Venus im Pelz | Page 4

Leopold von Sacher-Masoch
Da -- lies!«
Severin setzte sich zum Kamin, den Rücken gegen mich, und schien
mit offenen Augen zu träumen. Wieder war es still geworden, und
wieder sang das Feuer im Kamin, und der Samowar und das Heimchen
im alten Gemäuer und ich schlug die Handschrift auf und las:
»Bekenntnisse eines Übersinnlichen«, an dem Rande des Manuskriptes
standen als Motiv die bekannten Verse aus dem Faust variiert:
»Du übersinnlicher sinnlicher Freier, Ein Weib nasführet dich!«
Mephistopheles.
Ich schlug das Titelblatt um und las: »Das Folgende habe ich aus
meinem damaligen Tagebuche zusammengestellt, weil man seine
Vergangenheit nie unbefangen darstellen kann, so aber hat alles seine
frischen Farben, die Farben der Gegenwart.«
Gogol, der russische Molière, sagt -- ja wo? -- nun irgendwo -- »die
echte komische Muse ist jene, welcher unter der lachenden Larve die
Tränen herabrinnen«.
Ein wunderbarer Ausspruch! So ist es mir recht seltsam zumute,
während ich dies niederschreibe. Die Luft scheint mir mit einem
aufregenden Blumenduft gefüllt, der mich betäubt und mir Kopfweh
macht, der Rauch des Kamines kräuselt und ballt sich mir zu Gestalten,
kleinen graubärtigen Kobolden zusammen, die spöttisch mit dem
Finger auf mich deuten, pausbäckige Amoretten reiten auf den Lehnen
meines Stuhles und auf meinen Knien, und ich muß unwillkürlich
lächeln, ja laut lachen, indem ich meine Abenteuer niederschreibe, und
doch schreibe ich nicht mit gewöhnlicher Tinte, sondern mit dem roten
Blute, das aus meinem Herzen träufelt, denn alle seine längst
vernarbten Wunden haben sich geöffnet und es zuckt und schmerzt,

und hie und da fällt eine Träne auf das Papier.
Träge schleichen die Tage in dem kleinen Karpatenbade dahin. Man
sieht niemand und wird von niemand gesehen. Es ist langweilig zum
Idyllenschreiben. Ich hätte hier Muße, eine Galerie von Gemälden zu
liefern, ein Theater für eine ganze Saison mit neuen Stücken, ein
Dutzend Virtuosen mit Konzerten, Trios und Duos zu versorgen, aber
-- was spreche ich da -- ich tue am Ende doch nicht viel mehr, als die
Leinwand aufspannen, die Bogen zurechtglätten, die Notenblätter
liniieren, denn ich bin -- ach! nur keine falsche Scham, Freund Severin,
lüge andere an; aber es gelingt dir nicht mehr recht, dich selbst
anzulügen -- also ich bin nichts weiter, als ein Dilettant; ein Dilettant in
der Malerei, in der Poesie, der Musik und noch in einigen anderen jener
sogenannten brotlosen Künste, welche ihren Meistern heutzutage das
Einkommen eines Ministers, ja eines kleinen Potentaten sichern, und
vor allem bin ich ein Dilettant im Leben.
Ich habe bis jetzt gelebt, wie ich gemalt und gedichtet habe, das heißt,
ich bin nie weit über die Grundierung, den Plan, den ersten Akt, die
erste Strophe gekommen. Es gibt einmal solche Menschen, die alles
anfangen und doch nie mit etwas zu Ende kommen, und ein solcher
Mensch bin ich.
Aber was schwatze ich da.
Zur Sache.
Ich liege in meinem Fenster und finde das Nest, in dem ich verzweifle,
eigentlich unendlich poetisch, welcher Blick auf die blaue, von
goldenem Sonnenduft umwobene hohe Wand des Gebirges, durch
welche sich Sturzbäche wie Silberbänder schlingen, und wie klar und
blau der Himmel, in den die beschneiten Kuppen ragen, und wie grün
und frisch die waldigen Abhänge, die Wiesen, auf denen kleine Herden
weiden, bis zu den gelben Wogen des Getreides hinab, in denen die
Schnitter stehen und sich bücken und wieder emportauchen.
Das Haus, in dem ich wohne, steht in einer Art Park, oder Wald, oder
Wildnis, wie man es nennen will, und ist sehr einsam.

Es wohnt niemand darin als ich, eine Witwe aus Lwow, die Hausfrau
Madame Tartakowska, eine kleine alte Frau, die täglich älter und
kleiner wird, ein alter Hund, der auf einem Beine hinkt, und eine junge
Katze, welche stets mit einem Zwirnknäuel spielt, und der Zwirnknäuel
gehört, glaube ich, der schönen Witwe.
Sie soll wirklich schön sein, die Witwe, und noch sehr jung, höchstens
vierundzwanzig, und sehr reich. Sie wohnt im ersten Stock und ich
wohne ebener Erde. Sie hat immer die grünen Jalousien geschlossen
und hat einen Balkon, der ganz mit grünen Schlingpflanzen
überwachsen ist; ich aber habe dafür unten meine liebe, trauliche
Gaisblattlaube, in der ich lese und schreibe und male und singe, wie ein
Vogel in den Zweigen. Ich kann auf den Balkon hinaufsehen.
Manchmal sehe ich auch wirklich hinauf und dann schimmert von Zeit
zu Zeit ein weißes Gewand zwischen dem dichten, grünen Netz.
Eigentlich interessiert mich die schöne Frau dort oben sehr wenig, denn
ich bin in eine andere verliebt, und zwar höchst unglücklich verliebt,
noch weit unglücklicher, als Ritter Toggenburg und der Chevalier in
Manon l'Escault, denn meine Geliebte ist von Stein.
Im Garten, in der kleinen Wildnis, befindet sich eine graziöse kleine
Wiese, auf der friedlich ein paar zahme Rehe weiden. Auf dieser Wiese
steht ein Venusbild von Stein, das Original, glaube ich, ist in Florenz;
diese Venus ist das schönste Weib, das ich in
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