Strix | Page 5

Svend Fleuron
altes Männchen sitzt getreulich über
ihnen, um durch die Wärme seines Körpers den Lebensfunken in ihnen
zu erhalten. Uf kann schlecht fangen, kaum für den eigenen Bedarf,
geschweige denn für den anderer; seine Kralle ist stumpf und seine
Augen sind schwach -- da haben er und sie die Rollen vertauscht. Ihr
liegt es also ob, alle Vorräte zu beschaffen!
Und sie ist zu allen Zeiten ein kühner Jäger gewesen. Gleich bei
Tagesanbruch fliegt sie vom Nest auf. In dem blanken, sonnenfreien
Licht, das der ganzen Umgebung und allen Gegenständen ihre richtige
Größe verleiht, jagt sie am eifrigsten und fängt sie am besten. Da
durchsucht sie den Wald, steigt über Mooren und kleinen Wiesen auf ...
sie rüttelt wie ein Falke auf hastig klappenden Flügeln und späht hinab.
Während die Holztauben gurren und die Drosseln singen, während die
Hasen ganz davon in Anspruch genommen sind, auf Freiers Füßen zu
gehen, während die Wasserhühner in den Moortümpeln sich um
Männchen und Brutplätze balgen, kürt sie zwischen dem Überfluß und
macht Beute.

Oder sie fliegt auf ein baumfreies Feld hinaus, hinaus auf Äcker und
Heiden, und läßt, während das Tageslicht mehr und mehr Übermacht
gewinnt, die Ferne unter sich aufsteigen: neue Wälder weit da draußen
fangen an zu winken, Anger mit Lämmern und Zicklein kommen
verlockend nahe, sie gewahrt ferne Feldraine und Menschennester, in
deren Nähe es von Wieseln und Ratten wimmelt.
Rings umher unter ihr ertönt das Kullern des Birkhahns und das
herausfordernde Zusammenrufen streitbarer Rebhähne ... abgezehrte
und abgearbeitete Fehen sieht sie mit Stöcken von Schwänzen anstelle
der früher so dicken, buschigen Lunten herumhuschen. Die Geburt der
Jungen hat alle Haare mitgenommen.
Aber die Fangzeit ist kurz zu dieser Zeit des Jahres ... bald surrt
glühende Luft vor ihrem Blick, scharfe, ätzende Strahlen beißen sie in
die Augen -- und auf einmal ist es, als werde die Erde unter ihr
sonnenbestrichen, der letzte Rest von Klarheit verzieht sich -- und nun
blinkt und flimmert und glitzert das Gras.
Da nimmt sie mit dem fürlieb, was sie zwischen den Fängen hat, und
fliegt schleunigst zurück nach ihrer Behausung, das rote Licht des
Sonnenaufgangs über den Flügeln.
So holt sie Ratten aus den weitentlegenen Dörfern, Birkhühner aus der
Heide, Hasen vom Felde, Krähen aus dem Walde -- sie müht sich
getreulich ab und nimmt, was sie kriegen kann. Mit einem
triumphierenden Hu-u bringt sie ihrem Gatten den Fang, und wenn Uf
sieht, was sie hat, sträubt er die Hörner und gibt einen zufriedenen,
gurrenden Laut von sich --! Wieder ein Hase! sagt er überrascht in
seiner Sprache! ja! sie strengt sich an!
Dann erhebt er sich von den beiden Jungen mit den scharfen Fängen;
ihre unheimlichen, halbkahlen Köpfe gucken hervor und zeigen sich
ihrem mütterlichen Ursprung. Sie will ihm bei der Beute behilflich sein,
will ihm helfen, sie abzuziehen und zu zerlegen, aber er reißt sie ihr
weg: sie soll nur fangen, nichts als fangen -- -- --!
Doch Strix läßt sich nicht kommandieren; sie kennt ihn und weiß, daß

er gern für seinen eigenen Schnabel sorgt; so tranchiert sie denn das
Wild nach bester Regel, zermalmt die Knochen und macht zähe
Muskeln weich; sie kaut die Bissen durch und pfropft sie
holterdiepolter ihren heißhungrigen Kleinen in die Schnäbel.
Uf sitzt da und schmollt -- --: sie soll nur fangen, nichts als fangen -- --
Es dämmert ... es ist ein früher Morgen im Mai! Die Fledermäuse
heben sich noch wie Möwen vom Himmel ab. Die Drosseln schlagen
ihre ersten, tastenden Schläge, nur ein ganz kurzes Flöten ohne
Zusammenhang.
Dann fängt ein Birkhahn draußen am Waldrand an zu kullern und zu
schleifen. Eine Amsel trillert, ein kleiner Zaunkönig piepst -- der ganze
Wald erwacht und begrüßt den dämmernden Tag mit Gesang. Der
Kuckuck ruft in unaufhaltsamen Kaskaden, aber die Weibchen sind zu
geschäftig, um zu lauschen -- sie sind ganz davon in Anspruch
genommen, ein Pflegeheim zu finden! Rastlos fliegen sie umher, sie
gucken in Astlöcher hinein und zwischen Baumwurzeln, oder sie
flattern tief unten über Nessel- und Wildkerbelinseln hin; ihre langen
Schwänze streifen förmlich an den Kräutern entlang und jagen die
brütenden kleinen Vögel auf.
Strix ist auf Fang aus! Sie muß in der letzten Zeit immer weiter hinaus,
die zunächst gelegenen Jagdgründe sind erschöpft.
Von ihren früheren Ausflügen weiß sie, daß dort auf der andern Seite
des Waldes unter einem mit Gestrüpp bestandenen Abhang eine große
Herde Ziegen mit Zicklein zu weiden pflegt. Heute Morgen ist ihr das
Glück hold! Eine der Ziegen hat gelammt und die kleinen,
neugeborenen Zicklein drücken sich neben der Mutter an deren Euter.
Die Erde ist im Begriff, die Nebel der Nacht abzuschütteln: alle kleinen
Niederungen zwischen den Hügeln stehen in einem Dampf, so daß es
für Strix ein leichtes ist, die Tiere zu überrumpeln. Keine von den
vielen, neidischen Krähen oder wachsamen Kiebitzen, deren Gebiet sie
hat
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