er mit leiser Stimme dafür, trat federnd zurück, wandte sich auf dem
linken Fuße, schnellte den rechten mit niedergedrückter Spitze
seitwärts vom Boden ab und schritt mit bebenden Hüften davon...
Man ging rückwärts und unter Verbeugungen zur Tür hinaus, wenn
man eine Gesellschaft verließ, man schleppte einen Stuhl nicht herbei,
indem man ihn an einem Bein ergriff oder am Boden entlang schleifte,
sondern man trug ihn leicht an der Lehne herzu und setzte ihn
geräuschlos nieder. Man stand nicht da, indem man die Hände auf dem
Bauch faltete und die Zunge in den Mundwinkel schob; tat man es
dennoch, so hatte Herr Knaak eine Art, es ebenso zu machen, daß man
für den Rest seines Lebens einen Ekel vor dieser Haltung bewahrte...
Dies war der Anstand. Was aber den Tanz betraf, so meisterte Herr
Knaak ihn womöglich in noch höherem Grade. In dem ausgeräumten
Salon brannten die Gasflammen des Kronleuchters und die Kerzen auf
dem Kamin. Der Boden war mit Talkum bestreut, und in stummem
Halbkreise standen die Eleven umher. Aber jenseits der Portieren, in
der anstoßenden Stube, saßen auf Plüschstühlen die Mütter und Tanten
und betrachteten durch ihre Lorgnetten Herrn Knaak, wie er, in
gebückter Haltung, den Saum seines Gehrockes mit je zwei Fingern
erfaßt hielt und mit federnden Beinen die einzelnen Teile der Mazurka
demonstrierte. Beabsichtigte er aber, sein Publikum gänzlich zu
verblüffen, so schnellte er sich plötzlich und ohne zwingenden Grund
vom Boden empor, indem er seine Beine mit verwirrender
Schnelligkeit in der Luft umeinander wirbelte, gleichsam mit denselben
trillerte, worauf er mit einem gedämpften, aber alles in seinen Festen
erschütternden Plumps zu dieser Erde zurückkehrte...
Was für ein unbegreiflicher Affe, dachte Antonio Kröger in seinem
Sinn. Aber er sah wohl, daß Inge Holm, die lustige Inge, oft mit einem
selbstvergessenen Lächeln Herrn Knaaks Bewegungen verfolgte, und
nicht dies allein war es, weshalb alle diese wundervoll beherrschte
Körperlichkeit ihm im Grunde etwas wie Bewunderung abgewann. Wie
ruhevoll und unverwirrbar Herrn Knaaks Augen blickten! Sie sahen
nicht in die Dinge hinein, bis dorthin, wo sie kompliziert und traurig
werden; sie wußten nichts, als daß sie braun und schön seien. Aber
deshalb war seine Haltung so stolz! Ja, man mußte dumm sein, um so
schreiten zu können wie er; und dann wurde man geliebt, denn man war
liebenswürdig. Er verstand es so gut, daß Inge, die blonde, süße Inge,
auf Herrn Knaak blickte, wie sie es tat. Aber würde denn niemals ein
Mädchen so auf ihn selbst blicken?
O doch, das kam vor. Da war Magdalena Vermehren, Rechtsanwalt
Vermehrens Tochter, mit dem sanften Mund und den großen, dunklen,
blanken Augen voll Ernst und Schwärmerei. Sie fiel oft hin beim
Tanzen; aber sie kam zu ihm bei der Damenwahl, sie wußte, daß er
Verse dichtete, sie hatte ihn zweimal gebeten, sie ihr zu zeigen, und
oftmals schaute sie ihn von weitem mit gesenktem Kopfe an. Aber was
sollte ihm das? Er, er liebte Inge Holm, die blonde, lustige Inge, die ihn
sicher darum verachtete, daß er poetische Sachen schrieb... er sah sie an,
sah ihre schmalgeschnittenen, blauen Augen, die voll Glück und Spott
waren, und eine neidische Sehnsucht, ein herber, drängender Schmerz,
von ihr ausgeschlossen und ihr ewig fremd zu sein, saß in seiner Brust
und brannte...
»Erstes Paar en avant!« sagte Herr Knaak, und keine Worte schildern,
wie wunderbar der Mann den Nasallaut hervorbrachte. Man übte
Quadrille, und zu Tonio Krögers tiefem Erschrecken befand er sich mit
Inge Holm in ein und demselben Karree. Er mied sie, wie er konnte,
und dennoch geriet er beständig in ihre Nähe; er wehrte seinen Augen,
sich ihr zu nahen, und dennoch traf sein Blick beständig auf sie... Nun
kam sie an der Hand des rotköpfigen Ferdinand Matthiessen gleitend
und laufend herbei, warf den Zopf zurück und stellte sich aufatmend
ihm gegenüber; Herr Heinzelmann, der Klavierspieler, griff mit seinen
knochigen Händen in die Tasten, Herr Knaak kommandierte, die
Quadrille begann.
Sie bewegte sich vor ihm hin und her, vorwärts und rückwärts,
schreitend und drehend, ein Duft, der von ihrem Haar oder dem zarten,
weißen Stoff ihres Kleides ausging, berührte ihn manchmal, und seine
Augen trübten sich mehr und mehr. Ich liebe dich, liebe, süße Inge,
sagte er innerlich, und er legte in diese Worte seinen ganzen Schmerz
darüber, daß sie so eifrig und lustig bei der Sache war und sein nicht
achtete. Ein wunderschönes Gedicht von Storm fiel ihm ein: »Ich
möchte schlafen, aber du mußt tanzen.« Der demütigende Widersinn
quälte ihn, der darin lag, tanzen zu müssen, während man liebte...
»Erstes Paar en avant!« sagte Herr Knaak, denn es kam eine neue Tour.
»Compliment! Moulinet des dames! Tour de main!« Und niemand
beschreibt, auf welch graziöse Art er das stumme e vom >de<
verschluckte.
»Zweites Paar en avant!« Tonio Kröger und seine Dame waren daran.
»Compliment!« Und Tonio Kröger verbeugte sich. »Moulinet des
dames!«
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