Strix | Page 2

Svend Fleuron
einer kleinen Wolke gleicht -- einer Wolke,
die schwarz ist und an den Rändern sonderbar faserig! Ihr Körper ist
wie der einer Gans, und ihre Stärke gibt der eines Königsadlers nichts
nach. Sie hat Flügel wie Schaufeln und so muskulöse Schenkel wie nur
ein Fuchsrüde; die können ihren nächtlichen Wanderungen über den
Waldboden Fahrt und ihrem Griff, wenn sie fängt, Feuer verleihen.

Ihre Fänge, die selbst durch Eichenrinde bis auf den Grund gelangen,
sind fingerdick, und wenn sie sie völlig ausspreizt, haben sie fast die
Spannweite einer Männerhand: die Wulsten unter ihnen gleichen
schwellenden Kissen und aus einem jeden ragt eine lange, dralle,
sichelförmige Kralle, wie ein kleiner türkischer Krummsäbel hervor.
Sie sitzt förmlich in Daunen und Federn ...
Die Dämmerung hat sie mit ihrem Pfeffer und Salz bestreut, und die
Nacht hat ihr mit schwarzem Pinsel über Flügel und Rücken gestrichen.
Längs der Mitte der dicken, breiten Brust läuft ein weißlicher Strich,
der sich oben unter dem Halse zu einem Fleck erweitert. Das ist das
einzige wirklich Helle an ihr, es ist gleichsam eine Erinnerung an den
Glanz des Tages, an das Licht der Sonne -- ganz will es sie doch nicht
lassen.
Es ist sonnenwarm und mitten am Tage ...
Die Eule sitzt satt und tagesschlaff zusammengesunken über ihrem
Stand, die langen Schwungfedern gleich einem wärmenden Unterrock
über ihre Fänge gebreitet.
Der große, runde Kopf mit den mächtigen Federbüscheln ist ganz nach
dem Leib herabgezogen -- dadurch erhält das Gesicht etwas mürrisches,
unzugängliches.
Wie ein großer Wurzelstock ragt sie aus dem hohlen Stamm hervor.
Die Finken können piepsen, der Specht kann klopfen und der Hirsch
unter ihrem Baum schreien -- sie hört es nicht! Kläfft aber ein Hund in
weiter Ferne, ertönt das Rollen eines Wagens oder der Klang einer Axt
-- gleich zittert es in den Federbüscheln, sie sträuben sich drohend wie
Bockshörner auf ihrem Kopf, werden nach und nach zu Hängeohren
wie an einem melancholischen Schwein, um sich schließlich hintenüber
zu legen, ganz an den Hals herunter, wie bei einem wilden, bissigen
Pferd.
Draußen über dem Waldmoor flimmert die Luft von Licht; es ist so

sonnenweiß da draußen, so voll von Tag und Leben.
Feuerglänzende Stechfliegen treten plötzlich in die Erscheinung, stehen
einen Augenblick still und glühen -- und verschwinden dann wie
Sternschnuppen in den Schlagschatten. Große, schimmernde Libellen
schwirren schaukelnd über den Wasserspiegel, schrauben sich im
Spiralflug empor und fahren mit jähen Wendungen und
unvorhergesehenen Bewegungen in Schwärme von Mücken hinein, so
daß bei dem schnellen Flug ihre steifen, durchsichtigen Flügeldecken
knistern.
Dann schwingt sich ein Schwarm roter Falter von einem
Wasserrosenblatt auf. Gleich Blättern in einer Wolke von welkem Laub,
das plötzlich vom Winde erfaßt wird, stehen sie über den
Erderhöhungen hin ... der Staub auf ihren unberührten Schwingen
glitzert und leuchtet, während sie in lautlosem Sonnentanz, einander
umgaukelnd, sich vom Winde treiben lassen, bis sie sich schließlich
paaren, je zwei und zwei.
Da mischt sich ein Flug weißer Schmetterlinge mit den roten und bringt
Verwirrung in das so glücklich beendete Hochzeitsspiel. Nun schweben
sie alle hernieder und setzen sich mit ausgebreiteten Flügeln ein jeder
auf seine Irisknospe. Es sieht so aus, als seien alle Knospen auf einmal
erblüht!
Und himmelblaue Holztauben huschen hin und her von den
Schöpfstellen, und nachtschwarze Bläßhühner flattern bullernd über
Wassertümpel, während taugraue junge Reiher zwischen dem
Flimmern des Röhrichtsaums sich in der Geduld und dem Gewerbe des
Fischens üben.
Es ist Tag da draußen ... es liegt Leben über dem Waldmoor.
Drinnen aber im Baumstamme ist es düster und kalt. Die gefurchten
Wände, die dieselbe glanzlose Farbe haben wie gebleichtes Gebein,
und die holperig sind von Zunderknoten und fauligen Knorren,
wimmeln von Larvengängen und Wurmlöchern. Reisig und abgewehtes
Laub hat sich angesammelt -- und dicke, wollstrumpfähnliche

Spinngewebe, die sich in der Zugluft krümmen, verkleiden die Wände
der Rinde wie geheimnisvolle Vorhänge.
Hin und wieder verirrt sich ein Sonnenstreif durch einen Spalt und
zeichnet einen phantastischen Lichtfleck auf die entgegengesetzte
Wand. Da kommt Leben in ein paar zottige Spinnen, eine
schildgepanzerte Kellerassel rollt sich schleunigst zusammen, während
ein Bündel schwefelgelber Stinkpilze, denen hier drinnen auch ein
Lebensplatz angewiesen wurde, aus Rissen in der Finsternis heraus
einen langen Hals machen.
Der Wind plaudert ununterbrochen mit der alten, abgestorbenen Eiche;
er gönnt ihr den Frieden nicht, sondern fährt fort, sie zu quälen. Wenn
dann der Baum so recht kläglich ächzt, reckt die Eule sich auf und
schüttelt sich im Schlaf -- dies Knarren des alten Holzes tut ihr so
innerlich gut.
-- -- --
Auf einmal dringt ein sonderbares, anhaltendes Kratzen durch das Loch
zu ihr herein.
Der Laut nimmt zu -- -- --
Dröhnen von Pfotenklatschen, Ritzen von Krallen, die sich in Rinde
bohren, dumpfes Bumsen von losgerissenen Moosfladen, die in das
Laub unter dem Baume herabfallen, jagen wie Hiebe gegen ihr
Trommelfell.
Da ist jemand auf dem Wege zu ihr herauf!
Im
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