nicht mit uns geht und den ganzen Weg von der Reitstunde spricht...
Denn Erwin Jimmerthal hatte ebenfalls Reitstunde. Er war der Sohn
des Bankdirektors und wohnte hier draußen vorm Tore. Mit seinen
krummen Beinen und Schlitzaugen kam er ihnen, schon ohne
Schulmappe, durch die Allee entgegen.
»Tag, Jimmerthal«, sagte Hans. »Ich gehe ein bißchen mit Kröger...«
»Ich muß zur Stadt«, sagte Jimmerthal, »und etwas besorgen. Aber ich
gehe noch ein Stück mit euch... Das sind wohl Fruchtbonbons, die ihr
da habt? Ja, danke, ein paar esse ich. Morgen haben wir wieder Stunde,
Hans.« -- Es war die Reitstunde gemeint.
»Famos!« sagte Hans. »Ich bekomme jetzt die ledernen Gamaschen, du,
weil ich neulich die Eins im Exerzitium hatte...«
»Du hast wohl keine Reitstunde, Kröger?« fragte Jimmerthal, und seine
Augen waren nur ein Paar blanker Ritzen...
»Nein«, antwortete Tonio mit ganz ungewisser Betonung.
»Du solltest«, bemerkte Hans Hansen, »deinen Vater bitten, daß du
auch Stunde bekommst, Kröger.«
»Ja...«, sagte Tonio zugleich hastig und gleichgültig. Einen Augenblick
schnürte sich ihm die Kehle zusammen, weil Hans ihn mit Nachnamen
angeredet hatte; und Hans schien dies zu fühlen, denn er sagte
erläuternd:
»Ich nenne dich Kröger, weil dein Vorname so verrückt ist, du,
entschuldige, aber ich mag ihn nicht leiden, Tonio... Das ist doch
überhaupt kein Name. Übrigens kannst du ja nichts dafür, bewahre!«
»Nein, du heißt wohl hauptsächlich so, weil es so ausländisch klingt
und etwas Besonderes ist...«, sagte Jimmerthal und tat, als ob er zum
Guten reden wollte.
Tonios Mund zuckte. Er nahm sich zusammen und sagte:
»Ja, es ist ein alberner Name, ich möchte, weiß Gott, lieber Heinrich
oder Wilhelm heißen, das könnt ihr mir glauben. Aber es kommt daher,
daß ein Bruder meiner Mutter, nach dem ich getauft worden bin,
Antonio heißt; denn meine Mutter ist doch von drüben...«
Dann schwieg er und ließ die beiden von Pferden und Lederzeug
sprechen. Hans hatte Jimmerthal untergefaßt und redete mit einer
geläufigen Teilnahme, die für >Don Carlos< niemals in ihm zu
erwecken gewesen wäre... Von Zeit zu Zeit fühlte Tonio, wie der Drang
zu weinen ihm prickelnd in die Nase stieg; auch hatte er Mühe, sein
Kinn in der Gewalt zu behalten, das beständig ins Zittern geriet...
Hans mochte seinen Namen nicht leiden, -- was war dabei zu tun? Er
selbst hieß Hans, und Jimmerthal hieß Erwin, gut, das waren allgemein
anerkannte Namen, die niemand befremdeten. Aber >Tonio< war etwas
Ausländisches und Besonderes. Ja, es war in allen Stücken etwas
Besonderes mit ihm, ob er wollte oder nicht, und er war allein und
ausgeschlossen von den Ordentlichen und Gewöhnlichen, obgleich er
doch kein Zigeuner im grünen Wagen war, sondern ein Sohn Konsul
Krögers, aus der Familie der Kröger... Aber warum nannte Hans ihn
Tonio, solange sie allein waren, wenn er, kam ein dritter hinzu, anfing,
sich seiner zu schämen? Zuweilen war er ihm nahe und gewonnen, ja.
Auf welche Weise verrät er ihn denn, Tonio? hatte er gefragt und ihn
untergefaßt. Aber als dann Jimmerthal gekommen war, hatte er
dennoch erleichtert aufgeatmet, hatte ihn verlassen und ihm ohne Not
seinen fremden Rufnamen vorgeworfen. Wie weh es tat, dies alles
durchschauen zu müssen!... Hans Hansen hatte ihn im Grunde ein
wenig gern, wenn sie unter sich waren, er wußte es. Aber kam ein
dritter, so schämte er sich dessen und opferte ihn auf. Und er war
wieder allein. Er dachte an König Philipp. Der König hat geweint...
»Gott bewahre«, sagte Erwin Jimmerthal, »nun muß ich aber wirklich
zur Stadt! Adieu, ihr, und Dank für die Fruchtbonbons!« Darauf sprang
er auf eine Bank, die am Wege stand, lief mit seinen krummen Beinen
darauf entlang und trabte davon.
»Jimmerthal mag ich leiden!« sagte Hans mit Nachdruck. Er hatte eine
verwöhnte und selbstbewußte Art, seine Sympathien und Abneigungen
kundzugeben, sie gleichsam gnädigst zu verteilen... Und dann fuhr er
fort, von der Reitstunde zu sprechen, weil er einmal im Zuge war. Es
war auch nicht mehr so weit bis zum Hansenschen Wohnhause; der
Weg über die Wälle nahm nicht so viel Zeit in Anspruch. Sie hielten
ihre Mützen fest und beugten die Köpfe vor dem starken, feuchten
Wind, der in dem kahlen Geäst der Bäume knarrte und stöhnte. Und
Hans Hansen sprach, während Tonio nur dann und wann ein
künstliches Ach und Jaja einfließen ließ, ohne Freude darüber, daß
Hans ihn im Eifer der Rede wieder untergefaßt hatte, denn das war nur
eine scheinbare Annäherung, ohne Bedeutung.
Dann verließen sie die Wallanlagen unfern des Bahnhofes, sahen einen
Zug mit plumper Eilfertigkeit vorüberpuffen, zählten zum Zeitvertreib
die Wagen und winkten dem Manne zu, der in seinen Pelz vermummt
zuhöchst auf dem allerletzten saß. Und am Lindenplatze, vor
Großhändler Hansens Villa, blieben sie stehen, und Hans zeigte
ausführlich, wie amüsant es sei, sich unten auf die Gartenpforte zu
stellen und sich in den Angeln hin und her zu schlenkern, daß es nur so
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