Venetianische Epigramme | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
Schiffer, und klopft dir die Wange; der Seckel Thut sich dir
kärglich zwar, aber er thut sich doch auf,
Und der Bewohner
Venedigs entfaltet den Mantel, und reicht dir, Eben als flehtest du laut
bey den Mirakeln Antons,
Bey des Herrn fünf Wunden, dem Herzen
der seligsten Jungfrau, Bey der feurigen Qual, welche die Seelen
durchfegt.
Jeder kleine Knabe, der Schiffer, der Höke, der Bettler

Drängt sich, und freut sich bey dir, daß er ein Kind ist, wie du.
XLVI.
Dichten ist ein lustig Metier; nur find' ich es theuer:
Wie dies
Büchlein mir wächst, gehn die Zechinen mir fort.
XLVII.
"Welch ein Wahnsinn ergriff die Müßigen? Hältst du nicht inne? Wird
dies Mädchen ein Buch? Stimme was Klügeres an!"
Wartet, ich singe
die Könige bald, die Großen der Erde,
Wenn ich ihr Handwerk einst
besser begreife, wie jetzt.
Doch Bettinnen sing' ich indeß; denn
Gaukler und Dichter
Sind gar nahe verwandt, suchen und finden sich
gern.

XLVIII.
Böcke, zur Linken mit euch! so ordnet künftig der Richter:
Und ihr
Schäfchen, ihr sollt ruhig zur Rechten mir stehn!
Wohl! Doch eines
ist noch von ihm zu hoffen; dann sagt er:
Seyd, Vernünftige, mir
grad' gegenüber gestellt!
XLIX.
Wißt ihr, wie ich gewiß zu Hunderten euch Epigramme
Fertige?
Führet mich nur weit von der Liebsten hinweg!
L.
Alle Freyheits=Apostel, sie waren mir immer zuwider;
Willkür
suchte doch nur Jeder am Ende für sich.
Willst du Viele befreyn, so
wag' es Vielen zu dienen.
Wie gefährlich das sey; willst du es wissen?
Versuch's!
LI.
Könige wollen das Gute, die Demagogen desgleichen,
Sagt man;
doch irren sie sich: Menschen, ach, sind sie, wie wir. Nie gelingt es der
Menge, für sich zu wollen; wir wissens:
Doch wer verstehet, für uns
Alle zu wollen; Er zeig's.
LII.
Jeglichen Schwärmer schlagt mir an's Kreuz im dreyßigsten Jahre;
Kennt er nur einmal die Welt, wird der Betrogne der Schelm.
LIII.
Frankreichs traurig Geschick, die Großen mögen's bedenken;
Aber
bedenken fürwahr sollen es Kleine noch mehr.
Große gingen zu
Grunde: doch wer beschützte die Menge
Gegen die Menge? Da war
Menge der Menge Tyrann.

LIV.
Tolle Zeiten hab' ich erlebt, und hab' nicht ermangelt,
Selbst auch
thöricht zu seyn, wie es die Zeit mir gebot.
LV.
Sage, thun wir nicht recht? Wir müssen den Pöbel betrügen.
Sieh nur,
wie ungeschickt, sieh nur, wie wild er sich zeigt! Ungeschickt und wild
sind alle rohen Betrognen;
Seyd nur redlich, und so führt ihn zum
Menschlichen an.
LVI.
Fürsten prägen so oft auf kaum versilbertes Kupfer
Ihr bedeutendes
Bild; lange betrügt sich das Volk.
Schwärmer prägen den Stempel des
Geist's auf Lügen und Unsinn; Wem der Probierstein fehlt, hält sie für
redliches Gold.
LVII.
Jene Menschen sind toll, so sagt ihr von heftigen Sprechern, Die wir in
Frankreich laut hören auf Straßen und Markt.
Mir auch scheinen sie
toll; doch redet ein Toller in Freyheit Weise Sprüche, wenn, ach!
Weisheit im Sklaven verstummt.
LVIII.
Lange haben die Großen der Franzen Sprache gesprochen,
Halb nur
geachtet den Mann, dem sie vom Munde nicht floß.
Nun lallt alles
Volk entzückt die Sprache der Franken.
Zürnet, Mächtige, nicht! Was
ihr verlangtet, geschieht.
LIX.
"Seyd doch nicht so frech, Epigramme!" Warum nicht? Wir sind nur
Ueberschriften; die Welt hat die Kapitel des Buchs.

LX.
Wie dem hohen Apostel ein Tuch voll Thiere gezeigt ward,
Rein und
unrein, zeigt, Lieber, das Büchlein sich dir.
LXI.
Ein Epigramm, ob wohl es gut sey? Kannst du's entscheiden?
Weiß
man doch eben nicht stets, was er sich dachte, der Schalk.
LXII.
Um so gemeiner es ist, und näher dem Neide, der Mißgunst;
Um so
mehr begreifst du das Gedichtchen gewiß.
LXIII.
Chloe schwöret, sie liebt mich; ich glaub's nicht. Aber sie liebt dich!
Sagt mir ein Kenner. Schon gut; glaubt' ich's, da wär es vorbey.
LXIV.
Niemand liebst du, und mich, Philarchos liebst du so heftig. Ist denn
kein anderer Weg, mich zu bezwingen, als der?
LXV.
Ist denn so groß das Geheimniß,was Gott und der Mensch und die Welt
sey? Nein! Doch Niemand hört's gerne; da bleibt es geheim.
LXVI.
Vieles kann ich ertragen. Die meisten beschwerlichen Dinge
Duld'
ich mit ruhigem Muth, wie es ein Gott mir gebeut.
Wenige sind mir
jedoch wie Gift und Schlange zuwider;
Viere: Rauch des Tabacks,
Wanzen und Knoblauch und †
LXVII.

Längst schon hätt' ich euch gern von jenen Thierchen gesprochen, Die
so zierlich und schnell fahren dahin und daher.
Schlängelchen
scheinen sie gleich, doch viergefüßet; sie laufen, Kriechen und
schleichen, und leicht schleppen die Schwänzchen sie nach. Seht, hier
sind sie! und hier! Nun sind sie verschwunden! Wo sind sie? Welche
Ritze, welch Kraut nahm die Entfliehenden auf?
Wollt ihr mir's
künftig erlauben, so nenn' ich die Thierchen Lacerten; Denn ich
brauche sie noch oft als gefälliges Bild.
LXVIII.
Wer Lacerten gesehn, der kann sich die zierlichen Mädchen
Denken,
die über den Platz fahren dahin und daher.
Schnell und beweglich
sind sie, und gleiten, stehen und schwatzen, Und es rauscht das
Gewand hinter den Eilenden drein.
Sieh, hier ist sie! und hier!
Verlierst du sie einmal, so suchst du Sie vergebens; so bald kommt
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