Torquato Tasso | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
Sogleich zu sagen, was ich lebhaft fühle; Du fühlst es besser, fühlst es tief und--schweigst. Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks, Der Witz besticht dich nicht, die Schmeichelei Schmiegt sich vergebens künstlich an dein Ohr: Fest bleibt dein Sinn und richtig dein Geschmack, Dein Urteil grad, stets ist dein Anteil gro? Am Gro?en, das du wie dich selbst erkennst.
Prinzessin. Du solltest dieser h?chsten Schmeichelei Nicht das Gewand vertrauter Freundschaft leihen.
Leonore. Die Freundschaft ist gerecht, sie kann allein Den ganzen Umfang deines Werts erkennen. Und lass mich der Gelegenheit, dem Glück Auch ihren Teil an deiner Bildung geben; Du hast sie doch, und bist's am Ende doch, Und dich mit deiner Schwester ehrt die Welt Vor allen gro?en Frauen eurer Zeit.
Prinzessin. Mich kann das, Leonore, wenig rühren, Wenn ich bedenke, wie man wenig ist, Und was man ist, das blieb man andern schuldig. Die Kenntnis alter Sprachen und des Besten, Was uns die Vorwelt lie?, dank' ich der Mutter; Doch war an Wissenschaft, an rechtem Sinn Ihr keine beider T?chter jemals gleich, Und soll sich eine ja mit ihr vergleichen, So hat Lucretia gewiss das Recht. Auch kann ich dir versichern hab' ich nie Als Rang und als Besitz betrachtet, was Mir die Natur, was mir das Glück verlieh. Ich freue mich, wenn kluge M?nner sprechen, Dass ich verstehen kann wie sie es meinen. Es sei ein Urteil über einen Mann Der alten Zeit und seiner Taten Wert; Es sei von einer Wissenschaft die Rede, Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet, Dem Menschen nutzt indem sie ihn erhebt: Wohin sich das Gespr?ch der Edlen lenkt, Ich folge gern, denn mir wird leicht, zu folgen. Ich h?re gern dem Streit der Klugen zu, Wenn um die Kr?fte, die des Menschen Brust So freundlich und so fürchterlich bewegen, Mit Grazie die Rednerlippe spielt; Gern, wenn die fürstliche Begier des Ruhms, Des ausgebreiteten Besitzes, Stoff Dem Denker wird, und wenn die feine Klugheit, Von einem klugen Manne zart entwickelt, Statt uns zu hintergehen uns belehrt.
Leonore. Und dann nach dieser ernsten Unterhaltung, Ruht unser Ohr und unser innrer Sinn Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus, Der uns die letzten lieblichsten Gefühle Mit holden T?nen in die Seele fl??t. Dein hoher Geist umfasst ein weites Reich, Ich halte mich am liebsten auf der Insel Der Poesie in Lorberhainen auf.
Prinzessin. In diesem sch?nen Lande, hat man mir Versichern wollen, w?chst vor andern B?umen Die Myrte gern. Und wenn der Musen gleich Gar viele sind, so sucht man unter ihnen Sich seltner eine Freundin und Gespielin, Als man dem Dichter gern begegnen mag, Der uns zu meiden, ja zu fliehen scheint, Etwas zu suchen scheint, das wir nicht kennen, Und er vielleicht am Ende selbst nicht kennt. Da w?r' es denn ganz artig, wenn er uns Zur guten Stunde tr?fe, schnell entzückt Uns für den Schatz erkennte, den er lang Vergebens in der weiten Welt gesucht.
Leonore. Ich muss mir deinen Scherz gefallen lassen, Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief. Ich ehre jeden Mann und sein Verdienst, Und ich bin gegen Tasso nur gerecht. Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum; Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur; Was die Geschichte reicht, das Leben gibt, Sein Busen nimmt es gleich und willig auf: Das weit zerstreute sammelt sein Gemüt, Und sein Gefühl belebt das Unbelebte. Oft adelt er, was uns gemein erschien, Und das Gesch?tzte wird vor ihm zu nichts. In diesem eignen Zauberkreise wandelt Der wunderbare Mann und zieht uns an, Mit ihm zu wandeln, Teil an ihm zu nehmen: Er scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern; Er scheint uns anzusehn, und Geister m?gen An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen.
Prinzessin. Du hast den Dichter fein und zart geschildert, Der in den Reichen sü?er Tr?ume schwebt. Allein mir scheint auch ihn das Wirkliche Gewaltsam anzuziehn und fest zu halten. Die sch?nen Lieder, die an unsern B?umen Wir hin und wieder angeheftet finden, Die, goldnen ?pfeln gleich, ein neu Hesperien Uns duftend bilden, erkennst du sie nicht alle Für holde Früchte einer wahren Liebe?
Leonore. Ich freue mich der sch?nen Bl?tter auch. Mit mannigfalt'gem Geist verherrlicht er Ein einzig Bild in allen seinen Reimen. Bald hebt er es in lichter Glorie Zum Sternenhimmel auf, beugt sich verehrend Wie Engel über Wolken vor dem Bilde; Dann schleicht er ihm durch stille Fluren nach Und jede Blume windet er zum Kranz. Entfernt sich die Verehrte, heiligt er Den Pfad, den leis ihr sch?ner Fu? betrat. Versteckt im Busche, gleich der Nachtigall, Füllt er aus einem liebekranken Busen Mit seiner Klagen Wohllaut Hain und Luft: Sein reizend Leid, die sel'ge Schwermut lockt Ein jedes Ohr und jedes Herz muss nach--
Prinzessin. Und wenn er seinen Gegenstand benennt, So gibt er ihm den Namen Leonore.
Leonore. Es ist dein Name wie es meiner ist. Ich n?hm' es übel, wenn's
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