zu beschreiten; so war denn der Sp?her sicher, da? niemand ihn beobachten werde.
Nun drückte er sich hart an die Mauer, bestieg einen an sie gelehnten Feldstein und schaute ins Innere des Hauses.
Eben fuhr der Abendwind durch Gebüsch und B?ume und fing sich stürmisch in dieser Ecke. Aber Tankred von Brecken, der Besitzerin Neffe, kümmerte sich nicht darum.
Mit Luchsaugen beobachtete er, was drinnen im Krankenzimmer vorging. In einem hohen Bett mit verblichenen, grünseidenen Gardinen lag die alte Frau mit gefalteten H?nden; eine Lampe brannte auf dem Tisch mitten im Zimmer; daneben Medizinflaschen, Gl?ser, Leinewand, Schw?mme und Schachteln.
Alte, schwere M?bel standen ringsum; ihr ?u?eres bekundete Gediegenheit und Wohlhabenheit; so ernsthaft schauten sie drein, als empf?nden sie, was sich hier abspielte, als h?rten sie das R?cheln der Kranken, als s?hen sie das blasse, schmerzverzehrte Angesicht einer jungen Frau, die sich in einen gro?en, seidenbezogenen Lehnsessel niedergelassen hatte und nun schon seit zwei Tagen und N?chten von der Sterbenden, ihrer Mutter, nicht gewichen war.
Vor einigen Jahren hatte Theonie Cromwell ihren Mann, einen jungen Ingenieur, nach dreimonatlicher Ehe verloren und war dann zu ihren Eltern nach Falsterhof zurückgekehrt. Sie hatte kaum je einen Blick in die Welt gethan, denn seit ihrer Geburt war sie nur zweimal für kurze Zeit vom Gute fortgewesen. Gouvernanten hatten ihren Unterricht geleitet; als sehr sp?t geborenes, einziges Kind hatten ihre Eltern sie nicht missen wollen und jene Methode der Erziehung zur Anwendung gebracht, die, einem unbewu?ten Egoismus entspringend, mehr den Eltern selbst als den Kindern zu gute kommt.
Was sich jetzt diesem jungen Leben er?ffnete, war schmerzlich genug.
Theonie war zwar Erbin des gro?en Besitzes, aber stand v?llig allein in der Welt da. Der einzige Verwandte, den sie besa?, war Tankred von Brecken, derselbe, der eben versteckt ins Krankenzimmer sp?hte. Aber schon bei der ersten, vor vier Monaten erfolgten Begegnung mit ihm hatte sich ihrer eine unausl?schliche Abneigung gegen ihn bem?chtigt. Tankred war glatt, h?flich und zuvorkommend, aber sein Antlitz, das Theonie an die Züge eines Verbrechers erinnerte, von dem sie einmal ein Bild in einem Buche gesehen hatte, schuf in ihr ein Urteil über seinen Charakter, von dem sich ihre Vorstellungen nicht zu l?sen vermochten.
Tankred war der einzige Sohn eines jüngeren Bruders des verstorbenen Herrn von Brecken, der alles durchgebracht und zuletzt von den Wohlthaten des Besitzers von Falsterhof gelebt hatte. Auch Tankreds Mutter lag unter der Erde, man sagte, aus Gram über die Verkommenheit ihres Sohnes, der früher als Schreiber auf adligen Gütern th?tig gewesen war, aber nirgend seine Stellung hatte behaupten k?nnen und sich zuletzt--gleich nach dem Ableben seiner Mutter--auf Falsterhof eingefunden hatte. Hier sa? er nun schon seit Monaten umher, erkl?rte, sich trotz seiner Bemühungen keine neue Th?tigkeit verschaffen zu k?nnen, und fand in Theonies Mutter, die ganz von seiner Art und seinem Wesen eingenommen war, genügenden Rückhalt, um sein Faulenzerleben fortzusetzen.
Ganz allm?hlich hatte er sich zum Herrn der Situation in Falsterhof zu machen gewu?t; er bewohnte die Zimmer des verstorbenen Hausherrn, rauchte dessen zurückgelassene Zigarren, bediente sich seiner Pfeife und schritt mit seinem Feldstock über das Gut.
Taschengeld steckte ihm die Tante zu, und bevor ihre Krankheit sie ergriffen, hatte sie sogar darauf Bedacht genommen, da? ihm bei Tisch nichts vorgesetzt wurde, was er nicht mochte, und da? ihm Bequemlichkeiten zu teil wurden, wie man sie nur ?lteren und besonders gesch?tzten Personen verschafft.
Tankred sprach mit solcher Offenheit über sein Vorleben, drückte eine anscheinend so ehrliche Reue darüber aus, seinen Eltern Kummer bereitet zu haben, legte einen solchen Abscheu davor an den Tag, in alte, schlechte Gewohnheiten zurückzuversinken, und wu?te seine Tante in so geschickter Weise zu umschmeicheln, da? die Frau sich v?llig umgarnen lie? und alle ihre Vernunft, die ihr doch bisweilen etwas anderes zuflüsterte, gefangen gab.
"Du bist nun einmal durch Tankreds Vorleben gegen ihn eingenommen, Theonie!" hatte sie ihrer anfangs noch schüchterne Einwendungen machenden Tochter gesagt. "Menschen k?nnen sich doch ?ndern! Diesen jungen Mann haben die Lebenserfahrungen früh weise gemacht. Ich glaube an seinen ehrlichen Willen und an sein Herz und bin überzeugt, da? er fortan nur grade und gute Wege gehen wird."
Am Tage vor dem Eintritt ihrer Krankheit hatte Frau von Brecken sogar fallen lassen, da? es vielleicht ein guter Plan sei, Tankred zum Oberverwalter des Gutes und des Verm?gens einzusetzen, ihm auf diese Weise Th?tigkeit und Erwerb zu geben und die Pflichten natürlicher Rücksicht gegen den einzigen Verwandten zu üben, den sie noch auf der Welt bes??en.
Mit allen Zeichen h?chsten Schreckens hatte Theonie dem zugeh?rt.
"Mutter, ich bitte Dich, welch ein Gedanke! Schrieb uns nicht Tante noch sechs Wochen vor ihrem Tode, da? Tankred wegen Veruntreuung vom Grafen Thorley auf Rinteln entlassen sei? Soll ich den Brief hervorholen, in welchem sie, daran verzweifelnd, jemals einen braven Menschen aus ihm zu machen, seinen Charakter schildert? Steht es dort nicht geschrieben, da? man sich um so mehr vor ihm hüten müsse, als er ein gro?er Künstler in der
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