Verstellung sei, da? er die Herzen der Menschen umstricke, sich ihnen füge und anbequeme, aber stets ein verstecktes Ziel dabei im Auge habe? So lautet das Urteil der eigenen Mutter, und Du, die Du doch erschrocken warst über sein pl?tzliches, unaufgefordertes Erscheinen hier, schw?rst nun auf seine Tugend und denkst sogar daran, unser Eigentum seiner Hand anzuvertrauen? Ich wollte, der schreckliche Mensch w?re erst aus dem Hause, ja, mir scheint, wir mü?ten eher gro?e Opfer bringen, um ihn für immer von uns zu entfernen, als da? wir darüber sinnen, ihn an uns zu fesseln. Wei?t Du, was ich glaube? Nicht nur zu Unehrlichkeiten, zu leichtfertigen Streichen ist er f?hig, sondern unter Umst?nden zu einem Verbrechen!"
"Theonie! Theonie!" rief die alte Dame entsetzt und für ihren Neffen Partei nehmend. "Welche Gedanken! Meine Schw?gerin, Deine Tante, war eine kalte, mi?trauische Natur. Sie erzog ihren Sohn lediglich aus Pflichtgefühl. Liebe empfand sie weder für ihn, noch für ihren verstorbenen Mann. Obgleich sie seine Mutter war, war ihr Urteil im schlechten Sinn getrübt. Sie lie? überhaupt keinem etwas Gutes, sie sah stets nur die Schattenseiten der Menschen. Tankred wurde leichtsinnig und genu?süchtig, weil sein Vater ihm ein trauriges Beispiel gab, und die Mutter ihm nie einen Funken Liebe zeigte, aber er ist nicht verdorben, nicht schlecht, berechnend oder gar verbrecherisch. Grade Menschen wie Tankred bringt man oft am sichersten zur Umkehr, wenn man ihnen Vertrauen schenkt. Ihr ersticktes Ehrgefühl erwacht dann, und sie bestreben sich, zu zeigen, da? sie doch im Grunde etwas anderes sind, als wofür man sie h?lt."----
Nachdem Tankred fast eine Viertelstunde seine Tante und Kousine belauscht hatte, wich er zurück und schien auf Grund der von ihm gemachten Beobachtungen zu einem Entschlu? gelangt zu sein. Aber rasch, wie von einem pl?tzlichen Anruf umgestimmt, wandte er sich wieder um, als nun eben ein Schrei aus dem Innern durch Fenster und Mauern drang und ihn belehrte, da? in diesem Augenblick sich etwas Entscheidendes zugetragen habe. Er sah, als er wieder ins Gemach sp?hte, da? seine Kousine sich mit allen Anzeichen des Schreckens und Schmerzes über ihre Mutter herabbeugte und der offenbar ihre letzten Seufzer aushauchenden Greisin behülflich war, die Todesqual leichter zu überwinden. Das St?hnen und ?chzen, das Tankred aufgescheucht hatte, wiederholte sich; schrecklich verzerrten sich die Züge der Sterbenden, und kaum fünf Minuten sp?ter hatte Frau von Brecken ihren Geist aufgegeben.
Rasch wie der Blitz verschwand nun der Kopf Tankreds vom Fenster. Mit wenigen S?tzen hatte er den kleinen Wiesenplan und den Graben übersprungen, und bald befand er sich, wieder den Weg durch das Geh?lz einschlagend, abermals in der Allee.
* * * * *
Vor einer Stunde war die alte Frau von Brecken beerdigt. Eben war Theonie von dem Begr?bnis zurückgekehrt und sank nun in ihren oben im Hause belegenen Gem?chern an dem Tisch nieder und lie? das Haupt auf den ausgestreckten Armen ruhen. In ihrem Innern hatte nichts anderes Raum als der Schmerz, verst?rkt durch das Gefühl einer grenzenlosen Vereinsamung und--Furcht.
Au?er ihr wohnten in dem gro?en Hause nur zwei M?dchen und ein bejahrter Diener ihres verstorbenen Vaters, ein zuverl?ssiger, aber eigentümlicher alter Mann, der etwas schwerh?rig war. Das Haus des P?chters von Falsterhof lag fast eine Viertelstunde entfernt hinter dem Park, und der P?chter selbst war einer jener streng redlichen, aber plump graden Menschen, die man respektiert, aber nicht eben liebt. Da er unverheiratet war, führte ihm seine alte Schwester die Wirtschaft, und auch sie war wenig zug?nglich.
Im Herrenhaus befanden sich zur Linken im Parterre die gemeinsamen Wohngem?cher, die sich bis in den Flügel ausdehnten; zur Rechten lagen die R?ume, in denen jetzt Tankred sich breit machte, und oben Fremdengelasse und Theonies Zimmer. Im andern Flügel waren die Küche und die Gesindezimmer. Man mu?te eine breite, beschnittene Hecke durchschreiten, wenn man von der Hinterfront des Hauses in das Geh?lz gelangen wollte, welches sich dort düster hinstreckte. Auch vorn standen gro?e, die Zimmer verdunkelnde Linden, und den Hof begrenzte der durch Stakete eingefriedigte Gemüsegarten mit hohen Gebüschen. So drang denn nie Licht, kaum Helle in die unteren Gem?cher, und das Herrenhaus machte von au?en und innen einen unheimlich düsteren, melancholischen Eindruck.
"Was nun?" drang's unwillkürlich und mit grenzenloser Schwermut aus Theonies Munde, als sie nach Bek?mpfung des ersten Schmerzes das Haupt emporrichtete und, ihre Gestalt dehnend, sich im Zimmer umschaute.
"Was nun?" Weit lag die Welt vor ihr, nichts fesselte, hinderte sie, niemand beschr?nkte ihre Freiheit, und doch erschien ihr die Ferne, in die sie schaute, von allen Seiten begrenzt, doch fühlte sie sich gehemmt, als bef?nde sie sich in einem Gef?ngnis.
Die Freude am Dasein war ihr, da sie nun den letzten Familienanhalt verloren hatte, erloschen. Wenn sie sich vorstellte, da? sie ihr ganzes Leben in Falsterhof verbringen sollte, kam's verzagend über sie, aber ebenso sehr schrak sie davor zurück, sich anderswo in der Welt niederzulassen. Alles hatte Reiz und Farbe für sie verloren.
Als zuletzt ihre Gedanken
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