kreischte. Aber hierauf verabschiedete er sich.
»Ja, nun muß ich hinein«, sagte er. »Adieu, Tonio. Das nächste Mal
begleite ich dich nach Hause, sei sicher.«
»Adieu, Hans«, sagte Tonio, »es war nett, spazierenzugehen.«
Ihre Hände, die sich drückten, waren ganz naß und rostig von der
Gartenpforte. Als aber Hans in Tonios Augen sah, entstand etwas wie
reuiges Besinnen in seinem hübschen Gesicht.
»Übrigens werde ich nächstens >Don Carlos< lesen!« sagte er rasch.
»Das mit dem König im Kabinett muß famos sein!« Dann nahm er
seine Mappe unter den Arm und lief durch den Vorgarten. Bevor er im
Hause verschwand, nickte er noch einmal zurück.
Und Tonio Kröger ging ganz verklärt und beschwingt von dannen. Der
Wind trug ihn von hinten, aber es war nicht darum allein, daß er so
leicht von der Stelle kam.
Hans würde >Don Carlos< lesen, und dann würden sie etwas
miteinander haben, worüber weder Jimmerthal noch irgendein anderer
mitreden konnte! Wie gut sie einander verstanden! Wer wußte, --
vielleicht brachte er ihn noch dazu, ebenfalls Verse zu schreiben?...
Nein, nein, das wollte er nicht! Hans sollte nicht werden wie Tonio,
sondern bleiben, wie er war, so hell und stark, wie alle ihn liebten und
Tonio am meisten! Aber daß er >Don Carlos< las, würde trotzdem
nicht schaden... Und Tonio ging durch das alte, untersetzte Tor, ging
am Hafen entlang und die steile, zugige und nasse Giebelgasse hinauf
zum Haus seiner Eltern. Damals lebte sein Herz; Sehnsucht war darin
und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine
ganze keusche Seligkeit.
II
Die blonde Inge, Ingeborg Holm, Doktor Holms Tochter, der am
Markte wohnte, dort, wo hoch, spitzig und vielfach der gotische
Brunnen stand, sie war's, die Tonio Kröger liebte, als er sechzehn Jahre
alt war.
Wie geschah das? Er hatte sie tausendmal gesehen; an einem Abend
jedoch sah er sie in einer gewissen Beleuchtung, sah, wie sie im
Gespräch mit einer Freundin auf eine gewisse übermütige Art lachend
den Kopf zur Seite warf, auf eine gewisse Art ihre Hand, eine gar nicht
besonders schmale, gar nicht besonders feine Kleinmädchenhand zum
Hinterkopfe führte, wobei der weiße Gazeärmel von ihrem Ellenbogen
zurückglitt, hörte, wie sie ein Wort, ein gleichgültiges Wort, auf eine
gewisse Art betonte, wobei ein warmes Klingen in ihrer Stimme war,
und ein Entzücken ergriff sein Herz, weit stärker als jenes, das er früher
zuweilen empfunden hatte, wenn er Hans Hansen betrachtete, damals,
als er noch ein kleiner, dummer Junge war.
An diesem Abend nahm er ihr Bild mit fort, mit dem dicken, blonden
Zopf, den länglich geschnittenen, lachenden, blauen Augen und dem
zart angedeuteten Sattel von Sommersprossen über der Nase, konnte
nicht einschlafen, weil er das Klingen in ihrer Stimme hörte, versuchte
leise, die Betonung nachzuahmen, mit der sie das gleichgültige Wort
ausgesprochen hatte, und erschauerte dabei. Die Erfahrung lehrte ihn,
daß dies die Liebe sei. Aber obgleich er genau wußte, daß die Liebe
ihm viel Schmerz, Drangsal und Demütigung bringen müsse, daß sie
überdies den Frieden zerstöre und das Herz mit Melodien überfülle,
ohne daß man Ruhe fand, eine Sache rund zu formen und in
Gelassenheit etwas Ganzes daraus zu schmieden, so nahm er sie doch
mit Freuden auf, überließ sich ihr ganz und pflegte sie mit den Kräften
seines Gemütes, denn er wußte, daß sie reich und lebendig mache, und
er sehnte sich, reich und lebendig zu sein, statt in Gelassenheit etwas
Ganzes zu schmieden...
Dies, daß Tonio Kröger sich an die lustige Inge Holm verlor, ereignete
sich in dem ausgeräumten Salon der Konsulin Husteede, die es an
jenem Abend traf, die Tanzstunde zu geben; denn es war ein
Privatkursus, an dem nur Angehörige von ersten Familien teilnahmen,
und man versammelte sich reihum in den elterlichen Häusern, um sich
Unterricht in Tanz und Anstand erteilen zu lassen. Aber zu diesem
Behufe kam allwöchentlich Ballettmeister Knaak eigens von Hamburg
herbei.
François Knaak war sein Name, und was für ein Mann war das! »J'ai
l'honneur de me vous représenter«, sagte er, »mon nom est Knaak...
Und dies spricht man nicht aus, während man sich verbeugt, sondern
wenn man wieder aufrecht steht, -- gedämpft und dennoch deutlich.
Man ist nicht täglich in der Lage, sich auf französisch vorstellen zu
müssen, aber kann man es in dieser Sprache korrekt und tadellos, so
wird es einem auf deutsch erst recht nicht fehlen.« Wie wunderbar der
seidig schwarze Gehrock sich an seine fetten Hüften schmiegte! In
weichen Falten fiel sein Beinkleid auf seine Lackschuhe hinab, die mit
breiten Atlasschleifen geschmückt waren, und seine braunen Augen
blickten mit einem müden Glück über ihre eigene Schönheit umher...
Jedermann ward erdrückt durch das Übermaß seiner Sicherheit und
Wohlanständigkeit. Er schritt -- und niemand schritt wie er, elastisch,
wogend, wiegend, königlich -- auf die Herrin des Hauses zu, verbeugte
sich und wartete, daß man ihm die Hand reiche. Erhielt er sie, so dankte
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