Tristan | Page 6

Thomas Mann
bis in den Nachmittag hinein im Bette liegen, glauben Sie mir. Wenn ich fr��h aufstehe, so ist das eigentlich Heuchelei.?
?Nein, weshalb, Herr Spinell! Ich nenne das Selbst��berwindung ... Nicht wahr, Frau R?tin?? -- Auch die R?tin Spatz nannte es Selbst��berwindung.
?Heuchelei oder Selbst��berwindung, gn?dige Frau! Welches Wort man nun vorzieht. Ich bin so gramvoll ehrlich veranlagt, da? ich ...?
?Das ist es. Sicher gr?men Sie sich zuviel.?
?Ja, gn?dige Frau, ich gr?me mich viel.?
-- Das gute Wetter hielt an. Wei?, hart und sauber, in Windstille und lichtem Frost, in blendender Helle und bl?ulichem Schatten lag die Gegend, lagen Berge, Haus und Garten, und ein zartblauer Himmel, in dem Myriaden von flimmernden Leuchtk?rperchen, von glitzernden Kristallen zu tanzen schienen, w?lbte sich makellos ��ber dem Ganzen. Der Gattin Herrn Kl?terjahns ging es leidlich in dieser Zeit; sie war fieberfrei, hustete fast gar nicht und a? ohne allzuviel Widerwillen. Oftmals sa? sie, wie das ihre Vorschrift war, stundenlang im sonnigen Frost auf der Terrasse. Sie sa? im Schnee, ganz in Decken und Pelzwerk verpackt, und atmete hoffnungsvoll die reine, eisige Luft, um ihrer Luftr?hre zu dienen. Dann bemerkte sie zuweilen Herrn Spinell, wie er, ebenfalls warm gekleidet und in Pelzschuhen, die seinen F��?en einen phantastischen Umfang verliehen, sich im Garten erging. Er ging mit tastenden Schritten und einer gewissen behutsamen und steif-grazi?sen Armhaltung durch den Schnee, gr��?te sie ehrerbietig, wenn er zur Terrasse kam, und stieg die unteren Stufen hinan, um ein kleines Gespr?ch zu beginnen.
?Heute, auf meinem Morgenspaziergang, habe ich eine sch?ne Frau gesehen ... Gott, sie war sch?n!? sagte er, legte den Kopf auf die Seite und spreizte die H?nde.
?Wirklich, Herr Spinell? Beschreiben Sie sie mir doch!?
?Nein, das kann ich nicht. Oder ich w��rde Ihnen doch ein unrichtiges Bild von ihr geben. Ich habe die Dame im Vor��bergehen nur mit einem halben Blicke gestreift, ich habe sie in Wirklichkeit nicht gesehen. Aber der verwischte Schatten von ihr, den ich empfing, hat gen��gt, meine Phantasie anzuregen und mich ein Bild mit fortnehmen lassen, das sch?n ist ... Gott, es ist sch?n!?
Sie lachte. ?Ist das Ihre Art, sich sch?ne Frauen zu betrachten, Herr Spinell??
?Ja, gn?dige Frau; und es ist eine bessere Art, als wenn ich ihnen plump und wirklichkeitsgierig ins Gesicht starrte und den Eindruck einer fehlerhaften Tats?chlichkeit davontr��ge ...?
?Wirklichkeitsgierig ... Das ist ein sonderbares Wort! Ein richtiges Schriftstellerwort, Herr Spinell! Aber es macht Eindruck auf mich, will ich Ihnen sagen. Es liegt so manches darin, wovon ich wenig verstehe, etwas Unabh?ngiges und Freies, das sogar der Wirklichkeit die Achtung k��ndigt, obgleich sie doch das Respektabelste ist, was es gibt, ja das Respektable selbst ... Und dann begreife ich, da? es etwas gibt au?er dem Handgreiflichen, etwas Zarteres ...?
?Ich wei? nur ein Gesicht?, sagte er pl?tzlich mit einer seltsam freudigen Bewegung in der Stimme, erhob seine geballten H?nde zu den Schultern und lie? in einem exaltierten L?cheln seine kari?sen Z?hne sehen ... ?Ich wei? nur ein Gesicht, dessen veredelte Wirklichkeit durch meine Einbildung korrigieren zu wollen s��ndhaft w?re, das ich betrachten, auf dem ich verweilen m?chte, nicht Minuten, nicht Stunden, sondern mein ganzes Leben lang, mich ganz darin verlieren und alles Irdische dar��ber vergessen ...?
?Ja, ja, Herr Spinell! Nur da? Fr?ulein von Osterloh doch ziemlich abstehende Ohren hat.?
Er schwieg und verbeugte sich tief. Als er wieder aufrecht stand, ruhten seine Augen mit einem Ausdruck von Verlegenheit und Schmerz auf dem kleinen, seltsamen ?derchen, das sich bla?blau und kr?nklich in der Klarheit ihrer wie durchsichtigen Stirn verzweigte.

7
Ein Kauz, ein ganz wunderlicher Kauz! Herrn Kl?terjahns Gattin dachte zuweilen nach ��ber ihn, denn sie hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken. Sei es, da? der Luftwechsel anfing, die Wirkung zu versagen, oder da? irgendein positiv sch?dlicher Einflu? sie ber��hrt hatte: ihr Befinden war schlechter geworden, der Zustand ihrer Luftr?hre schien zu w��nschen ��brigzulassen, sie f��hlte sich schwach, m��de, appetitlos, fieberte nicht selten; und Doktor Leander hatte ihr aufs entschiedenste Ruhe, Stillverhalten und Vorsicht empfohlen. So sa? sie, wenn sie nicht liegen mu?te, in Gesellschaft der R?tin Spatz, verhielt sich still und hing, eine Handarbeit im Sch??e, an der sie nicht arbeitete, diesem oder jenem Gedanken nach.
Ja, er machte ihr Gedanken, dieser absonderliche Herr Spinell, und, was das Merkw��rdige war, nicht sowohl ��ber seine als ��ber ihre eigene Person; auf irgendeine Weise rief er in ihr eine seltsame Neugier, ein nie gekanntes Interesse f��r ihr eigenes Sein hervor. Eines Tages hatte er gespr?chsweise ge?u?ert:
?Nein, es sind r?tselvolle Tatsachen, die Frauen ... sowenig neu es ist, sowenig kann man ablassen, davor zu stehen und zu staunen. Da ist ein wunderbares Gesch?pf, eine Sylphe, ein Duftgebild, ein M?rchentraum von einem Wesen. Was tut sie? Sie geht hin und ergibt sich einem Jahrmarktsherkules oder Schl?chterburschen. Sie kommt an seinem Arme daher, lehnt vielleicht sogar ihren Kopf an seine Schulter und blickt dabei verschlagen l?chelnd um sich her, als wollte sie sagen: Ja, nun zerbrecht
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