch, das sie ungehindert wachsen lie?en; denn sie gingen durch dieselbe in den fraulichsten Ort ihres Sommerlebens, in welchen selbst die Freunde des Hauses nur selten hineingelassen wurden.--In der Rohrh��tte, in welcher er einst von seinem Fenster aus die jugendliche Geliebte ��ber ihren Schularbeiten belauscht hatte, sa? jetzt zu den F��?en der blonden Mutter ein Kind mit dunkeln, nachdenklichen Augen; und wenn er nun den Kopf von seiner Arbeit wandte, so tat er einen Blick in das vollste Gl��ck des Menschenlebens.--Aber heimlich hatte der Tod sein Korn hineingeworfen. Es war in den ersten Tagen eines Junimondes, da trug man das Bett der schwer Erkrankten aus dem daranliegenden Schlafgemach in das Arbeitszimmer ihres Mannes; sie wollte die Luft noch um sich haben, die aus dem Garten ihres Gl��ckes durch das offene Fenster wehte. Der gro?e Schreibtisch war beiseite gestellt; seine Gedanken waren nun alle nur bei ihr.--Drau?en war ein unvergleichlicher Fr��hling aufgegangen; ein Kirschbaum stand mit Bl��ten ��berschneit. In unwillk��rlichem Drange hob er die leichte Gestalt aus den Kissen und trug sie an das Fenster. "Oh, sieh es noch einmal! Wie sch?n ist doch die Welt!"
Aber sie wiegte leise ihren Kopf und sagte: "Ich sehe es nicht mehr."-Und bald kam es, da wu?te er das Fl��stern, welches aus ihrem Munde brach, nicht mehr
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