Ueber Goethes Hermann und Dorothea | Page 8

Victor Hehn
am n?chsten waren, sinken sie in Staub. Die G?tter, die den epischen Helden lieben, hassen und vernichten den tragischen. Prometheus ist der wahre Typus tragischer Helden. C?sar, Xerxes, der in seinem Uebermut den Hellespont gei?elte, Ajax, den Pallas ins Verderben stürzt, sind tragische Charaktere, die daher auch von den Dichtern, von Shakespeare, Aeschylus und Sophokles gew?hlt wurden. Manche Figuren der Weltgeschichte tragen, je nachdem sie aufgefa?t werden, mehr den tragischen oder den epischen Charakter, z. B. Napoleon. Im ersten Stadium seines Lebens, als Obergeneral in Italien und Aegypten ist er der epische Held, den die Schwinge des Jahrhunderts und die Str?mung der Dinge glück- und sieggew?hrend tr?gt; seine Thaten sind ein sonnenbegl?nztes Epos; allm?hlich isoliert er seine Zwecke; er verliert sich in eine immer kühnere und einsamere H?he; die objektive Welt mit allen endlichen Bedingungen und Verh?ltnissen, die V?lker mit ihrer nationalen Denkart werden ihm nur der gleichgültige Stoff, dem er die Form seines idealen Willens aufpr?gen will; da reagiert eben diese reale Welt, die sich von keinem Einzelnen aus dem Schwerpunkt rücken lassen will; die Katastrophe, d. h. das pl?tzliche Umschlagen erfolgt und den Vermessenen trifft ein erschütterndes Verderben. So ist auch bei Alexander dem Gro?en, bei Kolumbus eine doppelte Auffassung m?glich: epische Helden sind beide, insofern sie nur Organ des Zeitgeistes sind; der eine ?ffnet den Orient, der andre den fernen Occident; beide sind von dem allgemeinen Streben der beengten V?lker nach Erweiterung des Weltbewu?tseins zu glücklichem Ziele getragen; in das Leben beider mischt sich aber bald das tragische Unglück, dem der eine in der Blüte der Jugend, der andre nach einer Kette von Kr?nkungen und Mi?geschicken verf?llt.
Die letzte Betrachtung, die wir dem Epos zu widmen haben, betrifft, nachdem wir die epische Substanz bezeichnet, die epische Haltung, die Weise der poetischen Behandlung im Epos. Diese wird die einfache Konsequenz von jener sein, und auch darin kann uns Homer das Muster sein. Da das Epos in jene frühe Zeit f?llt, wo die fühlende Seele in unmittelbarer Einheit mit der Welt ist und der Wille noch keinen Kampf mit den Naturtrieben zu bestehen hat, so wird auch die ganze epische Darstellung von jenem heitern Frieden und jener ungetrübten Harmonie überall getragen sein. Da ferner der epische Dichter von einer vergangenen Zeit nur erz?hlt, da, was er vortr?gt, nur durch den stillen Sinn des Ohres vernommen wird und nicht wie im Drama in unmittelbar ergreifende Gegenwart tritt, so wird der Gemütsanteil ein milderer, die Stimmung eine freiere und der S?nger gewinnt Raum zu plastischer Entfaltung aller Seiten und Umst?nde, zu ruhiger Entwicklung und ebenm??iger Anerkennung auch des Kleinsten und Geringfügigsten. Im Drama ist der Charakter der Personen gleichsam nur von einer Seite beleuchtet, insofern sie n?mlich durch eine vorherrschende Leidenschaft, durch eine besondere Stellung zum System des Ganzen in den tragischen Kollisionsfall verwickelt sind. Das Epos aber hat nicht einen besonderen Gesichtspunkt, es beleuchtet die Pers?nlichkeit von allen Seiten, in allen Beziehungen und stellt den ganzen Menschen mit verweilender Ausführlichkeit als eine Totalit?t von Neigungen, Eigentümlichkeiten und Interessen vor unser geistiges Auge. Das Drama eilt unruhig durch eine Reihe von immer heftigeren Dissonanzen seinem Ziele entgegen; von Steigerung zu Steigerung dr?ngt es der Katastrophe zu; der Zuschauer, zwischen Furcht und Hoffnung bewegt, in sich selbst geteilt und aus dem Gleichgewicht harmonischen Selbstgefühls gerissen, findet keine Ruhe als in dem endlichen Ausgangspunkt, wo die gewaltsame Spannung sich in ideales Mitleid aufl?st und die Harmonie des vollendeten Kunstbaues uns die innere Vers?hnung wiedergibt. Umgekehrt bleiben wir dem epischen Erz?hler gegenüber immer in der Freiheit des Gemütes und in der allseitigen Integrit?t unsrer Kr?fte. Statt wie im Drama den Gehalt heftig zusammenzudr?ngen, entfaltet er vielmehr das ganze Leben, die ganze Breite menschlichen Wirkens und Daseins mit allen Nebenumst?nden, allen Nebenstimmungen in gleichm??ig heller Beleuchtung. Seine freundliche Ansicht der Dinge gew?hrt auch dem Unscheinbarsten ein Dasein im Ganzen und er verweilt gern dabei. Mit g?ttlicher Unparteilichkeit und Unbefangenheit gibt Homer jedem Gegenstande, dem gr??ten wie dem kleinsten seinen Namen und sein Recht; nachgiebig und milde hebt er jede zur Seite sich anschlie?ende Beziehung hervor, sie mag wichtig oder unwichtig sein, und sich ganz hinter der von ihm geschilderten Welt verbergend l??t er alles und jedes sich in seinen eigensten T?nen aussprechen und nach seiner eigensten Form und Stelle in das reiche und mannigfache Bild einfügen. In dem weiten Umfang seines anschauenden Geistes und in der gleichm??igen W?rme seiner Teilnahme ist nichts als st?rend, überflüssig oder unbedeutend ausgeschlossen. Er berichtet uns nicht blo?, wie seine Helden hassen, lieben und k?mpfen, sondern auch, wie sie die Sohlen anlegen und über das Unterkleid den Mantel werfen; er z?hlt uns alle Stücke der ehernen Rüstung auf von den Beinschienen bis zum Haarbusch des Helms, ebenso alle Polster und weicheren wollenen Teppiche des Bettes; er folgt der Mahlzeit in allen ihren Teilen, die Helden waschen sich die H?nde, sie erhalten
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