sich wieder dem N?chstliegenden zuwandten, dem Tag und seinen Bedürfnissen, und auch Tankred vor ihren geistigen Augen erschien, schüttelte sie sich in Grauen, und all ihr Denken und Sinnen richtete sich darauf, in welcher Weise sie ihn würde entfernen k?nnen.
In den legten Tagen w?hrend der schweren, schon hoffnungslosen Krankheit ihrer Mutter hatte er lügnerischer Weise erkl?rt, eine Reise unternehmen zu müssen, da sich ihm unerwartet Ansichten auf eine Stellung er?ffnet h?tten.
Vor seinem Fortgang hatte er in seiner schmeichlerischen Weise die Kranke getr?stet: wenn er wiederkomme, werde sie schon ganz die alte sein, sie sehe bereits wohler aus, viele Jahre seien ihr noch beschert. Er bedaure, grade jetzt Falsterhof verlassen zu müssen, ihr nicht Gesellschaft leisten zu k?nnen, aber er halte es für seine Pflicht, eine gute Gelegenheit zur Erlangung einer Stelle nicht vorübergehen zu lassen. Unter einer Pflege, wie Theonie sie ihr biete, sei die Kranke besser aufgehoben als unter irgend einer andern; das beruhige ihn.
Und dann hatte er Theonie voll Z?rtlichkeit umarmt, sie mit seinem demütigen Blick gestreift und war abgefahren.
W?hrend sich die alte Dame in Lobsprüchen über ihn erging, dachte Theonie ihr Teil. Sie durchschaute ihren Vetter; ihr Mi?trauen, ihre Abneigung versch?rften ihre natürliche Menschenkenntnis. Sie war überzeugt, da? er nur ging, weil es ihn langweilte, bei der Krankheit und dem Ende der alten Frau zugegen zu sein und Rücksichten zu üben, durch deren Vernachl?ssigung er sich in ein schlechtes Licht stellen würde. Er werde, sie war dessen sicher, erst wiederkehren, wenn alles vorüber w?re, wenn ihm keine Lasten mehr aufgebürdet werden k?nnten. Er wu?te auch, da? sie, Theonie, ihn nicht herbeirufen werde.
Tankred kannte nur sich; um seiner Behaglichkeit keinen Abbruch zu thun, scheute er weder Lüge noch Verstellung. Alles, was ihn irgendwie genieren konnte, suchte er m?glichst aus dem Wege zu r?umen. Und in der That war er erst wieder in Falsterhof eingetroffen, nachdem die Leiche bereits aus dem Hause geschafft und in der Kirchhofkapelle des eine Stunde entfernten Gutsdorfes Breckendorf niedergesetzt war.
Nun heuchelte er überraschung, Trauer und Leid, so sp?t--zu sp?t gekommen zu sein! Aber schon eine Viertelstunde sp?ter bemerkte ihn Theonie, vergnüglich eine Pfeife rauchend, im Park. Sicher h?tte ihn das Herabfallen eines Spatzen vom Dach nicht mehr berührt als der Tod seiner Verwandten und Wohlth?terin.
Theonie sah alles kommen. Die Stelle hatte er nicht erhalten; nur zu begreiflich, weil gar keine in Aussicht gestanden, und er auch nicht die Absicht gehabt hatte, eine anzunehmen. Wenn vier Wochen, wenn acht Wochen vorüberz?gen, würde er sich noch auf Falsterhof befinden, wie bisher zweimal die Woche in die Stadt Elsterhausen fahren und sich amüsieren, zu Fu? und Wagen Ausflüge unternehmen, Gutsbesitzer der Umgegend besuchen und die übrige Zeit essen, trinken, schlafen, faulenzen und den Herrn spielen.
Und Theonie erwartete mit Sicherheit einen Heiratsantrag von seiner Seite. Sie und damit Falsterhof zu seinem Eigentum zu machen, war sein verstecktes Ziel. Nicht gleich--nicht überstürzt--er hatte Zeit zu warten! Ihre Fragen, ihre Anspielungen, ihre deutlichen Wünsche würde er umgehen, wohl aber dann und wann ihr dieselben Lügen auftischen wie ihrer verstorbenen Mutter: da? er sich um Th?tigkeit und Verdienst bewerbe und Aussicht habe, sie zu finden.
Und wenn sie dann erkl?rte, eher sterben zu wollen, als ihn heiraten, wenn sie zulegt die Forderung an ihn stellte, Falsterhof zu verlassen, dann würde die Maske fallen, und sein wahres Gesicht zu Tage treten. Und dieses Gesicht hatte sie jüngst im Traume gesehen--es war die Physiognomie eines beutehungrigen Schakals gewesen.
Tankred hatte schreckliche F?uste,--er zerbrach mit den Fingern einen eisernen Ring,--er hatte fürchterliche Backenknochen, er besa? die herkulischen Schultern eines Einbrechers, er hatte in unbewachten Momenten die Augen eines Raubvogels.
Mitten in ihren Gedanken schnellte Theonie empor und begab sich mit einer gewissen Hast in das Privatzimmer ihrer Mutter, schlo? hinter sich die Thür in dem düsteren Raum und ?ffnete die Pultschublade der Verstorbenen. Sie wollte das, wie sie wu?te, hier liegende Testament ihres Vaters an sich nehmen. Eine pl?tzliche Unruhe und Angst, da? es von Tankred beiseite gebracht werden k?nne, da? es gar schon von ihm aus der Schublade entfernt sei, hatte sie ergriffen.
Mit zitternden H?nden und fliegendem Atem suchte sie. Als sie das Dokument nicht gleich fand, stockte ihr Herzblut, ihr war, als sei ihre Furcht schon best?tigt, und wie von einer schrecklichen Last befreit, hob sich ihre Brust, als sie endlich in einem der F?cher neben anderen wichtigen Papieren das Gesuchte fand.
'Mein letzter Wille' lasen ihre sich rasch verschleiernden Augen. Mit den Schriftzügen ihres verdorbenen Vaters traten auch seine Gestalt und sein Wesen vor ihre Seele, und eine namenlose Sehnsucht nach dem Dahingeschiedenen bem?chtigte sich ihrer.
Ihr Blick durchstreifte das Gemach und ging weiter in das Wohnzimmer. Dort an dem Tisch hatte er mit seinem freundlichen Gesicht gesessen, und neben ihm die Unverge?liche, der Theonie nun eben das letzte Geleit gegeben. Ihr Leben, viele Einzelheiten ihrer Jugendzeit, die letzten Jahre, auch die Erinnerung an ihren verstorbenen
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.