Shakespeare und die Bacon-Mythen | Page 4

Kuno Fischer
heilig zu sprechen, so würde Hr. A. Morgan nicht übel zum advocatus diaboli taugen, vorausgesetzt, da? er noch heute so denkt, wie vor fünfzehn Jahren.
W?hrend nun die Baconianer unaufh?rlich von einem "Shakespeare-Mythus" neben, der zu Gunsten Bacons von Grund aus zerst?rt werden müsse, h?ufen sie selbst Mythen über Mythen auf Bacon, d. h. sie lassen denselben eine Menge Dinge sagen und thun, die er nie gesagt und nie gethan hat. Von diesen Bacon-Mythen will ich reden, indem ich ihren Gang, gleichsam ihre Etappen verfolge von den vermeintlichen ?u?eren und ?u?erlichen bis zu den vermeintlichen inneren und innersten Gründen, auf welche sich die Behauptung stützt: da? Bacon den Dichter Shakespeare gewesen sei.
3. Unparteiische Stimmen für und wider.
H?ren wir zuvor noch einige Stimmen von England her, die sich über die Frage ge?u?ert haben, ohne darüber zu streiten.
Nach dem Tode des Lord Palmerston (1865) hat man unter anderen Merkwürdigkeiten von diesem Staatsmann erz?hlt, da? er gern mit litterarischen Dingen Staat gemacht und ?fter die paradoxe Meinung hingeworfen habe: nicht Shakespeare, sondern Bacon sei der Verfasser der nach jenem genannten Stücke gewesen; gelegentlich habe der Lord das Buch einer amerikanischen Dame herbeigeholt, worin die Sache bewiesen sei. Es war die Schrift der Ms. Delia Bacon, die, wohl von ihrem Namen geblendet, die fixe Idee gefa?t hatte, da? Lord Bacon das System feiner politischen Philosophie in einer Reihe von Schauspielen, die der Hand Shakespeares anvertraut waren, der Zukunft offenbart habe. Der "Hamlet" habe gleichsam das Programm der ganzen Serie enthalten. Um ihre Idee zu beweisen und auszuführen, ist Ms. Delia Bacon nach England gegangen und hat nach vielen Leiden und Entbehrungen ihre Irrfahrten im Irrenhause geendet. Wenn es M?rtyrer des Irrthums giebt, so war diese unglückliche Frau ein solcher M?rtyrer. Sie ist durch ihre Schriften aus den Jahren 1856 und 1857 die Anf?ngerin, wenn nicht die Begründerin der Bacon-Theorie geworden.
Weit gewichtiger und interessanter als die Sp??e des Lord Palmerston sind die Aussprüche eines Mannes, wie Thomas Carlyle, der die Heroen des Geistes zu würdigen wu?te und dazu den Ernst und die Tiefe der Einsicht wie der Kenntnisse besa?. Er hat sich von Ms. Delia Bacon besuchen lassen, ihre Ansichten angeh?rt und darauf gesagt: "Ihr Bacon h?tte ebenso gut die Erde erschaffen k?nnen, wie den Hamlet!" Einem gleichzeitigen Briefe an einen amerikanischen Freund hat er die Nachschrift hinzugefügt: "Ihre Landsm?nnin ist verrückt". Viele Jahre vorher, in seinen Vorlesungen über die Heroen und deren Verehrung, hatte Carlyle auch von Bacon und Shakespeare gesprochen und hier erkl?rt: da? jener mit allem Geist, den er gehabt und in seinen Werken dargelegt habe, diesem gegenüber nur secund?r sei, denn Shakespeare war ein Sch?pfer, was Bacon nicht war. Seit den Tagen Shakespeares sei nur Einer erschienen, der an ihn erinnere: dieser Eine und Einzige sei Goethe. [Fu?note: Wymann, Nr. 73 und 131. Vergl. Carlyle: ?On Heroes? (1889), p. 97. ?The hero as poet.?]
Der jüngste Herausgeber der Gesammtwerke Bacons und sein Biograph, James Spedding in Cambridge, gegenw?rtig wohl die erste Autorit?t in Sachen Bacons, ist wiederholt nach seiner Ansicht gefragt worden und hat sich gegen die Bacon-Theorie v?llig ablehnend verhalten. Er hat einem ihrer Hauptvertreter geantwortet: wer auch die Stücke Shakespeares geschrieben haben m?ge, einer gewi? nicht, n?mlich Bacon.
III. DIE ERSTE ART DER BACON-MYTHEN.
1. Bacon als Quelle des Northumberland-Manuscripts.
Im Jahre 1867 ist in der Bibliothek des Grafen Northumberland zu London ein altes handschriftliches Buch aufgefunden worden, verstümmelt, defect, angebrannt, welches Abschriften baconischer, shakespearischer und anderer Werke enthalten hat. Es enth?lt noch vier Reden Bacons vollst?ndig (wenn auch etwas besch?digt), von denen bisher nur ein Theil bekannt war. Diese Reden hatten den Zweck, die K?nigin am Queensday, dem Jahrestage ihrer Kr?nung, zu feiern. Es galt die Feier des 17. November 1592, als Elisabeth 34 Jahre glorreich regiert hatte.
Bacon componirt das aufzuführende Festspiel. Vier Personen berathen die Feier: die erste Rede gilt dem Preise der Tapferkeit, die zweite dem der Liebe, die dritte dem der Erkenntni?, die vierte der K?nigin selbst, die alle diese Tugenden in sich vereinige. Die Rede ?_The praise of knowledge_? ist h?chst interessant. Man erkennt darin den neuerungslustigen Philosophen, den Verfasser des "Neuen Organon", das erst 28 Jahre sp?ter erschien. Das Festspiel hei?t ?_A conference of pleasure_?. Unter diesem Namen hat Spedding das Northumberland- Manuscript herausgegeben (1870). [Fu?note: Works VIII (1862), p. 119-126. Vgl. XIV (1874), preface. Diese Sonderausgabe ist gegenw?rtig vergriffen.]
Auf dem ersten Blatte dieses paper book steht die Angabe des Inhalts, worunter sich auch die Titel: "Richard II." und "Richard III." befinden. Aus demselben Blatte stehen gekritzelt einigemale der Name "Francis Bacon" und acht- bis neunmal der Name "William Shakespeare", offenbar von der Hand des Abschreibers, der nach Speddings positiver Erkl?rung Bacon nicht war. Stammt das Manuscript, wie Spedding meint, aus dem Zeitalter der Elisabeth, so ist dies vielleicht die einzige handschriftliche Stelle aus jenen Tagen, wo die beiden Namen Bacon und Shakespeare unmittelbar neben einander gestellt sind.
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