Venus im Pelz | Page 6

Leopold von Sacher-Masoch
der
Ferne sanft verschwimmend, gleich zitternden Gewässern.
Ich kann nicht widerstehen, es mahnt und ruft mich so seltsam, ich
kleide mich wieder an und trete in den Garten.
Es zieht mich hin zur Wiese, zu ihr, meiner Göttin, meiner Geliebten.
Die Nacht ist kühl. Mich fröstelt. Die Luft ist schwer von Blumen- und
Waldgeruch, sie berauscht.
Welche Feier! Welche Musik ringsum. Eine Nachtigall schluchzt. Die
Sterne zucken nur leise in blaßblauem Schimmer. Die Wiese scheint

glatt, wie ein Spiegel, wie die Eisdecke eines Teiches.
Hehr und leuchtend ragt das Venusbild.
Doch -- was ist das? Von den marmornen Schultern der Göttin fließt
bis zu ihren Sohlen ein großer dunkler Pelz herab -- ich stehe starr und
staune sie an, und wieder faßt mich jenes unbeschreibliche Bangen und
ich ergreife die Flucht.
Ich beschleunige meine Schritte; da sehe ich, daß ich die Allee verfehlt
habe, und wie ich seitwärts in einen der grünen Gänge einbiegen will,
sitzt Venus, das schöne, steinerne Weib, nein, die wirkliche
Liebesgöttin, mit warmem Blute und pochenden Pulsen, vor mir auf
einer steinernen Bank. Ja, sie ist mir lebendig geworden, wie jene
Statue, die für ihren Meister zu atmen begann; zwar ist das Wunder erst
halb vollbracht. Ihr weißes Haar scheint noch von Stein und ihr weißes
Gewand schimmert wie Mondlicht, oder ist es Atlas? und von ihren
Schultern fließt der dunkle Pelz -- aber ihre Lippen sind schon rot und
ihre Wangen färben sich, und aus ihren Augen treffen mich zwei
diabolische, grüne Strahlen und jetzt lacht sie.
Ihr Lachen ist so seltsam, so -- ach! es ist unbeschreiblich, es benimmt
mir den Atem, ich flüchte weiter und muß immer wieder nach wenigen
Schritten Atem holen und dieses spöttische Lachen verfolgt mich durch
die düsteren Laubgänge, über die hellen Rasenplätze, in das Dickicht,
durch das nur einzelne Mondstrahlen brechen; ich finde den Weg nicht
mehr, ich irre umher, kalte Tropfen perlen mir auf der Stirne.
Endlich bleibe ich stehen und halte einen kurzen Monolog.
Er lautet -- nun -- man ist ja immer sich selbst gegenüber entweder sehr
artig oder sehr grob.
Ich sage also zu mir: Esel! Dieses Wort übt eine großartige Wirkung,
gleich einer Zauberformel, die mich erlöst und zu mir bringt.
Ich bin im Augenblicke ruhig.

Vergnügt wiederhole ich: Esel! Ich sehe nun wieder alles klar und
deutlich, da ist der Springbrunnen, dort die Allee von Buchsbaum, dort
das Haus, auf das ich jetzt langsam zugehe.
Da -- plötzlich noch einmal -- hinter der grünen, vom Mondlicht
durchleuchteten, gleichsam in Silber gestickten Wand, die weiße
Gestalt, das schöne Weib von Stein, das ich anbete, das ich fürchte, vor
dem ich fliehe.
Mit ein paar Sätzen bin ich im Hause und hole Atem und denke nach.
Nun, was bin ich jetzt eigentlich, ein kleiner Dilettant oder ein großer
Esel? Ein schwüler Morgen, die Luft ist matt, stark gewürzt, aufregend.
Ich sitze wieder in meiner Gaisblattlaube und lese in der Odyssee von
der reizenden Hexe, die ihre Anbeter in Bestien verwandelt. Köstliches
Bild der antiken Liebe.
In den Zweigen und Halmen rauscht es leise und die Blätter meines
Buches rauschen und auf der Terrasse rauscht es auch.
Ein Frauengewand -- Da ist sie -- Venus -- aber ohne Pelz -- nein,
diesmal ist es die Witwe und doch -- Venus -- oh! welch ein Weib! Wie
sie dasteht im leichten, weißen Morgengewande und auf mich blickt,
wie poetisch und anmutig zugleich erscheint ihre feine Gestalt; sie ist
nicht groß, aber auch nicht klein, und der Kopf, mehr reizend, pikant --
im Sinne der Französischen Marquisenzeit -- als streng schön, aber
doch wie bezaubernd, welche Weichheit, welcher holde Mutwille
umspielen diesen vollen, nicht zu kleinen Mund -- die Haut ist so
unendlich zart, daß überall die blauen Adern durchschimmern, auch
durch den Mousselin, welcher Arm und Busen bedeckt, wie üppig
ringelt sich das rote Haar -- ja, es ist rot -- nicht blond oder goldig --
wie dämonisch und doch lieblich spielt es um ihren Nacken, und jetzt
treffen mich ihre Augen wie grüne Blitze -- ja, sie sind grün, diese
Augen, deren sanfte Gewalt unbeschreiblich ist -- grün, aber so wie es
Edelsteine, wie es tiefe, unergründliche Bergseen sind.
Sie bemerkt meine Verwirrung, die mich sogar unartig macht, denn ich
bin sitzen geblieben und habe noch meine Mütze auf dem Kopfe.

Sie lächelt schelmisch.
Ich erhebe mich endlich und grüße sie. Sie nähert sich und bricht in ein
lautes, beinahe kindliches Lachen aus. Ich stottere, wie nur ein kleiner
Dilettant oder großer Esel in einem solchen Augenblicke stottern kann.
So machen wir unsere Bekanntschaft.
Die Göttin fragt um meinen Namen und nennt mir den ihren. Sie heißt
Wanda von Dunajew.
Und sie ist wirklich meine Venus.
»Aber Madame, wie kamen Sie auf den Einfall?«
»Durch das kleine Bild, das in einem Ihrer Bücher lag --«
»Ich habe es
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