Versuch einer Kritik aller Offenbarung | Page 8

Johann Gottlieb Fichte
auf eine solche Selbstverachtung ihm so drückend w?re, da? er lieber sein Leben aufopfern, als ihr sich unterwerfen wollte, davon würde er den Grund vergebens wieder in der Sinnenempfindung aufsuchen, aus welcher er so etwas, wie Achten, oder Verachten, mit aller Mühe nicht würde herauskünsteln k?nnen.
Selbst dieses Interesse aber bewirkt noch nicht nothwendig ein wirkliches Wollen; dazu wird in unserm Bewu?tseyn noch eine Handlung der Spontaneit?t erfordert, wodurch das Wollen, als wirkliche Handlung unsers Gemüthes, erst vollendet wird. Die in dieser Function des W?hlens dem Bewu?tseyn empirisch gegebne Freiheit der Willkühr (_libertas arbitrii_), die auch bei einer Bestimmung des Willens durch die sinnliche Neigung vorkommt, und nicht blos in dem Verm?gen zwischen der Bestimmung nach dem sittlichen, oder nach dem sinnlichen Triebe, sondern auch zwischen mehrern sich widerstreitenden Bestimmungen durch den letzteren -- zum Behuf einer Beurtheilung derselben -- zu w?hlen besteht, ist wohl zu unterscheiden von der absolut-ersten ?u?erung der Freiheit durch das practische Vernunftgesetz; wo Freiheit gar nicht etwa Willkühr hei?t, indem das Gesetz uns keine Wahl l??t, sondern mit Nothwendigkeit gebietet, sondern nur negativ g?nzliche Befreiung vom Zwange der Naturnothwendigkeit bedeutet, so da? das Sittengesetz auf gar keinen in der theoretischen Naturphilosophie liegenden Gründen, als seinen Pr?missen, beruhe, und ein Verm?gen im Menschen voraussetze, sich unabh?ngig von Naturnothwendigkeit zu bestimmen. Ohne diese absolut-erste ?u?erung der Freiheit w?re die zweite blos empirische nicht zu retten, sie w?re ein blo?er Schein, und das erste ernsthafte Nachdenken vernichtete den sch?nen Traum, in dem wir uns einen Augenblick von der Kette der Naturnothwendigkeit losgefesselt w?hnten. -- Wo ich nicht irre, so ist die Verwechselung dieser zwei sehr verschiednen ?u?erungen der Freiheit eine der Hauptursachen, warum man sich die moralische (nicht etwa physische) Nothwendigkeit, womit ein Gesetz der Freiheit gebieten soll, so schwer denken konnte. Denkt man nemlich in den Begriff der Freiheit das Merkmal der Willkühr hinein (ein Gedanke, dessen noch immer viele sich nicht erwehren k?nnen), so l??t damit sich freilich auch die moralische Nothwendigkeit nicht vereinigen. Aber davon ist bei der ersten ursprünglichen ?u?erung der Freiheit, durch welche allein sie sich überhaupt bew?hrt, gar nicht die Rede. Die Vernunft giebt sich selbst, unabh?ngig von irgend etwas au?er ihr, durch absolut eigne Spontaneit?t, ein Gesetz; das ist der einzig richtige Begriff der transscendentalen Freiheit: dieses Gesetz nun gebietet, eben weil es Gesetz ist, nothwendig und unbedingt, und da findet keine Willkühr, kein Ausw?hlen zwischen verschiednen Bestimmungen durch dieses Gesetz statt, weil es nur auf eine Art bestimmt. -- Folgendes noch zur Erl?uterung. Diese transscendentale Freiheit, als ausschlie?ender Character der Vernunft, insofern sie practisch ist, ist jedem moralischen Wesen, folglich auch dem Unendlichen beizulegen. Insofern aber diese Freiheit auf empirische Bedingungen endlicher Wesen sich bezieht, gelten ihre ?u?erungen in diesem Falle nur unter diesen Bedingungen; folglich ist eine Freiheit der Willkühr da sie auf der Bestimmbarkeit eines Wesens noch durch andere als das practische Vernunftgesetz beruht, in Gott, der blos durch dieses Gesetz bestimmt wird, eben so wenig, als Achtung fürs Gesetz, oder Interesse am Schlechthinrechten anzunehmen; und die Philosophen, welche in diesem Sinne des Worts die Freiheit, als durch die Schranken der Endlichkeit bedingt, Gott absprachen, hatten daran vollkommen recht.
Damit nun diese Zergliederung, die neben der Hauptabsicht, unbemerkte Schwierigkeiten einer Offenbarungscritik zu heben, noch die Nebenabsicht hatte, einige Dunkelheiten in der critischen Philosophie überhaupt aufzukl?ren, und den bisherigen Nichtkennern oder Gegnern derselben eine neue Thür zu er?fnen, um in sie einzudringen, nicht von critischen Philosophen selbst misverstanden, und so gedeutet werde, als sey dadurch die Tugend abermals zur Magd der Lust herabgewürdigt, so machen wir unsre Gedanken durch folgende Tabelle noch deutlicher:
Wollen, die Bestimmung durch Selbstth?tigkeit zur Hervorbringung einer Vorstellung, als Handlung des Gemüths betrachtet, ist
A.
rein,
wenn Vorstellung sowohl, als Bestimmung, durch absolute Selbstth?tigkeit hervorgebracht ist. -- Dieses ist nur in einem Wesen m?glich, das blos th?tig und nie leidend ist, in Gott.
B.
nicht rein,
a.
wenn zwar die Bestimmung, aber nicht die Vorstellung durch Selbstth?tigkeit hervorgebracht wird. -- Bei der Bestimmung durch den sinnlichen Trieb in endlichen Wesen.
b.
wenn zwar die Vorstellung, aber nicht die Bestimmung durch Selbstth?tigkeit hervorgebracht wird. -- Nun aber soll schon verm?ge des Begriffs des Wollens die Bestimmung allemahl durch Selbstth?tigkeit hervorgebracht werden; folglich ist dieser Fall nur unter der Bedingung denkbar, da? zwar die eigentliche Bestimmung als Handlung durch Spontaneit?t geschehe, der bestimmende Trieb aber eine Affection sey. -- Sittliche Bestimmung des Willens in endlichen Wesen verm?ge des Triebs der Selbstachtung, als eines sittlichen Interesse.
Reines Wollen ist demnach in endlichen Wesen nicht m?glich, weil das Wollen nicht Gesch?ft des reinen Geistes, sondern des empirisch-bestimmbaren Wesens ist; aber wohl ein reines Begehrungsverm?gen, als Verm?gen, welches nicht dem empirisch-bestimmbaren Wesen, sondern dem reinen Geiste beiwohnt, und allein durch sein Daseyn unsre geistige Natur offenbart. -- Anders hat sich denn auch, so wie ich wenigstens es verstanden habe, die reine Vernunft durch ihren bevollm?chtigten Interpreten unter uns nicht erkl?rt, wie aus einer
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