Versuch einer Kritik aller Offenbarung | Page 9

Johann Gottlieb Fichte
Vergleichung dieser Darstellung mit der in der Critik der practischen Vernunft sich ergeben dürfte[7].
III.
Die Affection des Glückseeligkeitstriebes durch das Sittengesetz zur Erregung der Achtung ist, in Beziehung auf ihn, als Glückseeligkeitstrieb, blos negativ: auch die Selbstachtung wirkt so wenig Glückseeligkeit, wenn Glückseeligkeit, wie es geschehen mu?, blos in das angenehme gesetzt wird, da? sie vielmehr steigt, so wie jene f?llt, und da? man sich nur um so mehr achten kann, je mehr von seiner Glückseeligkeit man der Pflicht aufgeopfert hat. Dennoch ist zu erwarten, da? das Sittengesetz den Glückseeligkeitstrieb, selbst als Glückseeligkeitstrieb, wenigstens mittelbar auch positiv afficiren werde, um Einheit in den ganzen, rein- und empirisch-bestimmbaren Menschen zu bringen; und da dieses Gesetz ein Primat in uns verlangt, so ist es sogar zu fordern[8].
Nemlich der Glückseeligkeitstrieb wird vors erste durch das Sittengesetz nach Regeln eingeschr?nkt; ich darf nicht alles wollen, wozu dieser Trieb mich bestimmen k?nnte. Durch diese vors erste blos negative Gesetzm??igkeit nun kommt der Trieb, der vorher gesetzlos und blind vom Ohngef?hr oder der blinden Naturnothwendigkeit abhing, überhaupt unter ein Gesetz, und Wird auch da, wo das Gesetz nicht redet, wenn dieses Gesetz nur für ihn alleingültig ist, eben durch das Stillschweigen des Gesetzes, positiv gesetzm??ig, (gesetzlich noch nicht). Darf ich nicht wollen, was das Sittengesetz verbietet, so darf ich alles wollen, was es nicht verbietet -- nicht aber, ich soll es wollen, denn das Gesetz schweigt ganz; sondern das h?ngt ganz von meiner freien Willkühr ab. -- Dieses Dürfen ist einer der Begriffe, die ihren Ursprung an der Stirne tragen. Er ist nemlich offenbar durch das Sittengesetz bedingt; -- die Naturphilosophie wei? nur von k?nnen, oder nicht k?nnen, aber von keinem dürfen: -- aber er ist durch dasselbe nur negativ bedingt, und überl??t die positive Bestimmung lediglich der Neigung.
Was man, wegen des Stillschweigens des Gesetzes, darf, hei?t, insofern es auf das Gesetz bezogen wird, negativ nicht unrecht; und insofern es auf die dadurch entstehende Gesetzm??igkeit des Triebes bezogen wird, positiv ein Recht. Zu allem, was _nicht unrecht ist, habe ich ein Recht_[9].
Insofern das Gesetz durch sein Stillschweigen dem Triebe ein Recht giebt, ist dieser blos gesetzm??ig; der Genu? wird durch dieses Stillschweigen blos (moralisch) m?glich. Dies leitet uns auf eine Modalit?t der Berechtigung des Triebes, und es l??t sich erwarten, da? der Trieb durch das practische Gesetz mittelbar auch gesetzlich -- da? ein Genu? durch dasselbe auch wirklich werden k?nne. -- Dieser letztere Ausdruck kann nun nicht soviel hei?en, als ob die Sinnlichkeit durch einen ihr vom Sittengesetze gegebnen Stoff in der Receptivit?t positiv angenehm afficirt werden solle, wovon die Unm?glichkeit schon oben zur Genüge dargethan worden; -- der Genu? soll nemlich nicht physisch-, sondern moralisch-wirklich gemacht werden, welcher ungew?hnliche Ausdruck sogleich seine v?llige Klarheit erhalten wird. Eine solche moralische Wirklichmachung des Genusses mü?te sich noch immer auf jene negative Bestimmung des Triebes durchs Gesetz gründen. Durch diese nun erhielt der Trieb vors erste ein Recht. Nun aber k?nnen F?lle eintreten, wo das Gesetz seine Berechtigung zurücknimmt. So ist ohne Zweifel jeder berechtiget zu leben; dennoch aber kann es Pflicht werden, sein Leben aufzuopfern. Dieses Zurücknehmen der Berechtigung w?re ein f?rmlicher Widerspruch des Gesetzes mit sich selbst. Nun kann das Gesetz sich nicht widersprechen, ohne seinen gesetzlichen Character zu verlieren, aufzuh?ren, ein Gesetz zu seyn, und g?nzlich aufgegeben werden zu müssen. -- Dieses würde uns nun vors erste darauf führen, da? alle Objecte des sinnlichen Triebes, laut der Anforderung des Sittengesetzes sich nicht selbst zu widersprechen, nur Erscheinungen, nicht Dinge an sich, seyn k?nnten; da? mithin ein solcher Widerspruch in den Objecten, insofern sie Erscheinungen sind, gegründet, mithin nur scheinbar sey. Jener Satz ist also eben so gewi? ein Postulat der practischen Vernunft, als er ein Theorem der theoretischen ist. Es g?be demnach an sich gar keinen Tod, kein Leiden, keine Aufopferung für die Pflicht, sondern der Schein dieser Dinge gründete sich blos auf das, was die Dinge zu Erscheinungen macht.
Aber, da unser sinnlicher Trieb doch einmal auf Erscheinungen geht; da das Gesetz ihn als solchen, mithin insofern er darauf geht, berechtigt, so kann es auch diese Berechtigung nicht zurücknehmen; es mu? mithin, verm?ge seines geforderten Primats, auch über die Welt der Erscheinungen gebieten. Nun kann es das nicht unmittelbar, da es sich positiv nur an das Ding an sich, an unser oberes, reingeistiges Begehrungsverm?gen wendet; es mu? also mittelbar, mithin _durch den sinnlichen Trieb_ geschehen, auf den es negativ allerdings wirkt. Daraus nun entsteht eine von der negativen Bestimmung des Triebes durch das Gesetz abgeleitete positive Gesetzlichkeit desselben. -- Wer z. B. für die Pflicht stirbt, dem nimmt das Sittengesetz ein vorher zugestandnes Recht; das kann aber das Gesetz nicht thun, ohne sich UN widersprechen; folglich ist ihm dieses Recht nur insofern er Erscheinung ist, (hier -- in der Zeit) genommen: sein durch das Gesetz berechtigter Lebenstrieb fordert es als Erscheinung, mithin in der Zeit, zurück,
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