Und Tonio Kröger, mit gesenktem Kopfe und finsteren
Brauen, legte seine Hand auf die Hände der vier Damen, auf die Inge
Holms, und tanzte >moulinet<.
Ringsum entstand ein Kichern und Lachen. Herr Knaak fiel in eine
Ballettpose, welche ein stilisiertes Entsetzen ausdrückte. »O weh!« rief
er. »Halt, halt! Kröger ist unter die Damen geraten! En arrière, Fräulein
Kröger, zurück, fi donc! Alle haben es nun verstanden, nur Sie nicht.
Husch! Fort! Zurück mit Ihnen!« Und er zog ein gelbseidenes
Taschentuch und scheuchte Tonio Kröger damit an seinen Platz zurück.
Alles lachte, die Jungen, die Mädchen und die Damen jenseits der
Portieren, denn Herr Knaak hatte etwas gar zu Drolliges aus dem
Zwischenfall gemacht, und man amüsierte sich wie im Theater. Nur
Herr Heinzelmann wartete mit trockener Geschäftsmiene auf das
Zeichen zum Weiterspielen, denn er war abgehärtet gegen Herrn
Knaaks Wirkungen.
Dann ward die Quadrille fortgesetzt. Und dann war Pause. Das
Folgmädchen klirrte mit einem Teebrett voll Weingeleegläsern zur Tür
herein, und die Köchin folgte mit einer Ladung Plumcake in ihrem
Kielwasser. Aber Tonio Kröger stahl sich fort, ging heimlich auf den
Korridor hinaus und stellte sich dort, die Hände auf dem Rücken, vor
ein Fenster mit herabgelassener Jalousie, ohne zu bedenken, daß man
durch diese Jalousie gar nichts sehen konnte, und daß es also lächerlich
sei, davorzustehen und zu tun, als blicke man hinaus.
Er blickte aber in sich hinein, wo so viel Gram und Sehnsucht war.
Warum, warum war er hier? Warum saß er nicht in seiner Stube am
Fenster und las in Storms >Immensee< und blickte hie und da in den
abendlichen Garten hinaus, wo der alte Walnußbaum schwerfällig
knarrte? Das wäre sein Platz gewesen. Mochten die anderen tanzen und
frisch und geschickt bei der Sache sein!... Nein, nein, sein Platz war
dennoch hier, wo er sich in Inges Nähe wußte, wenn er auch nur einsam
von ferne stand und versuchte, in dem Summen, Klirren und Lachen
dort drinnen ihre Stimme zu unterscheiden, in welcher es klang von
warmem Leben. Deine länglich geschnittenen, blauen, lachenden
Augen, du blonde Inge! So schön und heiter wie du kann man nur sein,
wenn man nicht >Immensee< liest und niemals versucht, selbst
dergleichen zu machen; das ist das Traurige!...
Sie müßte kommen! Sie müßte bemerken, daß er fort war, müßte
fühlen, wie es um ihn stand, müßte ihm heimlich folgen, wenn auch nur
aus Mitleid, ihm ihre Hand auf die Schulter legen und sagen: Komm
herein zu uns, sei froh, ich liebe dich. Und er horchte hinter sich und
wartete in unvernünftiger Spannung, daß sie kommen möge. Aber sie
kam keines Weges. Dergleichen geschah nicht auf Erden.
Hatte auch sie ihn verlacht, gleich allen anderen? Ja, das hatte sie getan,
so gern er es ihret- und seinetwegen geleugnet hätte. Und doch hatte er
nur aus Versunkenheit in ihre Nähe >moulinet des dames< mitgetanzt.
Und was verschlug das? Man würde vielleicht einmal aufhören zu
lachen! Hatte etwa nicht kürzlich eine Zeitschrift ein Gedicht von ihm
angenommen, wenn sie dann auch wieder eingegangen war, bevor das
Gedicht hatte erscheinen können? Es kam der Tag, wo er berühmt war,
wo alles gedruckt wurde, was er schrieb, und dann würde man sehen,
ob es nicht Eindruck auf Inge Holm machen würde... Es würde keinen
Eindruck machen, nein, das war es ja. Auf Magdalena Vermehren, die
immer hinfiel, ja, auf die. Aber niemals auf Inge Holm, niemals auf die
blauäugige, lustige Inge. Und war es also nicht vergebens?...
Tonio Krögers Herz zog sich schmerzlich zusammen bei diesem
Gedanken. Zu fühlen, wie wunderbare spielende und schwermütige
Kräfte sich in dir regen, und dabei zu wissen, daß diejenigen, zu denen
du dich hinübersehnst, ihnen in heiterer Unzugänglichkeit
gegenüberstehen, das tut sehr weh. Aber obgleich er einsam,
ausgeschlossen und ohne Hoffnung vor einer geschlossenen Jalousie
stand und in seinem Kummer tat, als könne er hindurchblicken, so war
er dennoch glücklich. Denn damals lebte sein Herz. Warm und traurig
schlug es für dich, Ingeborg Holm, und seine Seele umfaßte deine
blonde, lichte und übermütig gewöhnliche kleine Persönlichkeit in
seliger Selbstverleugnung.
Mehr als einmal stand er mit erhitztem Angesicht an einsamen Stellen,
wohin Musik, Blumenduft und Gläsergeklirr nur leise drangen, und
suchte in dem fernen Festgeräusch deine klingende Stimme zu
unterscheiden, stand in Schmerzen um dich und war dennoch glücklich.
Mehr als einmal kränkte es ihn, daß er mit Magdalena Vermehren, die
immer hinfiel, sprechen konnte, daß sie ihn verstand und mit ihm lachte
und ernst war, während die blonde Inge, saß er auch neben ihr, ihm fern
und fremd und befremdet erschien, denn seine Sprache war nicht ihre
Sprache; und dennoch war er glücklich. Denn das Glück, sagte er sich,
ist nicht, geliebt zu werden; das ist eine mit Ekel gemischte
Genugtuung für die Eitelkeit. Das Glück ist, zu lieben und vielleicht
kleine, trügerische Annäherungen an den geliebten Gegenstand zu
erhaschen. Und er schrieb
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