diesen Gedanken innerlich auf, dachte ihn
völlig aus und empfand ihn bis auf den Grund.
Treue! dachte Tonio Kröger. Ich will treu sein und dich lieben,
Ingeborg, solange ich lebe! So wohlmeinend war er. Und dennoch
flüsterte in ihm eine leise Furcht und Trauer, daß er ja auch Hans
Hansen ganz und gar vergessen habe, obgleich er ihn täglich sah. Und
es war das Häßliche und Erbärmliche, daß diese leise und ein wenig
hämische Stimme recht behielt, daß die Zeit verging und Tage kamen,
da Tonio Kröger nicht mehr so unbedingt wie ehemals für die lustige
Inge zu sterben bereit war, weil er Lust und Kräfte in sich fühlte, auf
seine Art in der Welt eine Menge des Merkwürdigen zu leisten.
Und er umkreiste behutsam den Opferaltar, auf dem die lautere und
keusche Flamme seiner Liebe loderte, kniete davor und schürte und
nährte sie auf alle Weise, weil er treu sein wollte. Und über eine Weile,
unmerklich, ohne Aufsehen und Geräusch, war sie dennoch erloschen.
Aber Tonio Kröger stand noch eine Zeitlang vor dem erkalteten Altar,
voll Staunen und Enttäuschung darüber, daß Treue auf Erden
unmöglich war. Dann zuckte er die Achseln und ging seiner Wege.
III
Er ging den Weg, den er gehen mußte, ein wenig nachlässig und
ungleichmäßig, vor sich hin pfeifend, mit seitwärts geneigtem Kopfe
ins Weite blickend, und wenn er irreging, so geschah es, weil es für
etliche einen richtigen Weg überhaupt nicht gibt. Fragte man ihn, was
in aller Welt er zu werden gedachte, so erteilte er wechselnde Auskunft,
denn er pflegte zu sagen (und hatte es auch bereits aufgeschrieben), daß
er die Möglichkeiten zu tausend Daseinsformen in sich trage,
zusammen mit dem heimlichen Bewußtsein, daß es im Grunde lauter
Unmöglichkeiten seien...
Schon bevor er von der engen Vaterstadt schied, hatten sich leise die
Klammern und Fäden gelöst, mit denen sie ihn hielt. Die alte Familie
der Kröger war nach und nach in einen Zustand des Abbröckelns und
der Zersetzung geraten, und die Leute hatten Grund, Tonio Krögers
eigenes Sein und Wesen ebenfalls zu den Merkmalen dieses Zustandes
zu rechnen. Seines Vaters Mutter war gestorben, das Haupt des
Geschlechtes, und nicht lange darauf, so folgte sein Vater, der lange,
sinnende, sorgfältig gekleidete Herr mit der Feldblume im Knopfloch,
ihr im Tode nach. Das große Krögersche Haus stand mitsamt seiner
würdigen Geschichte zum Verkaufe, und die Firma ward ausgelöscht.
Tonios Mutter jedoch, seine schöne, feurige Mutter, die so wunderbar
den Flügel und die Mandoline spielte und der alles ganz einerlei war,
vermählte sich nach Jahresfrist aufs neue, und zwar mit einem Musiker,
einem Virtuosen mit italienischem Namen, dem sie in blaue Fernen
folgte. Tonio Kröger fand dies ein wenig liederlich; aber war er berufen,
es ihr zu wehren? Er schrieb Verse und konnte nicht einmal
beantworten, was in aller Welt er zu werden gedachte...
Und er verließ die winklige Heimatstadt, um deren Giebel der feuchte
Wind pfiff, verließ den Springbrunnen und den alten Walnußbaum im
Garten, die Vertrauten seiner Jugend, verließ auch das Meer, das er so
sehr liebte, und empfand keinen Schmerz dabei. Denn er war groß und
klug geworden, hatte begriffen, was für eine Bewandtnis es mit ihm
hatte, und war voller Spott für das plumpe und niedrige Dasein, das ihn
so lange in seiner Mitte gehalten hatte.
Er ergab sich ganz der Macht, die ihm als die erhabenste auf Erden
erschien, zu deren Dienst er sich berufen fühlte, und die ihm Hoheit
und Ehren versprach, der Macht des Geistes und Wortes, die lächelnd
über dem unbewußten und stummen Leben thront. Mit seiner jungen
Leidenschaft ergab er sich ihr, und sie lohnte ihm mit allem, was sie zu
schenken hat, und nahm ihm unerbittlich all das, was sie als Entgelt
dafür zu nehmen pflegt.
Sie schärfte seinen Blick und ließ ihn die großen Wörter durchschauen,
die der Menschen Busen blähen, sie erschloß ihm der Menschen Seelen
und seine eigene, machte ihn hellsehend und zeigte ihm das Innere der
Welt und alles Letzte, was hinter den Worten und Taten ist. Was er
aber sah, war dies: Komik und Elend -- Komik und Elend.
Da kam, mit der Qual und dem Hochmut der Erkenntnis, die
Einsamkeit, weil es ihn im Kreise der Harmlosen mit dem fröhlich
dunklen Sinn nicht litt und das Mal an seiner Stirn sie verstörte. Aber
mehr und mehr versüßte sich ihm auch die Lust am Worte und der
Form, denn er pflegte zu sagen (und hatte es auch bereits
aufgeschrieben), daß die Kenntnis der Seele allein unfehlbar trübsinnig
machen würde, wenn nicht die Vergnügungen des Ausdrucks uns wach
und munter erhielten...
Er lebte in großen Städten und im Süden, von dessen Sonne er sich ein
üppigeres Reifen seiner Kunst versprach; und vielleicht war es das Blut
seiner Mutter, welches ihn dorthin zog. Aber da sein Herz tot und ohne
Liebe war, so geriet
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