entfernt waren, und wie grundverschieden ihre Ansichten vom Werthe des Lebens und der Welt sein mochten, so hat sich doch der Genius eines gro?en Zeitalters, dessen m?chtigste S?hne sie waren, in beiden wirksam erwiesen und gewisse übereinstimmende Auffassungen vom Wesen und der Natur des Menschen hervorgerufen.
Bacon verlangt eine Sittenlehre, die nicht auf abstracte Vorschriften, sondern auf wirkliche Menschenkenntni?, auf das Studium menschlicher Charaktere und Leidenschaften gegründet sein soll; die Sittenlehrer sollen nicht Kalligraphen sein, wie die Schreiblehrer: er fordert eine Naturgeschichte der Affecte, die man uns nach dem Leben schildern m?ge, wie sie entstehen und wachsen, wie sie erregt und gesteigert, wie sie gem??igt und bemeistert werden; wie man sie f?ngt, den Affect durch den Affect, wie auf der Jagd Thiere durch Thiere. Um die menschlichen Charaktere und Leidenschaften zu studiren, verweist Bacon die Sittenlehre auf die Geschichtschreiber und Dichter. Er h?tte statt aller einen einzigen nennen sollen, der in seinen dramatischen Werken die mannichfaltigsten, gehaltvollsten und wahrsten Menschenbilder geschaffen hat: seinen Landsmann und Zeitgenossen William Shakespeare. Wie Bacon den Menschen von Seiten der Sittenlehre studirt und erkannt wissen will, so hat ihn Shakespeare dargestellt und gedichtet.
Wie man den Affect durch den Affect f?ngt, so wie auf der Jagd Thiere durch Thiere! Ich meine in Shakespeares "C?sar" den Decius Brutus zu h?ren, wie er im Rathe der Verschworenen sich anheischig macht, den Herrscher in den Senat zu locken:
"Ich übermeist're ihn. Er h?rt es gern, Das Einhorn lasse sich mit B?umen fangen, Der L?w' im Netz, der Elephant in Gruben, Der B?r mit Spiegeln und der Mensch durch Schmeichler. Doch sag' ich ihm, da? er die Schmeichler ha?t, Bejaht er es, am meisten dann geschmeichelt. La?t mich gew?hren, Denn ich verstehe, sein Gemüth zu lenken, Und will ihn bringen auf das Capitol." [Fu?note: Mein Werk "Francis Bacon und seine Nachfolger". (Leipzig, Brockhaus. 2. Aufl. 1875.) S. 283-292, 383 bis 384; vgl. _Bacon_: Ess. of friendship. Works VI, p. 437 bis 443.]
Zu der Sittenlehre geh?rt auch die Pflichtenlehre, die uns vorschreibt, was wir thun sollen. Hier vermi?t Bacon die Lehre von den entgegengesetzten Lastern, die uns zeigen m?ge, was die Menschen wirklich thun, wie sie jene b?sen Künste der Falschheit und T?uschung ausüben, klug wie die Schlangen, aber keineswegs ohne Falsch wie die Tauben. Diese b?sen Künste gleichen dem gef?hrlichen Basilisken, bei dem, wie die Fabel sagt, alles darauf ankomme, wer den ersten Blick hat. Erkennen wir den Basilisken, bevor er uns anblickt, dann sind wir gerettet; im andern Fall sind wir gebannt und verloren. Daher empfiehlt Bacon, den Macchiavelli zu studiren, der in seinem Buche vom Fürsten diese Künste der Falschheit und T?uschung unübertrefflich geschildert habe. Genau so hat Shakespeare diese ?_malae artes_? personificirt in seinem "Richard III.":
"Ich will mehr Schiffer als die Nix ers?ufen, Mehr Gaffer t?dten als der Basilisk, Ich will den Redner gut wie Nestor spielen, Verschmitzter t?uschen, als Uly? gekonnt, Und Sinon gleich ein zweites Troja nehmen. Ich leihe Farben dem Cham?leon, Verwandle mehr wie Proteus mich Und nehme den m?rderischen Machiavell in Lehr'." [Fu?note: Mein Werk "Fr. Bacon &c." S. 389-390.]
Solche und eine Reihe ?hnlicher Uebereinstimmungen zwischen Bacon und Shakespeare habe ich stets mit hohem Interesse verfolgt, aber nie etwas anderes daraus hergeleitet als ein Zeugni? jener Ideenverwandtschaft, die zwischen den führenden Geistern einer Weltepoche zu herrschen pflegt. Der gr??te Philosoph und der gr??te Dichter des Elisabethanischen Zeitalters! Ich bin so oft bei dem Studium des Einen an gleichartige Anschauungen des Andern erinnert worden, da? ich lebhaft wünschte, es m?chten sich von den pers?nlichen Eindrücken, welche der Eine von dem Andern gehabt hat, insbesondere Bacon von Shakespeare, einige sichere Spuren auffinden lassen. Als daher die Bacon-Shakespeare-Controverse so viele Federn zu besch?ftigen anfing, habe ich zwar niemals gezweifelt, da? die "Baconianer" einer in die Luft gebauten Hypothese nachtrachteten, aber ich habe mit einem ihrer amerikanischen Gegner gehofft, da? diese Untersuchungen über manche am Wege gelegenen Punkte ein unerwartetes Licht verbreiten k?nnten: interessante ?side-lights? und ?collateral information?, wie John Wei? solche beil?ufige Gewinne genannt hat. Aber meine Hoffnungen sind weniger erfüllt worden als die seinigen.
Die Baconianer sind von ihrem Dogma zu sehr besessen und verhalten sich zu der Frage nicht als Kritiker und Forscher, sondern wie Advokaten, die immer bestrebt sind, die Gegengründe, auch die solidesten, wegzureden aber zu ignoriren, die Scheingründe dagegen, auch die losesten, durch alle m?glichen superlativen Verst?rkungen einzureden und zu verdichten; sie beweisen nicht, sondern plaidiren: sie plaidiren pro Bacon contra Shakespeare und behandeln die ganze Controverse als ?plea?.
Es ist nicht zuf?llig, da? unter den Wortführern der Baconianer sich einige Advokaten besonders hervorgethan haben. Sobald sie auf William Shakespeare zu sprechen kommen, reden sie wie von einer Gegenpartei, deren Verurtheilung auf alle Art zu betreiben sei. Unwillkürlich gerathen sie daher in den Ton der Schm?hung. Da hei?t es: "dieser Bauernjunge, dieser Fleischerlehrling, dieser Wilddieb, dieser Taugenichts" u.s.f. Wenn es sich darum handelte, W. Shakespeare
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