Todsünden | Page 7

Hermann Heiberg
seit dem Beginn der Krankheit ihrer Mutter, "ich hatte allerdings das Bedürfnis, mich abzuschlie?en, und h?tte Dich sogar gebeten, mich allein fahren zu lassen."
Er nickte und besann sich. Dann sagte er, ihrer stummen Frage, ob er mehr Suppe begehre, durch Hinreichen des Tellers entsprechend, einschmeichelnd: "Ich bin also beruhigt, Theonie. Freilich würde ich glücklicher sein, wenn Du den Wunsch gehabt h?ttest, in meiner N?he zu sein. Ich h?tte dann doch einmal empfunden, da? Du ein etwas warmes Gefühl für mich besitzest."
"Nein, ich besitze es nicht!" gab die Frau ehrlich zurück.
Nie war Theonie ihrem Vetter bisher so begegnet. Wohl war sie ihm stets ausgewichen, aber über ihre Lippen war noch keine Silbe gedrungen, die auf Freundschaft oder Abneigung h?tte schlie?en lassen k?nnen.
Ihn erschreckte deshalb ihre Offenheit nicht wenig, und er horchte gespannt auf. Wollte sie fortan aus ihrer stummen Abwehr heraustreten? Wollte sie rasch und ohne Rücksicht das Band zwischen sich und ihm durchschneiden? Er mu?te es wissen, es dr?ngte ihn hei?, und statt ihre Worte zu umgehen oder etwa in leichter Weise darauf zu antworten, sagte er unvermittelt: "Weshalb hassest Du mich, Theonie? An dem Begr?bnistage Deiner Mutter sei einmal aufrichtig gegen mich. Vielleicht gelingt es mir doch, Dir eine bessere Meinung von mir beizubringen."
Sie gab keine Antwort, sie benutzte das Eintreten Freges, des Dieners, und sagte mit dem gehobenen Ton, mit dem man dem Alten bei seiner Schwerh?rigkeit begegnen mu?te:
"Es fehlt ein L?ffel, Frege! Auch bringen Sie eine Flasche Wein."--
Als der Diener gegangen, sah sie ihres Vetters Auge auf sich gerichtet mit jenem Blick, der zur Rede auffordert, und senkte das ihrige.
"Nun? Du willst mir nicht antworten, Theonie?"
Jetzt begegnete sie einem schreckenerregenden Ausdruck in seinem Gesicht; deutlicher Ha? spiegelte sich in seinen Mienen, obschon er sie rasch wieder gl?ttete.
Da ging's durch ihr Inneres, ob's nicht, um zum Ziel zu gelangen, klüger sei, sich auch zu verstellen, wie er es that. Eine nicht zu bannende Furcht kam über sie; so sehr lag sie unter dem Druck ihrer bangen Ahnungen, da? sie aufatmete, als Frege wieder ins Zimmer trat und zun?chst den L?ffel brachte. Sobald sich die Thür hinter ihm geschlossen, sagte Theonie, vorsichtig jedes Wort w?gend, aber auch die Gelegenheit ergreifend, ihren Vetter über ihre Absichten nicht im Unklaren zu lassen:
"Den Ha?, von dem Du sprichst, habe ich keine Ursache, gegen Dich zu empfinden. Da wir aber sehr verschiedene Naturen sind, werden wir uns, glaube ich, nie recht verstehen und deshalb besser thun, von einander zu bleiben.
Ich werde nicht vergessen, da? Du mein Verwandter bist, und werde die sich daraus ergebenden Rücksichten so lange gegen Dich üben, wie Du sie mir erweisest. Hoffentlich ist Dir das Schicksal auf Deinem sp?teren Lebenswege günstig, und Du bedarfst meiner hinfort nicht. Sollte es aber doch früher oder sp?ter der Fall sein, so sprich Dich gegen mich aus. Ich werde Deine Wünsche zu erfüllen suchen, sofern sie meine Kr?fte und die Grenzen, die ich nur stecken mu?, nicht überschreiten."
Als Theonie mit ihrer Rede innehielt, neigte Tankred mit einem gemischten Ausdruck schlecht unterdrückter Entt?uschung und dankbarer Erkenntlichkeit kurz das Haupt und sagte: "Ich danke Dir für Deine Gesinnungen. Da? Du jemals in die Lage geraten k?nntest, 'meiner' zu bedürfen, h?ltst Du wohl nicht für denkbar Theonie? Umfa?t der Reichtum denn allein die Mittel, mit dem sich ein Mensch dem anderen hülfreich erweisen kann?"
"Ich werde Dich nie um etwas bitten," entgegnete die Frau kalt, und von der klug beobachteten Grenze zwischen Offenheit und Rücksicht, die sie eben noch inne gehalten, abweichend. Aber sich ihres Fehlers bewu?t werdend, fügte sie rascher hinzu: "weil ich überhaupt niemandem etwas schuldig sein m?chte."
In dem Gesicht des Mannes rührte sich nichts, obschon es in ihm wühlte. "Du ?u?ertest vorher, Theonie, da? wir nach Deiner Ansicht besser th?ten, uns fern von einander zu halten. Habe ich daraus den Schlu? zu ziehen, da? Du wünschest, ich solle Falsterhof verlassen? Ist dem so, dann werde ich so bald wie m?glich gehen, doch m?chte ich Dich bitten, mir noch so lange Aufenthalt bei Dir zu gew?hren, bis ich eine Stellung gefunden habe. Du wirst sagen, da? das nach den bisherigen Erfahrungen lange dauern kann, aber endlich wird sich doch wohl etwas aufthun. Wenn ich die Mittel h?tte,"--jetzt kam Tankred auf das, was ihm schon lange auf den Lippen lag,--"würde ich mir selbst ein Eigentum erwerben oder eine Pachtung zu übernehmen suchen, aber ich armer Teufel--"
"Du hast keinen Wein mehr. Darf ich Dir einschenken? Nein, hier ist eine andere Flasche, bitte!--Ich m?chte, um Deine Frage zu beantworten, Falsterhof bald verlassen und mich auf einige Zeit zu den Verwandten meines verstorbenen Mannes begeben. Natürlich werde ich Rücksicht auf deine Wünsche nehmen," entgegnete Theonie, kühl ausweichend.
"Das ist eine deutliche Antwort, Theonie. Sagen wir also, Du erlaubst mir, noch acht Tage zu bleiben."
Sie gab keine Erwiderung.
"Ist das zu lange?"
"O--nein--" Es kam sehr z?gernd heraus, und diesmal wu?te Theonie, was
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