Strix | Page 4

Svend Fleuron
der Nacht gehört die
Erde noch den Tieren!
Aber die Erde wird doch kleiner und kleiner. So dicht liegen bald die
Steinhöhlen der Menschen um die Hochwälder herum, daß stellenweise
Tag und Nacht eine angsteinflößende Wolke ihres eigentümlichen
Geruches aufsteigt.
Eines schönen Abends merkt Strix, daß sie um der Nachbareule willen
gern so weit jagen kann, wie sie Lust hat. Die Nachbareule läßt ihre
Kampfstimme nicht mehr ertönen, sie muß wohl weiter weg bessere
Jagdgründe gefunden haben!
Die Nachbareule ist fort -- der große Moloch, das Götzenbild der
Menschheit: die Zivilisation, hat sie getötet. Der Ausrottungskrieg
gegen die Stämme des großen Uhus geht seinen fürchterlichen Gang.

In den letzten Jahren haben die Menschen angefangen, auf eine andere
Weise angreifend vorzugehen.
Auf den Gütern jenseits der Förde tauchen plötzlich große, bunte,
langschweifige Vögel in Mengen auf.
Es sind Fasanen!
Sie sind in kleinen Feldhölzungen ausgesetzt, wo sie sich durch Kunst
im Überfluß vermehren. Es wimmelt von Ihnen am Waldboden und in
den Bäumen. Sie sind so fett und gleichgültig, daß sie weder laufen
noch fliegen mögen.
Sie ziehen aus allen Richtungen viele von den großen Uhus an; hier
brauchen sie ja nur ins Gras niederzustoßen, gleich haben sie die Fänge
voll Nahrung.
Rings um diese kleinen Gehölze, einladend über Dickicht und Gestrüpp
aufragend, stehen hohe, schlanke Pfähle aufgepflanzt. Auf der Spitze
eines jeden liegt -- so recht dazu gemacht, um sich darauf zu setzen --
ein kleines strammgespanntes Tellereisen.
Diese Eisen machen es im Umsehen Uhu-leer um Strix herum.
Zu dieser Zeit trifft sie ihr letztes Männchen.
Er ist alt und abgelebt, aber ihr bleibt keine Wahl -- da sind keine
andern Männchen ihrer Art.
Er singt und heult ihr einen Winter lang etwas vor und betört sie
fälschlich, indem er trotz der schlechten Zeiten beständig mit Beute in
den Klauen fliegt.
Es ist ein Eisen, das er schleppt. Er trägt es solange, bis die Federn des
Eisens sich ihm durch das Bein geklemmt haben, dann stirbt der Fuß ab,
und eines schönen Tages fällt er mit Eisen und Fang zu Boden.
Ein erstklassiger Freier ist er ja freilich nicht, aber was tut das -- -- er
ist ein Uhu und kein Kanarienvogel!

-- -- --
Da thront er neben ihr ...
Jedesmal, wenn sie die Hautblende von den Augen fortzieht, sieht sie
einen Schatten ihrer selbst vor sich: einen großen, braunen Uhu mit
Federbüscheln wie ein paar Katzenohren und mit einer Mundspalte, die
sich darunter weit nach hinten zu fortsetzt ...
Das ist der einklauige: UF!
Er ist an die hundert Jahre; seine Zeitgenossen sind der Wolf und der
Adler gewesen -- der letzte Überrest von Tieren, die noch etwas von
der großen Zeit an sich haben.
Den ganzen Winter sitzen sie zusammen in dem hohlen Baumstamm
und würgen an ihrem Gewöll. In der Regel schlafen sie gut -- und
erwachen sie zufällig, so haben sie genug zu tun.
Bald fordern die Nackenfedern einen Besuch ihrer Krallen, bald wollen
die Lichter gerieben und die Wangen gewaschen werden, oder der
Schnabelbart mit den vielen eingetrockneten Blut- und
Fleischüberbleibseln meldet sich und bittet eindringlich, daß man ihn
reinigt und bürstet.
Dann pudern sie sich halbe Stunden lang und nehmen die
possierlichsten Stellungen ein. Uf wird zu einem jämmerlichen
Großvater in der Nachtmütze und mit Haarzotteln um die Ohren; Strix
wird zur Furie; zu einem wilden Gespenst -- bereit zu kratzen und um
sich zu schlagen!
Aber zur Frühlingszeit, wenn die Märzstürme den Wald »stimmen«,
wenn die Larven in dem faulen Holz des Baumstamms mit offenbar
fieberhafter Hast anfangen, ihr eifriges Klopfen und Hämmern zu
beschleunigen, wenn die Träume, die sie träumen, immer wiederkehren,
da geht es nicht mehr an, nur zu schlafen und sich zu putzen! Da
müssen sie auf -- auf und die Hörner sträuben und mit den Flügeln
schlagen, während sie auf dem Zunder, auf dem sie sitzen, hüpfen und

tanzen; da müssen sie schwänzeln und sich kröpfen und hu--u, hu--u
heulen ...
Und dann bauen sie ihren Horst.
In einem Bett aus Reisig liegen zwei graubedaunte Junge!
Sie sind runzelig im Gesicht wie alte Weiber und häßlich für alle, nur
nicht für Strix. Der Horst liegt in einer großen Vertiefung unter einem
alten Baumstumpf, aber er geht in den Baumstumpf hinein, weit hinein,
so daß man in ein tiefes, undurchdringliches Dunkel sieht. Es ist ein
ganz vorzügliches Nest, da ist ein Fußboden und da ist ein Dach -- auf
dem Fußboden liegen allerhand Federreste. Ganz hinten im
Baumstumpf ist die Vorratskammer; da gibt es Amseln und Birkhühner
und Hasen -- und alle Speisen sind frisch, die Tiere sind ganz kürzlich
geschlagen. Aber vor dem Baumstumpf ist der Fußboden in weitem
Umkreis mit Flügeln und Knochen übersät; da sieht es aus wie vor
einer Räuberhöhle.
Die Jungen sind noch klein. Vor zwölf Tagen erst sind sie aus dem Ei
gekrochen, und Strix' einkralliges,
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