Venetianische Epigramme | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
bringt!
XXXII.
Warum leckst du dein Mäulchen, indem du mir eilig begegnest? Wohl,

dein Züngelchen sagt mir, wie gesprächig es sey.
XXXIII.
Sämmtliche Künste lernt und treibet der Deutsche; zu jeder
Zeigt er
ein schönes Talent, wenn er sie ernstlich ergreift. Eine Kunst nur treibt
er, und will sie nicht lernen, die Dichtkunst. Darum pfuscht er auch so;
Freunde, wir haben's erlebt.
XXXIV. a)
Oft erklärt ihr euch als Freunde des Dichters, ihr Götter!
Gebt ihm
auch, was er bedarf! Mäßiges braucht er, doch viel: Erstlich freundliche
Wohnung, dann leidlich zu essen, zu trinken Gut; der Deutsche versteht
sich auf den Nektar, wie ihr.
Dann geziemende Kleidung und Freunde,
vertraulich zu schwatzen; Dann ein Liebchen des Nachts, das ihn von
Herzen begehrt.
Diese fünf natürlichen Dinge verlang' ich vor Allem.

Gebet mir ferner dazu Sprachen, die alten und neu'n,
Daß ich der
Völker Gewerb' und ihre Geschichten vernehme;
Gebt mir ein reines
Gefühl, was sie in Künsten gethan.
Ansehn gebt mir im Volke,
verschafft bey Mächtigen Einfluß, Oder was sonst noch bequem unter
den Menschen erscheint;
Gut - schon dank' ich euch, Götter; ihr habt
den glücklichsten Menschen Ehstens fertig: denn ihr gönntet das
Meiste mir schon.
XXXIV. b)
Klein ist unter den Fürsten Germaniens freylich der meine;
Kurz und
schmal ist sein Land, mäßig nur, was er vermag.
Aber so wende nach
innen, so wende nach außen die Kräfte
Jeder; da wär's ein Fest,
Deutscher mit Deutschen zu seyn.
Doch was priesest du Ihn, den
Thaten und Werke verkünden?
Und bestochen erschien deine
Verehrung vielleicht;
Denn mir hat er gegeben, was Große selten
gewähren,
Neigung, Muße, Vertraun, Felder und Garten und Haus.

Niemand braucht' ich zu danken als ihm, und Manches bedurft' ich, Der
ich mich auf den Erwerb schlecht, als ein Dichter, verstand. Hat mich

Europa gelobt, was hat mir Europa gegeben?
Nichts! Ich habe, wie
schwer! meine Gedichte bezahlt.
Deutschland ahmte mich nach, und
Frankreich mochte mich lesen. England! freundlich empfingst du den
zerrütteten Gast.
Doch was fördert es mich, daß auch sogar der
Chinese
Mahlet, mit ängstlicher Hand, Werthern und Lotten auf Glas?
Niemals frug ein Kaiser nach mir, es hat sich kein König
Um mich
bekümmert, und Er war mir August und Mäzen.
XXXV.
Eines Menschen Leben, was ist's? Doch Tausende können
Reden
über den Mann, was er und wie er's gethan.
Weniger ist ein Gedicht;
doch können es Tausend genießen,
Tausende tadeln. Mein Freund,
lebe nur, dichte nur fort!
XXXVI.
Müde war ich geworden, nur immer Gemählde zu sehen,
Herrliche
Schätze der Kunst, wie sie Venedig bewahrt.
Denn auch dieser Genuß
verlangt Erholung und Muße;
Nach lebendigem Reiz suchte mein
schmachtender Blick.
Gauklerinn! da ersah ich in dir zu den Bübchen
das Urbild.
Wie sie Johannes Bellin reizend mit Flügeln gemahlt,

Wie sie Paul Veronese mit Bechern dem Bräutigam sendet,
Dessen
Gäste, getäuscht, Wasser genießen für Wein.
XXXVII.
Wie, von der künstlichsten Hand geschnitzt, das liebe Figürchen,
Weich und ohne Gebein, wie die Moluska nur schwimmt!
Alles ist
Glied, und Alles Gelenk, und Alles gefällig,
Alles nach Maßen
gebaut, Alles nach Willkür bewegt.
Menschen hab' ich gekannt, und
Thiere, so Vögel als Fische, Manches besondre Gewürm, Wunder der
großen Natur;
Und doch staun' ich dich an, Bettine, liebliches
Wunder,
Die du Alles zugleich bist, und ein Engel dazu.
XXXVIII.

Kehre nicht, liebliches Kind, die Beinchen hinauf zu dem Himmel;
Jupiter sieht dich, der Schalk, und Ganymed ist besorgt.
XXXIX.
Wende die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge! Wir strecken

Arme betend empor; aber nicht schuldlos, wie du.
XL.
Seitwärts neigt sich dein Hälschen. Ist das ein Wunder? Es träget Oft
dich Ganze; du bist leicht, nur dem Hälschen zu schwer. Mir ist sie gar
nicht zuwider die schiefe Stellung des Köpfchens; Unter schönerer Last
beugte kein Nacken sich je.
XLI.
So verwirret mit dumpf willkürlich verwebten Gestalten,
Höllisch
und trübe gesinnt, Breughel den schwankenden Blick; So zerrüttet auch
Dürer mit apokalyptischen Bildern,
Menschen und Grillen zugleich,
unser gesundes Gehirn;
So erreget ein Dichter, von Sphinxen, Sirenen,
Centauren
Singend mit Macht Neugier in dem verwunderten Ohr;

So beweget ein Traum den Sorglichen, wenn er zu greifen,
Vorwärts
glaubet zu gehn, Alles veränderlich schwebt:
So verwirrt uns Bettine,
die holden Glieder verwechselnd;
Doch erfreut sie uns gleich, wenn
sie die Sohlen betritt.
XLII.
Gern überschreit' ich die Gränze, mit breiter Kreide gezogen. Macht sie
Bottegha, das Kind, drängt sie mich artig zurück.
XLIII.
"Ach! mit diesen Seelen, was macht er? Jesus Maria!
Bündelchen
Wäsche sind das, wie man zum Brunnen sie trägt.
Wahrlich, sie fällt!
Ich halt' es nicht aus! Komm, gehn wir! Wie zierlich! Sieh nur, wie

steht sie! wie leicht! Alles mit Lächeln und Lust!" Altes Weib, du
bewunderst mit Recht Bettinen; du scheinst mir Jünger zu werden und
schön, da dich mein Liebling erfreut.
XLIV.
Alles seh' ich so gerne von dir; doch seh' ich am liebsten, Wenn der
Vater behend über dich selber dich wirft,
Du dich im Schwung
überschlägst und, nach dem tödtlichen Sprunge, Wieder stehest und
läufst, eben ob nichts wär' geschehn.
XLV.
Schon entrunzelt sich jedes Gesicht; die Furchen der Mühe,
Sorgen
und Armuth fliehn, Glückliche glaubt man zu sehn.
Dir erweicht sich
der
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