Shakespeare und die Bacon-Mythen | Page 8

Kuno Fischer
und dem "Kaufmann von Venedig", der
bald nachher erschien. Der großmüthige und freigebige Kaufmann
heißt Antonio, Bacons großmüthiger und freigebiger Bruder heißt
Anthony: also ist Anthony gleich Antonio, Bacon mithin gleich
Bassanio; der Goldschmied Sympson aber ist der Jude Shylock, beide
haben denselben Anfangsconsonanten und dieselben Vocale. Wie
merkwürdig! Wie überzeugend! Die Verhaftung Bacons als insolventen
Schuldners ist das Original, der "Kaufmann von Venedig" ist das
dramatische Abbild, das von ihm selbst verfaßte. Eine nette Art von
Bacon-Mythen, nach welchen Bacon seine eigenen Lebensschicksale
dramatisirt und durch Shakespeare auf die Bühne gebracht hat.
[Fußnote: Bormann, S. 301 ff.]
2. Der Schluß der drei Taugenichtse.
Hier ist nun die für die ganze Bacon-Theorie so charakteristische
Schlußart, daß sie eine nähere Beleuchtung verdient.
Anthony und Antonio haben denselben Namen, also ist Anthony gleich
Antonio; Sympson und Shylock sind beide Wucherer, also ist Sympson
gleich Shylock; Bacon wird verhaftet, der Kaufmann von Venedig wird
auch verhaftet, also ist Bacon der Kaufmann von Venedig. Da aber
Anthony schon Antonio ist und außerdem mit dem ganzen Handel

nichts zu thun hat, so ist Bacon nicht Antonio, sondern muß Bassanio
sein, der aber nicht verhaftet wird, und so dreht sich die Sache im
sinnlosen Kreise. [Fußnote: Ebendaselbst S. 302.]
Diese Art zu schließen ist bekanntlich eine der allerverpöntesten. Die
Logiker nach Aristoteles nennen sie den positiven Schluß in der
zweiten Figur. Um aber nicht schulmäßig zu reden, erlaube ich mir,
dieselbe Sache etwas anschaulicher und concreter zu bezeichnen. Ich
erinnere mich, daß eines unsrer lustigen Blätter einmal zum Spaß drei
Taugenichtse beweisen lassen wollte, daß sie gute Leute seien; ihr
Beweis lautete: "Aller guten Dinge sind drei, wir sind unser drei, also
sind wir gute Dinge".
Ich will diesen Schluß, um die Schulsprache zu vermeiden, den der drei
Taugenichtse nennen, indem ich den Ausdruck lediglich im logischen
und bildlichen, keineswegs aber im moralischen Sinne gebrauche.
Doch muß ich hinzufügen, daß nicht blos in dem angefügten Falle,
sondern durchgängig die gesammte Bacon-Theorie sich die Façon
dieses verpönten Schlusses angeeignet hat: es ist gleichsam der Tact,
nach welchem sie marschirt.
3. Bacon als Othello.
In seinem Testament vom Jahre 1621 hatte Bacon seine Frau reichlich
bedacht, auch in dem späteren Testamente vom December 1625 diese
günstigen Bestimmungen wiederholt, aber nachträglich widerrufen aus
gerechten und schwerwiegenden Gründen (_for just and great causes_).
Der Grund war die inzwischen entdeckte Untreue der Frau. Hier haben
einige Baconianer das Motiv zum Othello gewittert. Freilich erschien
dieser 1622, während die Enterbung vom December 1625 datirt;
freilich war der Othello schon gedichtet und aufgeführt, ehe Bacon
geheirathet hat, aber das thut den Rechnungen der Mrs. Henry Pott
keinen Eintrag.
4. Bacon als Katharina von Aragonien, Wolsey und andere gefallene
Größen.
Bacon habe seinen Sturz, der ihm bekanntlich zur Schuld und Schande
gereicht hat, "still und stolz" ertragen und diese Gesinnungsart in
Personen wie Katharina von Aragonien, Buckingham, Wolsey u. a.
dramatisch dargestellt.
In Wahrheit hat Bacon seine Richter um Barmherzigkeit angefleht und
sich ein gebrochenes Rohr genannt: das war nicht "stolz". In Wahrheit

ist er nicht müde geworden, um seine volle Wiederherstellung zu bitten:
das war nicht "still". "Still und stolz!" Das klingt ja fast wie "edle
Einfalt" und "stille Größe", wie Winckelmann die griechischen
Kunstwerke charakterisirt hat. [Fußnote: Ebendaselbst S. 298-300.]
VI. DIE DRITTE ART DER BACON-MYTHEN.
1. Bacon als Verfasser des Promus.
In einer Sammlung von Manuscripten, die im Brittischen Museum
aufbewahrt werden, finden sich etwa 50 Folioseiten unter dem Titel
"Vorrath musterhafter und anmuthiger Redewendungen (_Promus of
formularies and elegancies_)", in Gruppen gesondert, als da sind
Begrüßungsformen, Gleichnisse, Metaphern, Sprichwörter &c. Ein
Theil dieses Promus ist nach Speddings Ansicht, der dem Ganzen
keinen irgendwie bedeutsamen Werth zuschreibt, von Bacons Hand,
weshalb er einige wenige Auszüge daraus in seine Gesammtausgabe
der Werke aufgenommen hat. Dies geschah schon 1861. [Fußnote:
Works VII, p. 187-213.]
Einige Jahrzehnte später hat eine englische Dame, Mrs. Henry Pott, den
Promus vollständig herausgegeben (1883) und nach einer angeblichen
Durchmusterung von mehreren tausend Büchern an 1655
Redewendungen nachweisen wollen, daß sie in der vorbaconischen
Litteratur nicht, in der gleichzeitigen aber nur bei Shakespeare sich
finden, welche sprachgeschichtliche Behauptung von sachkundiger
Seite bestritten und widerlegt worden ist. Sie hat im "Promus" die
Keime zu entdecken gemeint, woraus sowohl die Sonette, als auch die
Dramen Shakespeares erwachsen seien, weshalb diese Dichtungen
insgesammt nicht von Shakespeare, sondern nur von Bacon herrühren
können. Diesen Beweis der Bacon-Theorie nennt sie den ersten aus
einleuchtenden inneren Gründen (_internal evidence_). [Fußnote: _The
promus of formularies and elegancies [being private notes, circ. 1594,
hitherto unpublished] by Francis Bacon, illustrated and elucidated by
passages from Shakespeare by Mrs. Henry Pott with preface by E. A.
Abbot, London 1883._ Mit Appendix und Index zählt das Buch 658
Seiten, während Speddings Auszüge nur 13 Seiten betragen und von
den auf Romeo und Julia bezogenen nichts enthalten.]
2. Der Promus als Quelle von
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